| # taz.de -- Von der Hero bis zum Zero | |
| > Popstar Sarah Connor aus Delmenhorst steht für in den gesellschaftlichen | |
| > Mainstream diffundierten Neokonservatismus. Was bedeutet es, wenn so eine | |
| > den Text der Nationalhymne nicht kennt? | |
| VON CLEMENS NIEDENTHAL | |
| Der größte Verdienst von Bands wie Nirvana oder den Smashing Pumpkins sei | |
| letztlich, dass vor langen Haaren und lauten Gitarren, ja dass vor dem | |
| subkulturellen Gestenrepertoire an sich nun wirklich niemand mehr | |
| erschrecken müsse. So hatte es ein konservativer Kritiker bereits in den | |
| mittleren Neunzigern erleichtert festgestellt. | |
| Wenn dem so sei – gerade so genannte Alternative Rocker aus den USA | |
| bestätigen diese Feststellung ja allenthalben auf vorderen Chartpositionen | |
| –, was hat dann eine Sängerin, was hat ein Superstar wie Sarah Connor mit | |
| dem Gestenrepertoire des Pop angestellt? Wohin wandert postkolonialer, aus | |
| der US-amerikanischen Black Music entliehener Pop, wenn er sich zur | |
| Eröffnungsfeier eines Fußballtempels verirrt. Wenn die Delmenhorsterin | |
| Sarah Connor („From Zero to Hero“) in dieser Woche neben dem anderen großen | |
| postkolonialen Deutschamerikaner Thomas Gottschalk die Münchner | |
| Allianz-Arena eröffnen darf. | |
| Mehr als das, sie singt sogar die Nationalhymne. Sie singt für einen kurzen | |
| Moment einen falschen Text („Brüh im Lichte dieses Glückes“). Und wird | |
| aufgrund dieses nationalen Themas einmal mehr zum nationalen Thema. Wie | |
| schon mal, als sie mit angeblich „nichts drunter“ auf dem „Wetten, dass | |
| …?“-Sofa saß. Wie noch mal, als sie zur Mutter der Nation aufgestiegen war. | |
| Und das in einem postfeministischen Körper, der schon kurz nach der | |
| Niederkunft das vermeintliche Stigma der Mütterlichkeit entschieden | |
| verleugnete. | |
| Hätten sich nicht Claudia Schiffer und Heidi Klum auch eben gerade | |
| fortgepflanzt – beide leben zudem in ähnlich postnationalen | |
| Lebensabschnittsgemeinschaften – Connor wäre längst so etwas wie die Uschi | |
| Glas der ganz späten Sechziger, die Inge Meysel der ausgehenden Fünziger | |
| und die ganz junge Conny Froboess in einer Person. Das Rollenmodell einer | |
| Generation pubertierender Teenagerinnen ist sie sowieso. | |
| Rollenmodell der Generation Hüfthose. Rollenmodell einer kalkulierten, | |
| domestizierten Sexualisierung des Alltagslebens, dem Connor längst | |
| ergänzend ein zweites Modell hinzugefügt hat: die frühe und selbstbewusst | |
| inszenierte Eheschließung, das stete und überzeugte Ausstellen so genannter | |
| Family Values. | |
| Der größte Verdienst einer Sängerin wie Sarah Connor, so könnte man in | |
| Analogie zur Eingangsthese attestieren, ist demnach, dass auch von | |
| Hüfthosen und Bauchnabelpiercings keine moralische Gefahren mehr zu | |
| erwarten sind. Höchstens staatstragendes Liedgut. | |
| Pop ist also ein langweiliges Gewerbe. Bis so ein gemeinsamer | |
| gesellschaftlicher Nenner wie Connor eines Abends in der Allianz Arena die | |
| Nationalhymne vergeigt. „Brüh im Lichte dieses Glückes …“, wollen einige | |
| gehört haben. | |
| Tiefenpsychologisch aufgeladen könnte man argumentieren, dass sich da ein | |
| musikalisches Werk gegen seine eigene Amerikanisierung und seine eigene | |
| Eventisierung gewehrt hat. | |
| Und in der Tat hätte dieser Dreh funktioniert: Immerhin sind sich plötzlich | |
| alle einig, dass man die Hymne künftig einer Blaskapelle, den elf | |
| Ballartisten und dem weiten Rund der mehr oder weniger hymnischen | |
| Stadionzuschauer überlassen sollte. Keine Experimente. | |
| Nicht ganz so tiefenpsychologisch aufgeladen wäre hingegen festzuhalten, | |
| dass eine vergeigte Nationalhymne eigentlich kein Thema sein sollte. Außer | |
| eben für einen Künstlerentwurf wie den der Sarah Connor, die auch dies | |
| symbolisiert, ja symbolisieren will: einen in den gesellschaftlichen | |
| Mainstream diffundierten Neokonservatismus. | |
| So hat Sarah Connor letzten Endes vielleicht tatsächlich ein Problem. | |
| Gemessen an dem von ihr kommunizierten Welt- und Selbstbild wäre die | |
| Nationalhymne tatsächlich ihr schlüssigster Hit – den hat sie verpatzt. | |
| 4 Jun 2005 | |
| ## AUTOREN | |
| CLEMENS NIEDENTHAL | |
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