# taz.de -- „Wir mussten lernen, wann Lächeln ja heißt und wann Lächeln ne… | |
> CHINA Das Schweizer Fotografenpaar Braschler und Fischer porträtierte | |
> während sieben Monaten Chinesen in ihrer Arbeitsumgebung | |
INTERVIEW JUTTA LIETSCH | |
taz: Frau Fischer, Herr Braschler, vor Ihrer Reise nach China hatten Sie | |
eine Porträt-Serie in den USA gemacht, die 2007 in einem Fotoband unter dem | |
Titel „About Americans“ erschienen ist. Wie unterschied sich Ihre Arbeit | |
mit Amerikanern von der mit Chinesen? | |
Mathias Braschler/Monika Fischer: Bevor wir in China anfingen, haben uns | |
alle gewarnt: Chinesen würden sich nicht als Individuen inszenieren wollen, | |
hieß es. Sie seien ganz anders als die Amerikaner, die große | |
Selbstinszenierer sind und dafür auch vor dem Spiegel üben. Wir haben | |
unterwegs erfahren, dass es gar nicht so ist. Die Chinesen haben die | |
Aufmerksamkeit sichtlich genossen, die so ein Porträtfoto bringt. | |
Wie haben Sie sich verständigt? | |
Die Verständigung hat uns größere Schwierigkeiten bereitet. Wir sind es | |
gewohnt, selber auf die Leute zuzugehen, aber nun mussten wir alles über | |
unseren Assistenten machen, der auch für uns übersetzt hat. Wir mussten | |
zuerst auch lernen, die Körpersprache der Leute zu verstehen. | |
Warum war das wichtig? Je einfacher die Leute waren, Bauern zum Beispiel, | |
umso offener waren sie. Auch sympathischer. Wir haben spontan in Fabriken | |
angeklopft und gesagt, dass wir jemanden fotografieren wollten, weil die | |
Industrie hier in China so wichtig ist. Unsere Anfragen wurden oft mit | |
Lächeln quittiert. Wir mussten lesen lernen, wann das Lächeln „nein“ und | |
wann es „ja“ heißt. Vor der Kamera drücken sich Chinesen auch anders aus | |
als Amerikaner: Chinesen sind mehr bei sich selbst, nicht so sehr nach | |
außen gewandt. Deshalb mussten wir mit der Kamera näher an die Leute | |
herangehen als in den USA. | |
Was hat Sie bei Ihrer Arbeit am meisten überrascht? | |
Die große Vielfalt. Es gibt ja viele ethnische Minderheiten. Zwischen | |
Han-Chinesen und Uiguren, Mongolen und Tibetern liegen Welten, und alle | |
reagieren sehr unterschiedlich auf die Kamera. Aber es gibt auch sehr große | |
Unterschiede innerhalb der Gruppe der Han-Chinesen … | |
… die rund 90 Prozent der Bevölkerung Chinas ausmachen. Aus dem Ausland | |
gesehen scheinen sie ja oft wie eine homogene Masse, aber wir haben sehr | |
große Differenzen gefunden, so wie bei uns in Europa zwischen Schweden und | |
Süditalienern. | |
Konnten Sie überall fotografieren oder gab es Hindernisse? | |
Erstaunlicherweise waren die Leute ausnahmslos spontan und offen – | |
praktisch alle wollten mitmachen. Obwohl es sie viel Zeit kostete, denn im | |
Durchschnitt dauerte es eine Stunde, bis alles aufgebaut und inszeniert | |
war. Wir können ganz schnell sein, wenn es sein muss, zum Beispiel wenn das | |
Thema etwas kritischer ist oder die Leute nicht so viel Zeit haben. Es kann | |
aber auch sein, dass wir einen Tag mit ihnen verbringen. Allerdings hatten | |
wir gelegentlich Probleme mit der Umgebung – nicht mit den Leuten selbst, | |
die wir porträtiert haben. Dabei zeigte sich, dass viele Chinesen eine | |
kritische Einstellung zu dem haben, was Ausländer in ihrem Land tun. | |
Mehrmals gerieten wir in Situationen, in denen Umstehende partout nicht | |
wollten, dass wir gewisse Themen fotografierten. Sie fanden, dass wir China | |
im falschen Licht darstellten. Zum Beispiel? | |
Wir haben einen jungen Mechaniker fotografiert. Der lag schon den ganzen | |
Tag unterm Lastwagen und war deshalb völlig mit Öl verschmiert. Da haben | |
die Umstehenden begonnen, die Polizei anzurufen. Alle haben hier ja ein | |
Handy. Plötzlich schlug die Stimmung um, wurde aggressiv. Am Schluss hat | |
uns die Polizei fast aus dem Mob heraus gerettet. Die Polizisten haben uns | |
lange auf der Wache festgehalten, befragt, und dann über Nacht im Hotel | |
quasi eingeschlossen. Wir haben ihnen erklärt, dass der Dreck auf dem | |
Gesicht und der Kleidung des Mechanikers in unserer Kultur dafür steht, | |
dass man arbeitet und nicht dafür, dass man schmutzig ist. Das wollten sie | |
aber nicht akzeptieren. Wir mussten dann noch ein Foto machen, das ihnen | |
besser gefallen hat für ihre Stadt, so ein Vorzeigebild. Erst zwanzig | |
Stunden später durften wir weiterreisen. | |
Kam so etwas öfter vor? | |
Wir sind insgesamt dreimal festgesetzt worden. Zweimal hatten wir etwas | |
fotografiert, was der Obrigkeit nicht gepasst hat, weil es ihrer Ansicht | |
nach für das Image von China nicht gut war. Außer dem ölverschmierten | |
Mechaniker war es noch ein Schienenwärter in Xinjiang. Das war sicher auch | |
deshalb problematisch, weil die Region Xinjiang politisch so ein heikles | |
Territorium ist. | |
Und das dritte Mal? | |
Dabei ging es um einen Land-Konflikt, um Leute, die aus ihren Häusern | |
vertrieben wurden. Da war viel Mafia, viel Korruption im Spiel. Die | |
Funktionäre in Wuhan, einer großen Stadt in Zentralchina, wollten nicht, | |
dass etwas über das Problem publik wird. In diesem Fall hatten wir noch | |
nicht einmal die Kamera herausgenommen, sondern Leute, die dort von der | |
Polizei malträtiert worden waren, haben uns kontaktiert und Bilder von | |
mafiösen Gestalten gezeigt und davon, wie sie geschlagen wurden. Das allein | |
hat schon gereicht, dass wir für vier, fünf Stunden festgehalten und immer | |
wieder befragt wurden. | |
Ihre Porträts werden jetzt zum ersten Mal in China gezeigt. Was erwarten | |
Sie für Reaktionen vom chinesischen Publikum? | |
Wir sind sehr gespannt. Bei uns im Westen sind unsere Porträts sehr positiv | |
aufgenommen worden. Wir nehmen an, dass es hier in China eine große | |
Spannweite von Reaktionen geben wird – womöglich von totaler Ablehnung bis | |
euphorischer Zustimmung. Das ist auch gut so. Wir polarisieren. Wenn alle | |
unsere Bilder nur loben würden, dann hätten wir etwas falsch gemacht. | |
Was haben Sie jetzt vor? | |
Wir sind bereits bei unserem nächsten Projekt. Wir fotografieren Menschen | |
in der ganzen Welt, deren Leben jetzt schon vom Klimawandel betroffen ist. | |
Nächste Station ist Russland. | |
29 Jul 2009 | |
## AUTOREN | |
JUTTA LIETSCH | |
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