# taz.de -- Meeresleuchten | |
> Mit einem Sprung ins Wasser beginnt Sasha Waltz’ Inszenierung von „Dido & | |
> Aeneas“ an der Staatsoper Unter den Linden. In der ersten Opernregie der | |
> Choreografin wird die barocke Vorlage wird zum modernen Tanzstück. | |
> Anstelle der Solisten sind aber Chor und Ensemble Hauptträger der | |
> Handlung | |
VON KATRIN BETTINA MÜLLER | |
Wie das leuchtet: die helle Haut, die Luftblasen, die unablässig durch das | |
grün schimmernde Wasser nach oben perlen. Mit einem Sprung ins Wasser | |
beginnt die Inszenierung der Oper „Dido & Aeneas“ von Sasha Waltz. Über dem | |
Bassin steht eine Erzählerin auf der Brücke und beschwört Nereiden und | |
Tritonen, mit ihr die Ankunft der Venus zu besingen. Die Körper von mehr | |
und immer mehr Tänzern unter Wasser scheinen zu schweben, verlangsamt ist | |
ihre Bewegung. Sie biegen sich in langen Linien, schrauben sich in Wirbeln | |
empor, sinken. Haare und Stoffe fließen in langen Spiralen nach. Das ist | |
ein in virtuose Bewegung versetztes barockes Gemälde, das die gewagten | |
Perspektiven von fliegenden Göttern in Deckengemälde in ein Medium von | |
Fleisch und Blut übersetzt, von großer Sanftheit und Zärtlichkeit. Als ob | |
ein Zauberstab die Geschichte der Kunst berührt hätte. | |
Musik ist immer Gegenwart im Moment ihrer Aufführung, das hat sie der | |
bildenden Kunst voraus. „Dido & Aeneas“ ist die erste Operninszenierung der | |
Berliner Choreografin Sasha Waltz, die den Tanz nicht in der marginalen | |
Rolle als höfisches Zwischenspiel belässt, sondern die Oper von Henry | |
Purcell in ein sehr berührendes Tanzstück weiterentwickelt hat. Der | |
Tauchgang im ersten Bild ist programmatisch für den Duktus der Bewegung: | |
vielgestaltig, elementar und in breiten Bildkompositionen angelegt. Als ob | |
sich die Töne der Komposition Purcells an die Füße der Tänzer heften | |
könnten und mit ihnen den Raum wieder und wieder überschwemmten. | |
Die erste Oper von Sasha Waltz ist ein Ding zum Staunen schon durch ihre | |
Produktionsform. Drei Opernhäuser waren Koproduzenten, neben der Berliner | |
Staatsoper Unter den Linden das Grand Théâtre de la Ville de Luxembourg, wo | |
Ende Januar die Uraufführung lief, und die Opéra National de Montpellier. | |
Initiiert haben die Produktion die beiden Ensembles Sasha Waltz & Guests | |
und die Akademie für Alte Musik, deren Leiter Attilio Cremonesi Purcells | |
unvollständige Partitur ergänzt und erweitert hat. Der Anstoß dieser neuen | |
Lesart eines Opernstoffes kam also nicht aus der Institution, die das Erbe | |
der Gattung verwaltet, sondern eher von außerhalb. Einer Sensation kommt | |
die Aufführung an der Staatsoper auch deshalb gleich, weil sich das Haus | |
nie zuvor dem zeitgenössischen Tanz geöffnet hat. | |
Für „Dido & Aenaes“ lässt Waltz sich erstmals auf die Erzählung einer | |
Handlung ein, aber anstelle der Solisten, die jeweils mit einem Sänger und | |
einem Tänzer besetzt sind, hat sie den Chor und das Ensemble zu den | |
Hauptträgern der Handlung gemacht. Manchmal gar im wörtlichen Sinne, wenn | |
die Figuren der Dido und des Aeneas tatsächlich getragen, gehalten und | |
bewegt werden von den großen Gruppen, denen sie angehören. Denn die Liebe | |
zwischen Dido, Königin der Katharer, und Aenaes, Anführer der Trojaner, | |
zerbricht, weil beide die Loyalität gegenüber ihrem Volk über die | |
individuelle Liebe stellen. Dieser Konflikt wird so ganz anders als üblich | |
erzählt. Denn es fehlen sowohl die hierarchischen Ordnungsmuster zwischen | |
Herrschern und Volk als auch die vertraute Polarisierung zwischen | |
Individuum und Gesellschaft. Das erschwert es zwar, der ohnehin | |
fragmentarischen Handlung zu folgen. Dafür aber durchdringen sich | |
emotionale, musikalische und körperliche Bewegung in nie gekannter Dichte. | |
Ensemble zu formieren ist eine der großen Stärken von Sasha Waltz, die ihr | |
in dieser Arbeit mit Sängern und Tänzern zugute kommt. Es gelingt ihr, in | |
der Form größer zu arbeiten, ohne sich an Effekte zu verraten. Im | |
Gegenteil, das Glück und der Schmerz der Liebesgeschichte vermitteln sich | |
mit solcher Intensität wie noch in keinem ihrer Tanzstücke. Das tröstet | |
auch über die Mängel hinweg, von der ihre Opernregie nicht frei ist. Einige | |
der Solostimmen, vor allem der Dido, hätten kräftiger besetzt werden | |
können. Aurore Ugolin singt zwar hinreißend und schmiegt ihre Stimme an die | |
Bewegung ihrer tänzerischen Doppelgängerin, aber manchmal muss man zu sehr | |
die Ohren spitzen, um sie herauszuhören. | |
Die Choreografie speist sich kaum aus Formen des Handlungsballetts, sondern | |
viel mehr aus einem experimentellen Spiel: Was können Chor und Ensemble | |
gemeinsam anfangen? Ob an Didos Hof, im verzauberten Wald oder als Sturm: | |
Sie malen vielgliedrig und vielhändig eine beseelte Natur, einen Geist in | |
allen Dingen aus. | |
Ein längeres Zwischenspiel ohne Musik reflektiert den Hofstaat, den | |
Ursprung der barocken Form. Ausgespielt werden die Handlungsanweisungen und | |
skurrilen Verführungen, die schon in den überschwänglichen Kostümen | |
stecken. Zur Zeit der Uraufführung 1689 war der Körper natürlich einem ganz | |
anderen Diskurs unterworfen. Das Zwischenspiel zeigt in grotesken | |
Miniaturen die Erinnerung an die historischen Disziplinierungen. Die | |
Inszenierung selbst aber lebt von Körperbildern der Gegenwart, die in der | |
barocken Vorlage dennoch ein grandioses Material für ihre Formwerdung | |
finden. | |
21 Feb 2005 | |
## AUTOREN | |
KATRIN BETTINA MÜLLER | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |