# taz.de -- Das Ich – als „Eiterbeule“ | |
> Rocko Schamoni war der „Dorfpunk“. Seine Heimatstadt in Holstein und | |
> seine Generation lieben ihn dafür. Jetzt ist sein Leben als Buch | |
> erhältlich | |
von Christian Ludwig | |
Zwischen Bauernsprüchen und Ostpreußenliteratur liegt „Dorfpunk“, Rocko | |
Schamonis zweites Buch, im Schaufenster der „Buchhandlung am Rathaus“ in | |
der Innenstadt von Lütjenburg. Das wiederum liegt zwischen Oldenburg in | |
Holstein und Kiel, nahe der Ostsee. Dort ist Rocko Schamoni alias Roddy | |
Dangerblood aufgewachsen. Heute lebt der einstige Punk aus der | |
holsteinischen Provinz in Hamburg – als Musiker, Autor, Kneipenbesitzer und | |
Filmproduzent für 3sat. | |
In „Dorfpunk“ (rororo-Verlag) erzählt er von seiner Jugendzeit: die Ödnis | |
in den frühen 80er Jahren. „Doch dann kam Punk, und Punk kam auch nach | |
Schmalenstedt in Schleswig-Holstein.“ Zwar heißt Lütjenburg in dem Buch | |
Schmalenstedt. „Aber wer will, kann alle erwähnten Personen | |
wiedererkennen“, sagt die örtliche Buchhändlerin Sabine Kunz. | |
Rocko Schamoni dokumentiert, wie schwer es war, sich auf dem Land zu | |
unterhalten. Gewalt, Drogen, Kriminalität und tödliche Langeweile | |
bestimmten das Leben. Wenn er in seinem Buch beschreibt, Bier aus den | |
Strandhütten geklaut zu haben, bestätigt Susanne Kröger dies und erinnert | |
sich: „Die haben nie alles geklaut, das war schlau. Man könnte das eher | |
Mundraub nennen. Jetzt habe ich endlich gelesen, wer das damals war.“ | |
Rocko Schamoni schreibt außerdem von brennenden Strandkörben, die er und | |
seine Freunde angezündet hätten. Aber daran kann sich Susanne Kröger nicht | |
erinnern. Da habe Rocko Schamoni wohl ein wenig übertrieben: „So wild war | |
es in Lütjenburg auch wieder nicht.“ Für Rocko Schamoni war der Ort vor | |
allem eines: „eine sterbende Stadt“. | |
Nicht sehr viel hat sich seitdem verändert. Knapp 5.600 Einwohner leben in | |
Lütjenburg. Die Dorfdisko „Meier‘s“ heißt „Schröder‘s“. Das | |
„Denkmalensemble Marktplatz“ ist frisch renoviert, aber in den | |
Seitenstraßen stehen viele Geschäfte leer. Die städtische Homepage preist | |
die Einkaufsmöglichkeiten – „hier ist der Kunde König, im wahrsten Sinne | |
des Wortes“ – und verweist stolz auf die 600 Parkplätze rund um den Markt. | |
Der Marktplatz ist in Schamonis Buch ein wichtiger Treffpunkt. „In | |
Ermangelung ernsthafter Jugendangebote an die Schmalenstedter Jugend | |
hielten wir uns die meiste Zeit dort auf.“ | |
Die meisten Menschen in Lütjenburg kennen Rocko Schamoni. Er war über Jahre | |
auf dem Markplatz präsent. Als „Eiterbeule im Gesicht der alten Dame | |
Schmalenstedt. Eine Schande“, wie Schamoni schreibt. | |
Heute kommen die ehemaligen Freunde, die Eltern der Freunde, die Lehrer, | |
die nicht immer nur gute Zeiten mit ihm hatten, und kaufen sein Buch. „Das | |
ist ja alles auch schon zwanzig Jahre her. Das nimmt man heute nicht mehr | |
so krumm“, sagt Sabine Kunz beschwichtigend. | |
Und sie ist mit dieser Meinung nicht allein: Im örtlichen | |
Hoffmann-von-Fallersleben-Gymnasium, der ehemaligen Schule von Rocko | |
Schamoni, wird „Dorfpunk“ sogar als Schullektüre gelesen. Und in der | |
Stadtbücherei wird es verliehen. Denn neben der Geschichte einer Jugend ist | |
das Buch auch eine Dorfgeschichte. | |
„Der soll mal herkommen, der muss sich nur trauen. Warum liest der nicht | |
mal hier, in Lütjenburg?“ Sabine Kunz meint diese Frage ehrlich. Rocko | |
Schamoni blicke zurück ohne Hass oder Verachtung. | |
Wie wichtig und schön die Zeit in Lütjenburg für viele rückblickend ist, | |
zeigen die Einträge im Gästebuch auf der Homepage | |
([1][www.rockoschamoni.de]): Kalle, damals Punk aus einem Nachbarort, | |
findet sich in der Beschreibung der Schülerfahrt nach England im Jahre 1981 | |
wieder; Stefan fragt, ob Rocko Schamoni nicht seine Schwester kenne, die | |
sei auch oft im „Haus der Jugend“ gewesen; Inka kennt noch die Dorfdisko. | |
„Die DJ-Kanzel gibt es immer noch“, schreibt sie – schwankend zwischen | |
weich gezeichneter Nostalgie und grausigem Entsetzen. | |
Rocko Schamoni auf Lesereise: 27. Oktober in Osnabrück (Haus der | |
Jugend);28. Oktober in Bremen (Lagerhaus); 29. Oktober in Kiel (Hansa 48) | |
26 Oct 2004 | |
## LINKS | |
[1] http://www.rockoschamoni.de | |
## AUTOREN | |
Christian Ludwig | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |