# taz.de -- Kein Irren ist möglich | |
> MÜNCHEN Das Museum Brandhorst überzeugt durch intelligente Architektur | |
> und feiert die Größe gegenwärtiger Kunst. Ab jetzt steht jedes weitere | |
> Neubauprojekt im Kunstquartier unter dem Diktat der Nachhaltigkeit | |
VON IRA MAZZONI | |
Mit ihrem farbig schillernden Kleid lässt Münchens neue Kunstkiste die | |
verschwenderisch monumentale Pinakothek der Moderne ganz schön blass | |
aussehen. Umwelt- und stadtbewusst setzt das vom Berliner Architekturpaar | |
Sauerbruch Hutton entworfene Museum Brandhorst neue Maßstäbe: Bescheiden in | |
der Dimension, urban in der Ausrichtung, qualitätvoll in der Ausstattung | |
und sparsam im Energieverbrauch. | |
Die Farben der Fassaden polarisieren: „Bad Bruise“ – ein Gemisch aus | |
Dunkelblau, Violett, Grün und Rot beherrscht den hohen „Sockel“ des | |
schmalen Gebäuderiegels an der Türkenstraße. „Deep peach“ hat Louisa Hut… | |
die Farbskala getauft, das die über dem Lichtgarten liegende | |
Obergeschosszone bestimmt. Mit den Tönen „Rubensflesh“ – einer opalisier… | |
hellen Tönung – tritt der markante Kopfbau dem eleganten Wohnhaus von Sep | |
Ruf an der Theresienstraße gegenüber, ohne ihn zu brüskieren. Im Gegenteil, | |
Sauerbruch Hutton lieben diesen kühlweißen nachkriegsmodernen Klassiker so | |
sehr, dass sie ihn durch ein hohes Schaufenster in ihr Museumsfoyer | |
hineinwirken lassen. | |
Die als modische Verkleidung verunglimpften, doppellagigen Fassaden aus | |
horizontal gefalteten Metallblechen und 360.000 senkrecht darüber | |
montierten Keramikstäben, suchen bewusst den städtebaulichen Zusammenhang | |
sowohl mit den historischen Ziegelbauten wie mit den Nachkriegshäusern in | |
der Nachbarschaft. Das irisierende und je nach Tageslicht und | |
Bewegungsrichtung changierende Farbkleid des Museums ist damit mehr als nur | |
ein offensichtlicher Eyecatcher für ein Haus, das hauptsächlich der Magie | |
der Malerei gewidmet ist. Die polychrome Fassade stellt an einer | |
verkehrsumbrausten Ecke Urbanität her und schenkt dem Viertel dank der | |
raffiniert zweilagigen, schallschluckenden Struktur endlich | |
flaniertaugliche Ruhe. | |
## Wohnlich ist’s! | |
Wohnlich! Das ist der erste Eindruck beim Betreten des neuen Kunsthauses, | |
das der vor allem auf Harmonie bedachten Privatsammlung von Udo und Anette | |
Brandhorst eine komfortable Bleibe bietet. Rechts eine Cafébar mit | |
schwarzen Stuhlsesseln, links ein Kasse und Bücherecke aus hellem, | |
schmiegsam gerundetem Eichenholz. Alles nach Entwurf der Architekten. Dicke | |
Dielen aus alter dänischer Eiche dämpfen angenehm den Tritt. Der lichte | |
Flur wird beherrscht vom freischwebenden, holzummantelten Treppenkörper: | |
Klarheit und Übersichtlichkeit bereiten den Weg hinauf und hinunter. Kein | |
Irren ist möglich. Für leichte Irritation sorgen nur die Metalllamellen vor | |
dem hofseitigen Fenster, die mehrfach verschnitten zur Lichtdecke des | |
Tiefgeschosses überleiten. Das ist etwas zu viel offenliegende Technik für | |
das private Haus mit seinen zum Teil übervollen Kunstkammern. Tageslicht – | |
nicht nur im Obergeschoss, sondern auch seitlich eingespiegelt in den | |
Erdgeschossräumen – bestimmt die Atmosphäre des Museums. Sonne und Wolken | |
lassen die unverglasten Bilder an den weißen Wänden atmen. | |
Sauerbruch Hutton haben mit Hilfe des Doerner Instituts ein großartiges | |
Tageslichtmuseum gebaut, das in der Tradition der ersten Kurfürstlichen | |
Gemäldegalerie am Hofgarten und von Klenzes Alter Pinakothek sowie dem | |
längst vergessenen Bilderschrein der Neuen Pinakothek von August Voit | |
steht. Über zwei Jahrhunderte Erfahrung und Forschung in Sachen | |
Lichtlenkung und Verschattung machen sich bezahlt. Das Tageslicht schenkt | |
den kleineren Räumen des Erdgeschosses privaten Charakter, es weitet die | |
musealen Oberlichtsäle und verleiht dem Patio im Untergeschoss durch Roste | |
und Metalllamellen hindurch eine gewisse ruppige Fabrikmäßigkeit, die Andy | |
Warhol und Damien Hirst gut passt. | |
Selbstverständlich verfügt das Museum der Brandhorsts auch über eine | |
Kunstlichtgalerie im Tiefgeschoss, da unter den 700 Werken der Sammlung | |
auch empfindlichste Papierarbeiten sind. Weil der Sammler seit dem Deal mit | |
dem Freistaat 1999 neue Interessen entwickelt und jetzt auch Video-Arbeiten | |
aus den Erträgen des Stiftungskapitals kauft, wurde im Tiefgeschoss des | |
Kopfbaus eine vorbildliche 240 Quadratmeter große, schallgedämmte | |
Medien-Suite eingerichtet. Die Premiere macht die opulente Bildfolge des | |
Briten Isaac Julien „Western Union: Small Boats“ aus dem Jahr 2007. Es | |
könnte so schön ruhig in diesem Haus sein, wenn nicht Damien Hirsts laute | |
Video-Installation „Looking forward to a complete suppression of Pain“ | |
völlig deplatziert unter dem spektakulären Treppenlauf brüllen würde. | |
## Die Malerei bleibt schön | |
So wie die Alte Pinakothek ihren zentralen Rubens-Saal hat, wie der erste | |
Bau der Neuen Pinakothek auf die enkaustischen Griechenland-Veduten von | |
Carl Rottmann zufluchtete und wie die Pinakothek der Moderne Joseph Beuys’ | |
„Ende des 20. Jahrhunderts“ programmatisch inkorporierte, so widmet das | |
Museum Brandhorst dem Lepanto-Zyklus von Cy Twombly den Panorama-Saal im | |
Kopfbau. Nach Angaben des Künstlers unverhohlen Monets | |
Seerosen-Orangerie-Arrangement in Paris nachempfunden, stimmt dieser eisig | |
türkisgrundig leuchtende Schlachtensaal den Generalbass der Sammlung an: | |
Egal wie blutig und abgründig die geschilderten Geschichten auch sein | |
mögen, die Kunst, vor allem die Malerei, bleibt schön, farbenprächtig, | |
betörend. Das gilt für Twomblys Zyklus, der den Untergang der osmanischen | |
Flotte im Jahr 1571 reflektiert, genauso wie für die jüngste Videoarbeit | |
von Julien, die im barocken Rahmen traumtänzerisch das Thema Migration | |
zwischen Afrika und Sizilien umkreist. | |
„Die drei Lügen der Malerei“, heißt das Bild Polkes, das den derzeitigen | |
Auftakt zur Sammlung bildet, in der unter anderem Gerhard Richter, Georg | |
Baselitz, Alex Katz, Eric Fischl, Jean Michel Basquiat und Ed Ruscha | |
prominent vertreten sind. Die Lügen der Malerei bilden ein Leitmotiv, das | |
sich von der gewichtigen Warhol-Sequenz des „Last Supper“ hin zum opulenten | |
Rosen-Saal Cy Twomblys zieht. Was am Eingang ironisch in Frage gestellt | |
wird, erfährt am Ende eine pathetische Affirmation. Dieser | |
Spätwerk-Rosen-Saal, erst vor zwei Jahren von Brandhorst erworben, stiehlt | |
dem Lepanto-Zyklus fast die Schau. Nicht zufällig mündet der Rundgang in | |
einem Reflexionsraum, der Ausblick auf das Königsportal der Alten | |
Pinakothek bietet. | |
Wie geht es weiter? Die Udo und Anette Brandhorst Stiftung wird auch in | |
Zukunft mehr Mittel haben als die Staatsgemäldesammlungen, um sich | |
„Klassiker“ und „Superstars“ zu leisten. Sie muss nicht unbedingt | |
haushälterisch Pionierarbeit leisten. Das vom Staat finanzierte und | |
betriebene Museum aber setzt Maßstäbe. Der versprochene rahmende Abschluss | |
der Pinakothek der Moderne entlang der Türken- und Gabelsbergerstraße wird | |
sich urbaner geben müssen. Vor allem aber steht jetzt jedes weitere | |
Neubauprojekt unter dem Diktat intelligenter Nachhaltigkeit. Das sogenannte | |
Kunstareal wird an internationalem Renommee vor allem gewinnen, wenn neue | |
Mäzene – wie bereits geschehen – ihre Sammlungen ergänzend in die | |
bestehenden Museen stiften, um neue Dialoge anzuregen. | |
20 May 2009 | |
## AUTOREN | |
IRA MAZZONI | |
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