Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- debatte: Illusion Eigenverantwortung
> Der Westen hat zu lange geglaubt, dass sich die Konflikte auf dem
> Westbalkan per laissez-faire von selbst lösen. Das hat gefährliche
> Nationalisten gestärkt
Das Beispiel der Stadt Mostar in Bosnien und Herzegowina zeigt
exemplarisch, wie erfolgreich westliche Friedensarbeit sein kann – aber
auch, wie sie die erreichte Friedensdividende durch Unbeständigkeit
leichtfertig aufs Spiel setzt. Washington und Brüssel sollten zu ihrer
Politik der Abschreckung der späten 1990er Jahre zurückkehren, da ansonsten
die schwelenden Krisen in Bosnien und Kosovo durch nationalistische
Brandstifter wieder entfacht werden könnten.
Am 9. November jährte sich zum 30. Mal die Zerstörung der Alten Brücke
Mostars, der Stari Most, die damals nach monatelangem kroatischen Beschuss
kollabierte. Was während der neunmonatigen kroatischen Belagerung der
muslimischen Altstadt geschah, ist eines der dunkelsten Kapitel der
jugoslawischen Zerfallskriege. Im Washingtoner Abkommen vom März 1994 wurde
dann die bosniakisch-kroatisch dominierte Föderation gebildet, einer der
heutigen Landesteile Bosniens. Um die Wunden des Krieges zu heilen,
betraute die EU im Sommer 1994 den ehemaligen Bremer Bürgermeister Hans
Koschnick mit dem Wiederaufbau und der Wiedervereinigung Mostars.
Koschnick kämpfte gegen den Widerstand der kroatischen Seite und wusste,
dass Versöhnung ein langer Prozess ist. So konzentrierte er sich auf zwei
Punkte: den Wiederaufbau und die Bewegungsfreiheit. Koschnicks Entscheidung
zur Schaffung einer größeren, multiethnisch verwalteten „Zentralen Zone“ …
Herzen Mostars wurde relativiert, was ihn 1996 zum vorzeitigen Rücktritt
bewog. Die EU-Verwaltung wurde abgezogen, Mostar sich selbst überlassen.
Dieses Beispiel zeigt, wie sich die progressive EU-Politik durch
Partikularinteressen hat torpedieren lassen. Dieses Einknicken brachte den
Vereinigungsprozess zum Stillstand und zementierte die Teilung, bis der
vierte Hohe Repräsentant der internationalen Gemeinschaft, Paddy Ashdown,
das Thema 2002 wiederaufnahm. Nun waren die Bosniaken gegen die
Vereinigung.
Ashdown übte immensen Druck auf die Bosniaken aus und verfügte mittels
seiner „Bonn Powers“ das Inkrafttreten eines neuen Statuts. Die
nachfolgende Auflösung der sechs autarken Gemeinden der Stadt und die
Zusammenlegung der sechs Verwaltungen war ein großer Fortschritt für
Mostar: Seit 2004 gibt es eine gemeinsame, multiethnische Stadtverwaltung,
der ein Bürgermeister vorsteht. Vorher gab es sechs Gemeindebürgermeister,
die sechs Verwaltungen vorstanden.
Der anfangs gebrochene bosniakische Widerstand formierte sich wiederum neu,
nachdem Ashdown entschied, seine mit der Vereinigung betraute
Expertengruppe verfrüht nach 18 Monaten abzuziehen. „Mostar sei zu 90
Prozent vereinigt“, die „verbliebenden Details“ würden die Politiker zu
Ende führen, so Ashdown damals. Das Gegenteil trat ein, denn der
Vereinigungsprozess fror ein. Schlimmer wirkte sich die Entscheidung der
internationalen Gemeinschaft kurz danach aus, die „Bonn Powers“ nicht mehr
anzuwenden. Nationalistische Politiker, die während Ashdowns Mandat stark
an Macht eingebüßt hatten, witterten Morgenluft.
Und so kam es: In dem neben der Föderation zweitem Landesteil, der serbisch
dominierten Republika Srpska (RS), wurde der Ultranationalist Milorad Dodik
mit einer aggressiven Kampagne zur Abspaltung der RS 2006 zum Präsidenten
gewählt. Anstatt dieses Warnsignal ernst zu nehmen, fabulierten
internationale Vertreter und Beobachter von der „Eigenverantwortung“, die
die Politik Bosniens übernehmen solle. Die „Bonn Powers“ würden die
demokratische Entwicklung behindern. Als Reaktion auf diese verhängnisvolle
Haltung intensivierte Dodik seine Angriffe auf die internationale
Gemeinschaft und den bosnischen Staat.
Er animierte damit kroatische Nationalisten, seinem Beispiel zu folgen, was
diese auch taten. Kroaten-Führer Dragan Čović, gegenwärtig Dodiks
Hauptverbündeter, begann das alte Kriegsziel – einen kroatischen Teilstaat
– zu propagieren. Die internationale Gemeinschaft hatte einst beträchtliche
Anstrengungen unternommen, um die Kroaten in die Föderation einzubinden und
parallele politische Strukturen aufzulösen, was funktionierte, bis Dodik
auf den Plan trat. Durch das „Laissez-faire“ der internationalen
Gemeinschaft hat Dodik das Land nicht nur paralysiert, sondern an den
Abgrund geführt.
Gefördert wird er vom mächtigen serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić,
dessen Regime nach innen die Politik einer „serbischen Welt“ verfolgt, die
die Vereinigung Serbiens mit den serbisch-bewohnten Gebieten Bosniens und
Kosovos zum Ziel hat. Dies sollte nicht überraschen, führt er doch hiermit
die Politik seines ehemaligen Chefs und Vorgängers Slobodan Milošević
weiter. Der jetzige Hohe Repräsentant Christian Schmidt hat nun endlich
begriffen, welche Gefahr von Dodik ausgeht – aber auch nur, weil Dodik ihn
diesen Sommer rhetorisch scharf angriff.
Solange der Westen nicht erkennt, dass all dies auf dem Westbalkan
zusammenhängt und nicht isoliert betrachtet werden kann, wird diese Region
im „Innenhof“ der EU niemals zur Ruhe kommen. Die Dauerkrise Bosniens und
das aggressive serbische Vorgehen in Kosovo sind zwei Seiten derselben
Medaille, die auch Putin nützen. Solange Belgrad als „Stabilitätsfaktor“
angesehen und mit Samthandschuhen angefasst wird, wird es keine Beruhigung
auf dem Balkan geben.
Am 9. Januar wird Schmidt die Chance haben, seinem ankündigten härteren
Kurs gegen Dodik endlich Taten folgen zu lassen – denn dann wird Dodik, wie
jedes Jahr, seine illegale und verfassungswidrige Militärparade zum
Gründungstag der Republika Srpska abhalten. In den letzten Jahren fand
diese im Beisein von Belgrader Regierungsmitgliedern, russischen
Diplomaten, Putins Biker-Gang „Nachtwölfe“ und vom Uno-Tribunal
rechtskräftig verurteilten Kriegsverbrechern statt. Wird Schmidt erstmals
eingreifen oder wird er Dodik wieder agieren lassen?
23 Nov 2023
## AUTOREN
Alexander Rhotert
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.