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# taz.de -- debatte: Eine Phantomdiskussion
> Die Argumente gegen Atomenergie sind erdrückend, selbst die AKW-Betreiber
> wollen aussteigen. Das eigentliche Thema Energiewende wird damit belastet
Der Elefant steht im Raum, und keiner spricht über ihn. Die Klimakrise
zeigt schonungslos die Grenzen unserer lieb gewonnenen Lebensweise auf
Kosten unserer Mitwelt und künftiger Generationen auf. Das lange Zeit
kollektiv geübte Verdrängen und Verschieben der Probleme funktioniert
zunehmend schwer – nicht zuletzt vor dem Hintergrund unabweisbarer
wissenschaftlicher Erkenntnisse. Doch anstelle eines gesellschaftlichen
Diskurses über eine tiefgreifende Umstellung unserer Lebensweise auf
Nachhaltigkeit erleben wir eine schon manchmal verzweifelt anmutende
Hoffnung auf die Erlösung durch Technik und Innovation. Dass dabei der
Fortschrittsglaube der fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts in
Heilsversprechen der Atomenergie neuerdings Wege bis in die Redaktionen
bislang unverdächtiger Presseorgane findet, erstaunt schon.
Welche angeblich neuen Erkenntnisse sollen eine Neubewertung notwendig
machen? Die Atomenergie schien zumindest in der Bundesrepublik seit dem
zweiten Ausstiegsbeschluss vor 10 Jahren abgehakt zu sein. Und auf kürzlich
von meinem Bundesamt angestrengte Forschungsvorhaben zur nüchternen,
wissenschaftlichen Einordnung von sogenannten neuen Reaktortypen („small
modular reactors“) und Wunderwerken der radioaktiven Abfallbeseitigung
(„Partitionierung und Transmutation“) kam aus dem politischen Raum der
Kommentar, ich möge bitte keine schlafenden Hunde wecken. Und doch –
spätestens durch das Vorhaben der EU-Kommission, der Atomenergie ein grünes
Label umzuhängen, ist es mit der Ruhe erst einmal vorbei.
Mit dem Verblassen der Bilder von explodierenden Atomkraftwerken in Japan
wiederholt sich offenbar eine Geschichtsvergessenheit über die
multikausalen Gründe für den Ausstieg aus dieser Hochrisikotechnologie.
Schon einmal, nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl, konnten wir
erleben, wie mit der Zeit die Aufmerksamkeit für die katastrophalen Folgen
einer Reaktorhavarie aus dem Blick geriet. Der Unterschied zu heute ist,
dass damals die Energieversorger mit Unterstützung der Politik an dem
weiteren Ausbau der Atomkraft in Ost- wie Westdeutschland festhielten. Uns
als Gegner dieser Technologie ging es nicht nur um das bloße Nein, sondern
um das Aufzeigen von Alternativen. So war die Katastrophe gleichzeitig der
Booster für die Entwicklung erneuerbarer Energien. Und sie führte zur
Etablierung einer kritischen Fachöffentlichkeit in Wissenschaft,
Zivilgesellschaft und Behörden.
Heute erleben wir ähnlich wie damals erneut eine Kampagne für den Segen des
Atomstroms. Um es kurz zu sagen: Keines der jetzt ins Feld geführten
Argumente, warum Atomstrom nachhaltig sein soll, ist neu und kann fachlich
eine Abkehr vom Ausstieg legitimieren. Atomenergie ist teuer, zerstört die
Umwelt und gefährdet die Menschen bei der Brennstoffgewinnung; sie ist
risikoreich, erzeugt hochgefährliche Abfälle, und – was gerne vergessen
wird – sie fördert die Verbreitung von technischem Know-how zum Einstieg in
die atomare Bewaffnung. Nur eines ist an dieser Technik wirklich
nachhaltig: Mit unseren hochradioaktiven Abfällen müssen sich unabsehbar
viele Generationen beschäftigen, ohne jemals eine eigene
Entscheidungsmöglichkeit für den Eintritt in diese Technologie gehabt zu
haben. Generationengerechtigkeit sieht anders aus.
Die sogenannten neuen Reaktortypen oder -techniken können diese
grundlegenden Probleme nicht lösen. Die Analyse der genannten Konzepte
fällt vielmehr ernüchternd aus: Vielfach handelt es sich um seit
Jahrzehnten bekannte Überlegungen, die sich aus wirtschaftlichen oder
sicherheitstechnischen Gründen nicht durchsetzen konnten. Bei anderen
handelt es sich um Konzeptstudien, die bisher nie großtechnisch erprobt
wurden und somit aus sicherheitstechnischer Sicht noch gar nicht bewertbar
sind. Und: Kein Konzept könnte auch nur ansatzweise rechtzeitig zur
Verfügung gestellt werden, um beim Kampf gegen den Klimawandel zu helfen.
Von den häufig ins Feld geführten kleinen Reaktoren müssten weltweit
mehrere 1.000 bis 10.000 Reaktoren neu gebaut werden, nur um auf den Anteil
der Energieerzeugung zu kommen, der heute von den weltweit 400 Reaktoren
produziert wird. Das entspräche dann rund 10 Prozent des weltweiten
Energieverbrauchs – immer noch zu wenig, um einen spürbaren Akzent bei der
CO2-Reduzierung zu setzen.
Ebenso ist die Forderung einer verlängerten Laufzeit einzuordnen. Ganze
drei Reaktoren können in Deutschland bis Ende dieses Jahres Energie ins
Netz einspeisen und somit ihren Anteil von voraussichtlich etwas über 5
Prozent des Gesamtstrombedarfs beitragen. Sind wir wirklich gut beraten,
hierfür die Axt an einen mühsam, aber von allen Parteien (mit Ausnahme der
AfD) getragenen Ausstiegsbeschluss anzulegen, der einen gesellschaftlichen
Großkonflikt befriedet hat? Die Realisierungschance wird dieses Mal schon
von den Betreibern der Atomkraftwerke beantwortet. Alle haben einem
derartigen Ansinnen eine klare Absage erteilt. Und auch keine der übrigen
Anlagen verfügt mehr über eine Betriebsgenehmigung. Fakt ist: In
Deutschland geht die Atomstromproduktion spätestens in 11 Monaten zu Ende.
Neubauten von Atomkraftwerken sind gesetzlich ausgeschlossen. Es handelt
sich also um eine Phantomdebatte, die aber durchaus das Potenzial hat, die
eigentlichen Themen der Energietransformation zu belasten und die hierfür
notwendige gesellschaftliche Debatte auf Nebenkriegsschauplätze zu
verlagern.
Der Ausstieg aus der Atomenergie löst nicht die Klimakrise, er macht aber
in Deutschland einen gemeinwohlorientierten Weg frei. Es geht darum, die
Umsteuerung in die Erneuerbaren und in die Energieeinsparung konsequent zu
verfolgen. Die Weichen hierzu werden jetzt gestellt. Lasst uns darüber (!)
reden.
18 Jan 2022
## AUTOREN
Wolfram König
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