# taz.de -- Die absolute Unerschrockenheit einer späten Künstlerin | |
> DOKU „Grandma Lo-Fi“ macht sogar mit ihrem Handmixer Musik: Im | |
> Radialsystem hat am Sonntag ein Film Premiere, der die außergewöhnlichste | |
> Künstlerin Islands porträtiert | |
„Die meisten Leute haben so etwas wohl gar nicht“, sinniert die alte Dame, | |
als sie an der Kurbel ihres manuellen Sahnemixers dreht, um zu | |
demonstrieren, wie sie die Hubschraubergeräusche in einem ihrer Songs | |
produziert hat. | |
Sigrídur Níelsdóttir war die wohl originellste Figur der isländischen | |
Musikszene. 1930 in Kopenhagen als Tochter eines Dänen und einer Deutschen | |
geboren, kam sie der Liebe wegen als junge Frau nach Island und blieb dort | |
hängen. Im vergangenen Jahr verstarb sie. Ihr Leben hindurch arbeitete | |
Níelsdóttir in verschiedenen Billigjobs – und entdeckte erst im Alter von | |
siebzig Jahren die Musikerin in sich. | |
In ihrer Kellerwohnung in Reykjavík nahm sie fortan mit einem kleinen | |
E-Piano, einem Doppel-Kassettendeck und zahlreichen Haushaltsgegenständen | |
Lieder auf, die sie selbst komponierte und textete. Und avancierte zur | |
Kultfigur. | |
Über acht Jahre hinweg hat die Musikerin Kristín Björk Kristiánsdóttir –… | |
Island auch unter dem Namen Kira Kira bekannt – gemeinsam mit den | |
Filmemachern Orri Jónsson und Ingibjörg Birgisdóttir die alte Dame immer | |
wieder besucht, interviewt, ihre Songs gecovert und ihre Collagen – denn | |
auch mit der Papierschere war Sigrídur Níelsdottir enorm produktiv – | |
bewundert. Das Ergebnis dieser langen freundschaftlichen Begleitung ist ein | |
zauberhafter kleiner Dokumentarfilm. Liebevoll haben seine MacherInnen die | |
Arbeitsweise von „Grandma Lo-Fi“ auf ihr eigenes Projekt übertragen. | |
Kleinteilig dahingeschnipselt wie Sigrídurs Collagen und multimedial | |
selbstgemacht kommt der Film daher. | |
Die meiste Zeit sehen wir die Künstlerin in ihrer Wohnung. Stolz führt sie | |
vor, wie sie die zahlreichen Hintergrundgeräusche produziert hat, die in | |
ihren Songs zu hören sind. Ein rauschender Wasserfall entsteht, indem | |
Wasser aus dem Hahn in voller Stärke in einen Rührtopf strömt. | |
## Spielerisch und sinnfrei | |
Wenn aber Töpfe verschiedener Größe zu einer absteigenden Wasserstraße | |
angeordnet sind, ergibt sich – bei nur halb aufgedrehtem Hahn – eine | |
Geräuschkulisse, die einem plätschernden Bach nahe kommt. Eine Alufolie | |
stellt ein knisterndes Lagerfeuer dar; und auch Aufnahmen bellender Hunde | |
und gurrender Tauben integriert Níelsdottir in ihre Lieder, die musikalisch | |
keineswegs innovativ sind, sondern einfachen Volksliedcharakter besitzen. | |
Das Faszinierende an dem Werk, das 59 CDs mit 687 Titeln umfasst, ist die | |
absolute Unerschrockenheit des allumfassenden integrativen Ansatzes dieser | |
späten Künstlerin. Zwischendurch treten immer wieder junge MusikerInnen auf | |
und singen vor collagierten Hintergründen Grandma-Lo-Fi-Lieder mit eigenen | |
Texten. Zwischendurch tanzen gezeichnete Papierblumen oder -vögel durchs | |
Bild, spielerisch, poetisch. Und erfrischend sinnfrei. KATHARINA GRANZIN | |
■ Filmpremiere „Grandma Lo-Fi“, Radialsystem, Sonntag, 8. Juli, 18 Uhr | |
7 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
KATHARINA GRANZIN | |
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