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# taz.de -- Reisende in Sachen Shakespeare
> Die Theatermacher Norbert Kentrup und Dagmar Papula haben die
> Beschäftigung mit Shakespeare zu ihrem Lebensinhalt gemacht: Als
> „Shakespeare und Partner“ spielen sie seine Stücke in ganz Europa. Und
> halten auch nach dem Bruch mit der Shakespeare Company den Kontakt zu
> Bremen
von Jens Fischer
Hamm, Warendorf, Weyhe, Hanau, Rinteln, Lingen, Nordenham … aber zuerst und
vor allem mal wieder: Bremen! „Nach unserer traurigen Trennung von der
Shakespeare Company tut es der Seele so richtig gut, wie warmherzig wir
wieder empfangen wurden, irgendetwas von unserem Anliegen ist also bei den
Bremern angekommen“, freuen sich Schauspieler und Regisseur Norbert Kentrup
(56) sowie die Schauspielerin und Dramatikerin Dagmar Papula (57). Ihr
Stück „Die Komikerin“ wurde kürzlich im Schauspielhaus uraufgeführt und
geht jetzt auf Deutschlandtournee.
Seit drei Jahren führen Kentrup und Papula ein modernes Wanderbühnenleben.
Als Nomaden der dramatischen Zunft sind sie zwischen Kanada, Deutschland
und Neuseeland aktiv. „Bremen ist mir da ziemlich fremd geworden“, bekennt
Papula. Kentrup erinnert sich nur an 66 Tage, die er 2004 in der Hansestadt
verbracht hat. Das wird sich nach der „Komikerin“-Premiere nicht
wiederholen. Beide Künstler bekennen sich wieder zu der nie aufgegebenen
Wohnung am Osterdeich und bekunden stolz: „Unsere GmbH ,Shakespeare und
Partner‘ hat ihren Sitz in Bremen, und dort zahlen wir auch unsere
Steuern.“
Den Umsatz beziffert Papula auf über eine halbe Million Euro pro Jahr. Im
Angebot befinden sich drei Shakespeare-Produktionen und sechs Papula-Werke.
Etwa 100 Gastspiele werden jährlich absolviert. So bleiben noch genügend
Auszeiten. Papula nutzt sie zum Schreiben, zieht sich in ihr Haus an einem
finnischen See zurück, besitzt aber auch ein Zimmer für sich allein in
Berlin. Kentrup reist dann als forschender Shakespeare-Prediger durch die
Lande, hält Vorträge, gibt Workshops, spielt in London mal den Shylock und
führt auch Regie – zuletzt für die englischsprachige Uraufführung von Polly
Hopes Stück „The Birdgarden“ an der Deutschen Oper in Düsseldorf.
„Wir sind sehr erfolgreich, können gut davon leben und sind ausgebucht bis
Herbst 2007“, freut sich Papula. Obwohl das Gewerbe immer schwieriger
werde. Früher seien deutsche Gastspielbühnen mit einem Etat für 15 freie
Schauspielproduktionen pro Saison ausgestattet gewesen, heute würden nur
noch maximal fünf eingeladen.
Warum gerade „Shakespeare und Partner“? Weil Papula mit ihren
frauenbiografischen und literaturhistorischen Arbeiten allgemein gültige
Themen aus einer fernen Zeit fürs Heute aufbereitet. Und weil sich die
Shakespeare-Arbeiten resistent gegen die theaterästhetischen Entwicklungen
seit den 90er Jahren erweisen und konsequent auf einer „Volkstheater“-Idee
beharren, über die in der Tageszeitung „Welt“ zu lesen war: Die
Protagonisten „bewältigen ohne Umschweife und teilweise klamottig derbe den
traurig wüsten Stoff.“
Das hatte man schon der Bremer Shakespeare Company (BSC) vorgeworfen.
Kentrup aber spricht nicht von Stagnation, sondern von einem „behutsamen
Erkunden Shakespeare-typischer Spielweisen“.
Er will das Miteinander von Publikum und Schauspieler, Politik und Poesie,
Tragik und Komik aus dem Rund der tageshellen Globe-Bühne Shakespeares auf
die durch Kunstlicht erhellten Guckkastenbühnen unserer Theater übertragen,
ohne Trennung von Bühne und Zuschauerraum. „Was natürlich nur unter großen
Abstrichen von unserem Anliegen funktioniert“, wie Papula zugibt. „Aber die
Zuschauer sind unendlich dankbar, wenn sie im Theater nicht mehr
misshandelt werden, man sehnt sich doch überall nach dem Ende der
Stückvergewaltigungen und dankt uns, dass die erzählte Geschichte zu
verstehen ist“.
„Shakespeare und Partner“ verstehen sich als Fortsetzung der BSC mit
weniger Mitteln. Das Programmheft-Layout wurde übernommen. Kentrup: „Ich
habe das Konzept erdacht und darf es daher auch weiter benutzen.“ Auch
donnert der wuchtige Mime immer noch als fliegender Händler und großer
Begrüßer durchs Publikum. „Schon vor der Vorstellung zu kommunizieren, das
gehört halt zu Shakespeares Theaterkonzept“, erklärt Kentrup. Genauso wie
die minimale Ausstattung. „Das sind Werte, die waren gut, die sind gut, die
wirft man nicht einfach weg. Wir wollen sie weiter verfolgen, die Company
macht das ja nur noch teilweise und ohne zu wissen, warum“, wie Kentrup
lospoltert.
Immer wieder muss Papula ihren seit 1993 angetrauten Gatten knuffen,
treten, mahnend anschauen, unterbrechen – wenn er jedwede Möglichkeit zu
Seitenhieben auf die alten Kollegen nutzt. Die Trennung, der Rauswurf, das
war mehr als nur eine Scheidung aus künstlerischen Gründen. Eher das Ende
einer Utopie – und eine dicke Beule für die eigene Identität. Kentrup: „I…
bin daran gescheitert, dort kollektives Theater zu machen – also die Ideen
vom selbstständigen, für alles mitverantwortlichen Schauspieler auf die
dritte Company-Generation zu übertragen.“
Das dortige Aus war auch das Aus für Kentrups kulturpolitisches Engagement.
„Das fehlt mir richtig“, sagt er. Einmischen, kämpfen, das Theater als
politischen Ort begreifen, dafür bräuchte man halt die feste Verankerung in
einer Stadt. „Heimat können wir aber nur noch als einen globalen Begriff
verstehen.“ Ob es noch Kontakte zur Company gibt? „Wir fassen uns nicht mal
mehr mit der Zange an“, gibt Papula zu. Zeit, um endlich die Idee einer
europäischen Shakespeare Akademie zu realisieren. Da in Bremen das Geld
fehle, so Kentrup, hofft er jetzt an der Universität Zürich
Schauspielstudenten in einem speziellen Masterstudiengang in Sachen
Shakespeare-Theater schulen zu können. An der Bremer Uni gibt Kentrup aber
weiterhin Blockseminare. „Ohne Koketterie, ich weiß mit am meisten auf der
Welt über Shakespeare und bin einer der Wenigen, die sich 25 Jahre mit der
Weiterentwicklung der Globe-Idee beschäftigen. Obwohl ich noch am Anfang
bin, das alles wirklich zu verstehen.“ Nicht mal im Londoner Globe-Nachbau
wisse man, wie dieses Theater genau funktioniere.
Oft sind es Reiseerfahrungen, die „Shakespeare und Partner“ künstlerisch
verarbeiten. „Die Komikerin“ sieht Papula stark englisch beeinflusst. „Oh…
Subventionen schwierige Themen unterhaltsam aufbereiten, genau und präzise,
das habe ich während unseres halben Jahres in London gelernt“. Auch sei das
Stück ohne die spirituelle Welt und das andere Zeitgefühl der Maoris nicht
denkbar. Mit den neuseeländischen Ureinwohnern habe man „Troilus und
Cressida“ inszeniert. Kentrup erinnert sich: „Bei den Liebesszenen hörte
ich nur Versgeleier. Bis ich die Maori animieren konnte, in ihren Ritualen
nach Ausdrucksformen zu suchen, nachdem sie Kontakt zu ihrer Geisterwelt
fanden, spielten sie die Szenen geradezu ekstatisch, ein überwältigendes
Erlebnis“.
Was für beide Seiten lehrreich war. Kentrup wird nie mehr Wesen wie die
weissagenden Hexen in „Macbeth“ einfach als Metapher verstehen, sondern als
Realität annehmen. „Es gibt Hexen und Schluss.“ Und die Maori realisierten
einen Grundzug des Schauspiels: den Einstieg in die Szene durch eigene
Lebenserfahrung. Kentrup ist glücklich über solch gegenseitige Befruchtung.
Eben dieser Austausch habe bei der BSC nicht funktioniert. Damit das nicht
noch einmal passiert, arbeiten Kentrup/Papula jetzt mit „wechselnden
Kollegen verschiedener Generationen zusammen, mit gemeinsamen Werten, ohne
die zerstörerische Gruppendynamik – Partner für eine Kontinuität auf Zeit�…
Papula: „Auch das ist so eine Company-Erfahrung, wenn man sich tagtäglich
in Unterhosen sieht, verbraucht man sich aneinander“. Wer jetzt mitmacht,
bestätigt Kentrup, das seien alles Menschen, „die wie ich die
Widersprüchlichkeit der Welt kaum aushalten und diese Erfahrung nicht im
Theater reproduzieren, sondern lieber miteinander das Leben aushaltbarer
machen wollen. Die Ordnung, Wärme, Utopie suchen“. Das soll sich auch den
Zuschauern vermitteln.
„Shakespeare und Partner“: Sekte oder moralische Anstalt? „Nicht Belehrung
von oben nach unten“, wehrt sich Kentrup, „sondern partnerschaftlich mit
dem Publikum, das ist die Globe-Idee“. Daraus resultiert auch die Utopie,
das Heimatgefühl der Gruppenidentität wieder herzustellen. Den wechselnden
Produktionsteams zum Trotz: mit Schauspielern wie Martin Lüttge, Dominique
Lüdi, Sebastian Bischoff und 14 weiteren Menschen, die kontinuierlich auf
der Gehaltsliste von „Shakespeare und Partner“ auftauchen, versucht man
eine neue Theaterfamilie zu gründen.
Und träumt von einem eigenen Haus, um nicht jeden Gastspielabend erneut das
Publikum von der besonderen Shakespearespielweise überzeugen zu müssen.
Papula: „Ohne Subventionen ist ein Jahresabonnement in einer Stadt aber
nicht denkbar“. So bleiben „Shakespeare und Partner“ vorerst eine frei
flottierende Künstlerschar, durch eine Theateridee verbundene Reisende.
Demnächst in Norderstedt, Leverkusen, Neu Isenburg, Moisburg, Warendorf,
Lingen, Dreieich, Minden, Hameln, Helsinki, Tallin, Bamberg, Tübingen,
Danzig, Emstal, Bochum, Burgkirchen … und immer wieder Bremen.
16 Apr 2005
## AUTOREN
Jens Fischer
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