# taz.de -- Endstation für den Fed-Ex | |
> Roger Federer wird am Freitagabend sein letztes Spielals Tennisprofi | |
> bestreiten, beim Laver Cup in London imDoppel an der Seite von Rafael | |
> Nadal. Unser Autor hatseine Spiele lange verfolgt und blickt auf die | |
> lange undaußerordentliche Karriere eines Ausnahmespielerszurück | |
Bild: Auf ihn wartet wohl keine Besenkammer: Roger Federer beim letzten Training | |
Von Jörg Allmeroth | |
Als Boris Becker beim Wimbledon-Turnier 1999 endgültig in den | |
Sonnenuntergang seiner Karriere marschierte, schien mir eins klar: Über | |
keinen anderen Tennisspieler und Sportler würde ich noch einmal so viel | |
schreiben, Texte manchmal jeden Tag. Manchmal zwei oder drei Mal am Tag. | |
Wochenlang Tag für Tag. | |
Aber dann kam Roger Federer, und es wurden noch viel mehr Texte, | |
Hunderttausende Worte, viele Millionen Zeichen, viele Begegnungen, viele | |
Interviews. Ich kannte ihn schon aus Juniorentagen, ich beobachtete ihn für | |
schweizerische Zeitungen und Magazine. Ein paar Zuschauer waren meist nur | |
dabei Ende des letzten Jahrhunderts, auf Nebenplätzen der | |
Grand-Slam-Turniere. | |
Es waren Jahre, die ich später als Federers Flegeljahre bezeichnen sollte. | |
Der junge Federer führte sich gelegentlich so auf, wie heute der Australier | |
Nick Kyrgios; er zerhackte seine Schläger, stritt mit Schiedsrichtern, war | |
mit sich und der Welt unzufrieden. Niemand, er selbst und seine Familie | |
eingeschlossen, glaubte damals an die große Weltkarriere. „Ich verzweifele | |
an mir selbst“, sagte mir Federer im September 1998. Da hatte er gerade das | |
Juniorenfinale der US Open gegen David Nalbandian verloren. | |
24 Jahre später, zum Zeitpunkt seines Abschieds beim Laver Cup in London, | |
hat er die Tenniswelt wie kein zweiter bewegt und verändert. Er hat Rekorde | |
gebrochen, Saison für Saison. Er wurde zum König von Wimbledon, der Centre | |
Court war bei acht Triumphen sein grünes Paradies. Er ist längst einer der | |
bekanntesten Menschen des Planeten, sein Logo RF steht für sich als Marke. | |
Die Geschichtsbücher und Chroniken sind voll mit seinem Namen. | |
Doch was in Erinnerung bleibt, sind die großen Kleinigkeiten. Federers | |
Charakter, seine Menschlichkeit, seine Bescheidenheit. Sein Lebensmotto: Es | |
ist nett, wichtig zu sein. Aber noch wichtiger, nett zu sein. Und zwar zu | |
jedem und überall. | |
Wenn ich an ihn denke, kommt mir immer eine Szene aus dem Jahr seines | |
ersten Wimbledonsieges 2003 in Erinnerung. Federer war plötzlich | |
Titelkandidat, eine Größe in London, sein Bild tauchte jeden Tag in den | |
Zeitungen auf. An einem Abend der zweiten Turnierwoche ging ich mit einem | |
Freund über die Hauptstraße des Wimbledon Village, wir sahen eine große | |
Schlange vor einem neu eröffneten italienischen Restaurant. Und wir sahen | |
Roger Federer und seinen schwedischen Trainer Peter Lundgren in der | |
Schlange. Plötzlich kam der Restaurantbesitzer heraus, mit großen Gesten | |
drängte er Federer und Lundgren, an den anderen Wartenden vorbei doch | |
bitteschön in das Lokal zu gehen. Federer aber winkte sofort und mit großer | |
Selbstverständlichkeit lässig ab. Sonderbehandlung: nein, danke! | |
Und auch dies: Federer und die Fans. Als er längst zum Weltstar geworden | |
war, zum globalen Heroen und Supermann, war er noch immer der Mann zum | |
Anfassen. Keiner schrieb so beharrlich Autogramme, posierte mit zugewandtem | |
Lächeln für Selfies mit seinen Anhängern. Wenn er zum Tennisturnier nach | |
Halle reiste, einem seiner Lieblingsorte im Circuit, herrschte nach jedem | |
seiner Matches der absolute Ausnahmezustand. Federer kam aus der | |
Pressekonferenz und schrieb Autogramme, bis die Finger glühten. Manchmal | |
dauerte es länger als ein Satz auf dem Centre Court. „Ich habe selbst als | |
Kind für Autogramme angestanden. Ich weiß, was es den Menschen bedeutet“, | |
sagte Federer mir dazu, „ich habe Spaß daran, die Kids und alle anderen | |
damit glücklich zu machen. Es ist einfach auch ein Moment des Respekts.“ | |
Federer sagte gern, es habe in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten nur | |
drei, vier Tage gegeben, an denen er ohne Freude auf einen Tennisplatz | |
gegangen sei. Seine kindliche Freude am Spiel hatte er sich bis zuletzt | |
bewahrt, man konnte es ihm beim Training ansehen, wenn er sich nach | |
Abermillionen Schlägen noch über den einen geglückten Schlag vergnügte. | |
Überhaupt: Schlechte Laune gab es mit ihm seltenst bis nie – zwei, drei | |
übellaunige Pressekonferenzen vielleicht. Einen zufriedeneren Menschen als | |
ihn kannten die meisten, die mit ihm über all die Jahre zu tun hatten, | |
nicht. | |
Eine schwarze Stunde gab es doch. Zwanzig Jahre ist es her, dass Federer | |
beim Turnier in Dubai sang- und klanglos gegen Rainer Schüttler verlor. Ich | |
war 2002 als einziger deutschsprachiger Journalist vor Ort – und war Zeuge, | |
wie ihm Turnierdirektor Jeff Chapman wegen zu geringen Einsatzes das Preis- | |
und Antrittsgeld streichen wollte. Ich saß mit Federer in der | |
Umkleidekabine, er hatte Tränen in den Augen, es war klar, dass es um | |
seinen guten Namen ging. „Ich werde das nicht auf mir sitzen lassen, ich | |
habe auch meinen Stolz“, sagte Federer. | |
Schließlich einigten sich das Federer-Lager und Chapman darauf, das Geld | |
bei ordentlicher Leistung nach dem Turnier 2003 auszuzahlen. Und da hieß | |
der Sieger: Roger Federer. Noch einmal 16 Jahre später, Federer war längst | |
Teilzeitresident in dem Emirat, Besitzer eines millionenschweren Apartments | |
an der Dubai Marina, holte er im mondänen Aviation Club seinen insgesamt | |
100. Titel. Als wir uns nach dem Finale im Presseraum trafen, lächelte er: | |
„Wer hätte das gedacht…?“ | |
Die meisten seiner 20 Grand-Slam-Titel sah ich. Aus dem Staunen kam ich nie | |
heraus, weil ich wusste, wie sehr der hochbegabte Federer in seinen frühen | |
Jahren um seine Karriere gekämpft hatte. Wie sehr er sich verändern musste, | |
wie er vom heißblütigen, nervösen Talent zum genialen, extrem konstanten | |
Artisten wurde, hinter dessen Erfolgen gnadenlose Selbstdisziplin steckte. | |
Gerade am Ende seiner Laufbahn zog es den großen Meister Federer gern zu | |
den kleineren Schauplätzen, an denen er groß geworden war, weil er die | |
Nähe zu den Fans spüren wollte. Oder zu Schauplätzen, die er noch nicht | |
kannte, am Rand des Tennis-Universums. Es waren immer auch kleine Abschiede | |
vor dem großen Abschied, dem Schlusspunkt. | |
Federer hatte immer weniger Zeit für die Weggefährten der ersten Stunde, | |
aus seinen Greenhorn-Jahren im Tourcircuit. Aber er vergaß nie, jedem von | |
ihnen bei Gelegenheit die Hand zu schütteln und sie mit Namen anzusprechen. | |
Er wusste, was er bei diesen Menschen auslöste – eine emotionale, bewegende | |
Erinnerung. Einen Glücksmoment. Kalkül war es dennoch nie, sondern pure | |
Höflichkeit, Anstand. Werte, die ihm seine Eltern eingetrichtert hatten. | |
Und die er dann, je älter und reifer er wurde, immer intensiver vorlebte. | |
Ist es ein gewagter Vergleich? Als Zeitzeugen kürzlich über ihre Erlebnisse | |
mit der verstorbenen Queen sprachen, war stets davon die Rede, wie sehr die | |
Monarchin ihren Untertanen bei Begegnungen ein beruhigendes Gefühl gab, | |
ihnen die Befangenheit und Nervosität nahm. Ähnlich, wenn auch auf anderer | |
Bühne und Lebenswelt, verhielt es sich mit Federer. „Ich bin nicht | |
bedeutender als irgendjemand, weil ich ein guter Tennisspieler bin“, sagte | |
mir Federer, als ich ihn darauf ansprach, „ich verhalte mich einfach ganz | |
normal. Ich muss mich nicht verstellen. So bin ich einfach.“ Federer, der | |
Mitmensch. | |
Die Federer-Jahre sind Geschichte. Die Jahre der goldenen Ära, der | |
fabelhaften Drei, zusammen mit Rafael Nadal und Novak Djokovic, auch. Es | |
war eine Zeit, die man sich selbst nie hätte vorstellen können. So wie auch | |
Federer selbst: „Manchmal, in den letzten Jahren, fragte ich mich wirklich: | |
War das alles ein Traum?“ | |
23 Sep 2022 | |
## AUTOREN | |
Jörg Allmeroth | |
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