# taz.de -- Where the Streets Have No Name | |
> FAHRNFAHRNFAHRN In „Drive“ feiert Nicolas Winding Refn den Neo-film-noir | |
> mit einem existentialistischen Helden, dessen Motto ist „ich fahre, also | |
> bin ich“ | |
VON WILFRIED HIPPEN | |
Mit der Filmmusik kann man schön tricksen. In „Drive“ wird zum Beispiel | |
ständig der Song „Where the Streets Have No Name“ von U 2 harmonisch und im | |
Arrangement so knapp verfehlt, dass dadurch gerade noch eine Plagiatsklage | |
gegen den Komponisten Cliff Martinez vermieden werden dürfte. Nicht jeder | |
im Publikum wird dieses Zitat direkt heraushören, aber unterschwellig | |
schwingt die Erinnerung an den Song mit und dadurch bekommt der Soundtrack | |
gleich einen viel größeren Resonanzkörper. Außerdem passt der Titel perfekt | |
zum Film, denn hier fährt ein Held ohne Namen viele ins Reich der | |
namenlosen Straßen, sprich in den Tod. | |
„Der Fahrer“ wird hier gänzlich durch sein Handeln definiert, ein Name wä… | |
da überflüssig. In der ersten Sequenz des Films wird eindrucksvoll gezeigt, | |
was er macht. Bei Überfällen und Einbrüchen fährt er den Fluchtwagen. Die | |
anderen führen die Verbrechen aus und engagieren ihn als Spezialisten für | |
Verfolgungsjagden. Bei einem wohl ein wenig zu eng geplanten Raub fährt er | |
einer ganzen Flotte von Polizeiautos davon und zwar nicht nur durch jene | |
verwegenen Fahrmanöver, die in amerikanischen Thrillern meist im Übermaß | |
zelebriert werden, sondern eher durch kluge Strategie, genaue Ortskenntnis | |
und raffinierte Nutzung der Überwachungs- und Medientechnologien. Jene | |
Kinogänger, die sich an so genanntem „car-porn“ im Stil von „2 Fast 2 | |
Furious“ ergötzen, werden schnell merken, dass sich der Kinobesuch für sie | |
nicht lohnt. Es gibt zwar einige virtuos inszenierten Verfolgungsjagden in | |
„Drive“, aber sie sind nicht der raison d’être des Films. | |
Stattdessen wird ganz ähnlich wie in „The Driver“ von Walter Hill von 1978, | |
der mit einer fast deckungsgleichen Ouvertüre beginnt und in dem Ryan O’ | |
Neil den ebenfalls namenlosen Helden spielte, davon erzählt, wie der | |
Protagonist zuerst als ein Mensch ohne Geschichte, Gefühle und Moral | |
vorgestellt wird, dessen Panzer aber zunehmend Risse bekommt. Damit steht | |
er in der Tradition des existentialistischen Helden des film noir und ist | |
(mit O’ Neil als uncoolem Vater) ein Enkel von Alain Delons „Le Samourai“. | |
Mit all diesen Bezügen spielt Nicolas Winding Refns, doch in ihnen | |
erschöpft sich sein Film zum Glück nicht. | |
Während Hill in „The Driver“ extrem minimalistisch erzählte (auch die | |
anderen Figuren bleiben als „The Detective“ oder „The Player“ ohne Name… | |
füllt Refn seinen Film mit einer ganzen Reihe von bunten und präzis | |
gezeichneten Charakteren, die der Geschichte Leben und Gewicht geben. So | |
die Nachbarin mit ihrem jungen Sohn und dem Mann im Gefängnis, der bald | |
entlassen wird, aber nicht wie erwartet eifersüchtig auf den neuen | |
Bekannten seiner Frau reagiert. Keine von diesen Figuren hängt an den | |
Ketten einer trivialen Genre-Erzählung. Auch Ron Perlman als ein jüdischer | |
Gangsterboss, der es satt hat, von den Mafia-Kollegen als „Kike“ beschimpft | |
zu werden und Albert Brooks als ein Filmproduzent, für den „der Fahrer“ als | |
Stuntman arbeitet sind zugleich komplexe und kuriose Figuren, deren Motive | |
sich so überkreuzen, dass sich dabei zwar der im film noir so beliebte | |
labyrinthische Plot entwickelt, dieser aber nicht wie sonst so oft zum | |
stilistischen Selbstzweck verkommt. | |
Der dänische Regisseur Nicolas Winding Refn hat schon mit seiner | |
Pusher-Trilogie bewiesen, wie gut er im Rahmen eines Genres arbeiten kann, | |
ohne sich durch dessen Konventionen beschränken zu lassen. Hier erzählt er | |
die im Grunde genau vorhersehbare Geschichte mit so überraschenden und | |
irrwitzigen Wendungen, dass seltsamerweise gerade die paar Autofahrten und | |
Gewaltszenen die Geschichte eher verlangsamen. Doch auch dafür hat Refn ein | |
gutes Gespür, und so kracht und spritzt es erfreulich kurz und knapp in | |
seinem Film. Diese guten Regie-Tugenden haben auf dem letzten Filmfestival | |
von Cannes die Jury so überzeugt, dass Refn den Preis für die beste Regie | |
bekam. | |
Gerade die Rolle des Mannes ohne Namen muss ein Mann auch ausfüllen können, | |
und Ryan Gosling hält sich angesichts der Vorbilder wie Clint Eastwood und | |
Alain Delon erstaunlich gut. Während alle anderen Schauspieler sich im Film | |
schön austoben können (Perlman hat ein paar grandiose Momente), muss er | |
ohne viel Text, Mimik oder Gesten allen Ausdruck aus dem Inneren holen. | |
Dies ist der Mann, der in „Lars und die Frauen“ eine Gummipuppe liebte und | |
in „The Ides of March“ so überzeugend den Wandel vom Idealisten zum | |
Politiker darstellte. | |
26 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
WILFRIED HIPPEN | |
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