# taz.de -- Die Power der Deutschland AG spüren | |
> Handys zum Duschen, Backöfen, die online gehen, Gedanken, die Maschinen | |
> steuern und ein elektrisierter Kanzler: Fünf Jahre nach dem großen Knall | |
> dient die Cebit wieder dazu, den Optimismus der Branche zu zelebrieren. | |
> Alles eine Frage des Standpunkts | |
Aus Hannover Kai Schöneberg | |
Der Kanzler ist saugut drauf. „Hör ma’ zu“, flachst Gerhard Schröder in | |
Richtung eines „Jugend forscht“-Siegers, der gerade von seiner nahen | |
Zukunft als Zivildienstler erzählt hat. „Da werd’ ich dem Struck sagen, | |
dass er auf Sie nicht rechnen kann“. Lacher. Bei Motorola witzelt ein | |
Manager, die Merkel brauche für den Gipfel nächste Woche auf jeden Fall das | |
Handy mit Navigations-System: „Wir haben die Strecke von der CDU-Zentrale | |
zum Kanzleramt schon mal eingegeben.“ Das Glas ist halb voll, schröderblau | |
strahlt der Himmel vor Halle 9, der Kanzler findet alles prima: „Ich habe | |
hier keine Firma getroffen, die Arbeitsplätze abbauen will, alle werden | |
aufbauen“. Gerade hat in Schröders Heimatstadt die Show der großen | |
Hoffnungen begonnen: Das Deutschland-Barometer zum Anfassen, die weltgrößte | |
Schaubude der IT-Branche. Die Cebit. Die Messe läuft noch bis nächsten | |
Mittwoch. | |
Der Aufmarsch der Gegelten beginnt am Donnerstagmorgen sechsspurig auf dem | |
Messeschnellweg, später hasten sie in unsichtbare Handys murmelnd über die | |
Expo-Allee Nord. Man spricht schwäbisch. „Ich spüre die deutsche Krise“, | |
sagt Andy Joo, Assistent Manager von Mobiblu. Die Südkoreaner launchen in | |
Hannover gerade den kleinsten MP3-Player der Welt, ein buntes | |
Metallwürfelchen mit 2,4 Zentimeter Kantenlänge für 150 Dollar. „In den | |
Städten ist es hier so ruhig“, meint Joo. Und: „Wir werden besser, ihr | |
werdet schlechter“. | |
„Sie sehen hier diese wunderschöne Torte, die habe ich gerade mit meiner | |
Tante in Alabama per Videokonferenz gebacken“, jubelt ein PR-Fuzzi auf dem | |
Flat-Screen im Wohnzimmer des Telekom-Hauses. Hier verfolgt einen das Radio | |
durch die Räume, per „Mood Management“ können sich Bewohner von rotem oder | |
blauem Licht bestrahlen lassen. Man braucht etwa zehn Fernbedienungen und | |
so für das „Smart Home Konzept“. Aber dafür kann man von zu Hause aus auch | |
das Autoradio einstellen oder von Alabama aus die Jalousien runterrasseln | |
lassen. „Gern würde ich Ihnen jetzt ein Stück Kuchen senden, aber daran | |
arbeitet die Telekom noch“, krakeelt der Tortenbäcker. In der Küche erklärt | |
indes eine Hostess am Tabloid-PC, „dass der Backofen jetzt aus ist. Da muss | |
ich ihn erst mal online stellen.“ | |
Hallo Wahnsinn, dein Name ist in diesen Tagen Cebit. Fünf Jahre nach dem | |
großen Knall sind ja alle schon viel vorsichtiger geworden. Aber man wird | |
doch wohl mal am Aufschwung schnüffeln dürfen? 500.000 Besucher werden auf | |
der 30 Hektar großen Schau diesmal erwartet. Erstmals seit vier Jahren ist | |
die Zahl der Aussteller wieder leicht angestiegen, auf 6.270; die Zahl der | |
deutschen Firmen ist gesunken. Er „spüre wieder Knistern in der Branche. Es | |
geht wieder los“, sagt Arcor-Chef Harald Stöber. Der Branchenverband Bitkom | |
rechnet mit 10.000 neuen Jobs in diesem Jahr, einem „soliden Trend“ und 3,4 | |
Prozent mehr Umsatz. Aber wie viele Prognosen sind seit dem großen | |
Seifenblasenplatzen bereits gescheitert? Derzeit gibt es 740.000 | |
Beschäftigte im deutschen IT-Gewerbe, 80.000 weniger als im Boomjahr 2000. | |
Damals forderte man Green Cards oder „Kinder statt Inder“, je nachdem. | |
Manche spüren sie wieder, die Power der Deutschland AG. | |
SPD-Verkehrsminister Manfred Stolpe freut sich in Halle 26, das deutsche | |
Maut-System habe das „Zeug zum Exportschlager“. In Halle 12 sagt Pavlo | |
Myadzel, „ich sehe hier keine Krise“. Man muss aber dazu wissen, dass der | |
junge blasse Mann aus Kiew von der Ukrtelecom kommt und versucht, | |
Investoren zu finden, die beim ukrainischen Telefonriesen (120.000 | |
Mitarbeiter) die Mehrheit übernehmen. Es ist alles eine Frage des | |
Standpunkts. | |
Natürlich können Besucher hier auch an der realen Zukunft schnuppern: Voice | |
over IP, das Telefonieren per Internet, kommt. Das Musik-Handy und das zum | |
Duschen auch. Die fast bleifreien Öko-PCs von Fujitsu Siemens boomen, ein | |
„Breitbandgipfel“ forderte gestern, „deutlich vor 2010“ solle jeder zwe… | |
Haushalt in Deutschland superschnelles Internet per DSL, Kabel oder Funk | |
besitzen. E Plus setzt auf DSL statt UMTS, der Rest der Mobilfunker will | |
die Zahl der deutschen UMTS-Nutzer in diesem Jahr auf 2,5 Millionen sage | |
und schreibe verzehnfachen. „NEC hat es fertig gebracht, sie unabhängiger | |
von ihrer Geldbörse zu machen“, rattert ein Präsentator mit Headset runter: | |
„Mobile Wallet – in Japan fast schon ein alter Hut!“. | |
Am Stand von Guger Technologies zeigt Christoph Guger auf seine | |
Versuchsperson, die eine Art Badekappe mit Elektroden auf dem Kopf hat, und | |
sagt: „Wenn er an ‚Fuß‘ denkt, bewegt er sich nach vorne“. Natürlich | |
passiert das nur virtuell auf einem Bildschirm, aber für schwer Behinderte | |
ist es durch die Erfindung der Sechs-Mann-Firma aus Graz tatsächlich | |
möglich, Apparate per Gedanken zu bedienen. Gugers „Brain Computer | |
Interface“ wandelt Gehirnströme im Millionstel Voltbereich in Befehle für | |
Maschinen um. „Man kann damit im Internet surfen, Querschnittspatienten | |
können damit Prothesen bedienen“, erklärt Guger. Ab 6.000 Euro aufwärts ist | |
das Gerät auf dem Markt. In Übersee ist die Zukunft sogar noch gruseliger. | |
Guger: „In den USA werden die Elektroden sogar schon direkt aufs Gehirn | |
implantiert.“ | |
12 Mar 2005 | |
## AUTOREN | |
Kai Schöneberg | |
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