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# taz.de -- Schwein gehabt?
> Erstmals hat ein Todkranker das Herz eines Tieres eingepflanzt bekommen.
> Die Ärzte loben den Eingriff als einen Meilenstein der Forschung. Doch
> die Operation lässt zu viele Fragen offen
Bild: Ein „perfektes“ Organ aus dem Körper eines genmanipulierten Schweins…
Von Kathrin Zinkant
Das Organ war nach Aussage des Chirurgen „perfekt“ gewesen. Und als das
perfekte neue Herz im Brustkorb des 57-jährigen David Bennett zu schlagen
begann, wirkte das auch ganz natürlich. Das Herz aber war Stunden zuvor
erst einem Schwein entnommen worden, noch dazu einem gentechnisch
veränderten Tier. Zum ersten Mal hatten Ärzte die Grenze zwischen zwei
Spezies überschritten, mithilfe der Gentechnik, um einem Menschen mit einem
neuen Organ das Leben zu retten. Eine heroische Operation. So sah es
zunächst jedenfalls aus.
Gut zwei Wochen nach dem medial viel beachteten Eingriff ist David Bennetts
Zustand unbekannt. Die Medizinische Fakultät der University of Maryland
hatte drei Tage nach der Operation noch eine Pressemitteilung mit mehreren
Videos veröffentlicht. Und einen Tag später, am Dienstag, die Beteuerungen
des 65-jährigen Chirurgen Bartley Griffith getwittert, der Patient habe
„ganz einfach nicht sterben wollen“ und sich deshalb auf das riskante
Experiment eingelassen. Am gleichen Tag sollte nach Aussage eines deutschen
Experten die Herz-Lungen-Maschine abgeschaltet werden, die Bennett nach der
Transplantation zunächst am Leben hielt. Ob das Schweineherz inzwischen
eigenständig schlägt, ob der Patient überhaupt noch lebt, bleibt jedoch im
Dunkeln. Die Universität schweigt. Auch Revivicor aus Virginia, jene Firma,
von der die Klinik das zehnfach genetisch veränderte Schweineherz erhalten
hatte, hält sich bedeckt. Sie hatte anlässlich der Operation nicht einmal
eine Pressemitteilung versendet.
Dabei könnte das, was am 7. Januar im OP des University of Maryland Medical
Center in Baltimore geschah, tatsächlich der vorläufige Höhepunkt einer
Jahrzehnte langen Forschungshistorie sein. Der rationale Kern dieser
Historie ist medizinisch mehr als plausibel: Zahlreiche Krankheiten lassen
sich nur heilen, wenn das kranke Organ durch ein gesundes ersetzt wird. Die
ersten erfolgreichen Nierentransplantationen von Mensch zu Mensch fanden ab
1950 statt. 1967 ersetzte Christiaan Barnard das Herz des kranken
Südafrikaners Louis Washkansky durch das Herz eines Unfalltoten. Washkansky
starb zweieinhalb Wochen später an einer Infektion. Das transplantierte
Herz allerdings hatte geschlagen, Barnard verbuchte die Operation als
Erfolg. Diese sogenannte allogene, von einem Menschen zum anderen
vollzogene Transplantation von Organen war damit praktisch etabliert. Auch
in Deutschland werden inzwischen mehrere hundert Herzen pro Jahr
übertragen. Doch es gab und gibt Probleme in der Transplantationsmedizin,
die sich nicht auf dem OP-Tisch lösen lassen.
Das größte von ihnen ist die Verfügbarkeit von menschlichen Spenderorganen.
In Deutschland hat die Zahl der Spender:innen in den vergangenen 20
Jahren im Durchschnitt stark abgenommen, mehr als 9.000 Patient:innen, die
dringend eine Niere oder ein anderes Organ benötigten, standen 2020 [1][nur
913 mögliche Spender:innen] gegenüber. Hinzu kommt, dass von Menschen
gespendete Herzen, Nieren, Lebern, Bauchspeicheldrüsen und Lungen so
übertragen werden müssen, wie sie sind. In vielen Fällen passen sie jedoch
aufgrund ihrer immunologischen Signatur gar nicht zum Körper der
Empfängerin oder des Empfängers. Die Gefahr einer Abstoßung des als fremd
vom Körper wahrgenommenen Organs ist dann zu groß. Und so bleiben vielen
Patient:innen nur das Warten und die Hoffnung, dass es doch noch
klappt.
Es ist keine neue Idee, die dramatisch große Lücke mit tierischen Organen
zu füllen. Schon in den sechziger Jahren wurden in den USA Affennieren in
Dutzenden Operationen auf Nierenkranke übertragen, für die es keine
menschlichen Spendernieren gab. 1983 wurde erstmals ein Pavianherz in ein
Neugeborenes transplantiert. Fast alle Pioniere der allogenen
Mensch-zu-Mensch-Transplantation versuchten sich an Transplantationen von
einer fremden Spezies auf den Menschen, um Alternativen zu den knappen
Spenderorganen zu finden. Auch Schweine galten früh als mögliche Quelle für
neue Organe, da vor allem die Größe von Herz und Nieren gut zum Menschen
passt. Die Erfolge der ersten Xenotransplantationen allerdings waren
gering. Fast ausnahmslos wurden die tierischen, biologisch sehr fremden
Organe von den Empfänger:innen abgestoßen, wenn sie überhaupt
funktionierten. Unterdrückte man die Abwehrreaktion durch starke
Medikamente, kam es zu lebensbedrohlichen Infektionen.
Erst moderne Gen- und Klontechniken haben eine Lösung des Problems
eröffnet: die genetische Anpassung an den Menschen. Tiere können dann als
Spender regelrecht gezüchtet werden. Im Fokus stehen hier inzwischen fast
ausnahmslos Schweine, der Größenfrage wegen, aber auch, weil sie sich
problemlos unter Bedingungen halten lassen, die für den klinischen Einsatz
wichtig sind – steriles Futter und eine Umgebung, die eine Kontamination
mit für Menschen gefährlichen Erregern vermeidet. Und schließlich ist
inzwischen gut untersucht, welche molekularen Eigenschaften des Schweins
dazu führen, dass der menschliche Körper schweinisches Gewebe als Feind
bekämpft. So führen zuckerähnliche Strukturen auf den Schweinezellen zur
sogenannten hyperakuten Abstoßung, einer besonders heftigen Abwehrreaktion
des menschlichen Körpers. Die Zuckerreste lassen sich jedoch eliminieren,
wenn ein bestimmtes Enzym im Schwein gentechnisch aus dem Verkehr gezogen
wird.
Diese und weitere genetische Veränderungen am Schweineerbgut hat Revivicor
für die „Meilenstein“-Transplantation in Baltimore laut Pressemitteilung
der University of Maryland auch vorgenommen. Demnach wurden vier Gene
ausgeschaltet und sechs menschliche Erbanlagen in das Genom des
herzspendenden Schweins eingefügt. Zudem wurde im Patienten ein noch nicht
zugelassenes und auch noch nicht an Patienten geprüftes Mittel zur
Unterdrückung der Immunantwort eingesetzt. Weitere Informationen zum Fall
Bennett oder gar Daten, die als Grundlage eine unabhängigen
wissenschaftlichen Einordnung des Eingriffs herangezogen werden könnten,
gibt es nicht. Das haben auch deutsche Experten moniert. „So hoffnungsfroh
die Zukunftsvision von nahezu jederzeit verfügbaren Spenderorganen auch
stimmt, so sind doch auch noch viele Fragen unbeantwortet, die das Risiko
von Abstoßungsreaktionen betreffen, aber auch Langzeitprognosen, die
grundsätzliche anatomische Übertragbarkeit und Lebensdauer der Organe“,
sagt Jan Gummert, der die Klinik für Thorax und Kardiovaskularchirurgie am
Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen leitet. Eine Einschätzung, ob
solche Transplantationen absehbar möglich würden, sei deshalb derzeit
unmöglich.
Es ist nicht das erste Mal, dass Revivicor seine Transplantationsforschung
auf diese intransparente Weise durchzieht. Die Firma hatte gemeinsam mit
Ärzten eines New Yorker Klinikums im vergangenen Jahr erste Experimente zur
Transplantation von Schweinenieren an hirntoten Patienten durchgeführt. Die
Nieren wurden zwar nicht implantiert, aber an den menschlichen
Blutkreislauf angeschlossen, um zu testen, ob es noch zu einer Abstoßung
komme. Auch damals wurden die Eingriffe nur durch eine Pressemitteilung
publik. Daten und Details blieben geheim, mutmaßlich, um der international
zahlreich vorhandenen Konkurrenz nicht allzu tiefe Einblicke zu gewähren.
Im aktuellen Fall kommt hinzu, dass die Transplantation stattfand, obwohl
die US-Arzneimittelbehörde FDA eine klinische Studie an Menschen zuletzt
abgelehnt hatte. Auch die zwei federführenden Mediziner der University of
Maryland, darunter der Chirurg Bartley Griffith, hatten im Dezember ein
Preprint ins Netz gestellt, in dem es heißt, vor einer klinischen Studie
plane man Langzeitversuche an Affen, um das längerfristige Überleben mit
Gentechnik-Herzen genauer zu prüfen – weil die FDA dies für Tests an
Menschen voraussetze. Dass dieser Plan wohl kurz darauf gekippt und ein mit
Blick auf das Forschungsfeld hochriskanter Eingriff durchgedrückt wurde,
der wissenschaftlich nicht auszuwerten ist, lässt an der Integrität der
beteiligten Forscher und Firmen durchaus zweifeln.
22 Jan 2022
## LINKS
[1] https://www.organspende-info.de/zahlen-und-fakten.html
## AUTOREN
Kathrin Zinkant
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