# taz.de -- Niedergang durch Erfolg | |
> Die Protestforschung kann erklären, warum die Anti-Atom-Bewegung | |
> ausstirbt: Der gesellschaftliche Wandel, den sie anstrebte, ist erreicht | |
Von André Zuschlag | |
Weitermachen in der Anti-Atom-Bewegung wollen wohl alle, die ihr Leben lang | |
schon gegen Atomkraft gekämpft haben. Und einige – jüngere – | |
Mitstreiter:innen werden auch noch hinzukommen, besonders aus den | |
Gebieten, die in den kommenden Jahren ins engere Blickfeld für den | |
Endlagerstandort geraten. | |
Doch ist die Anti-Atom-Bewegung nicht längst im Niedergang begriffen? | |
Spätestens durch das Aus von Gorleben im Zuge der angelaufenen neuen | |
Endlagersuche? Hat sie nicht längst gesiegt, und sind die jüngeren | |
Generationen nicht längst in anderen ökologischen Problemfeldern aktiv, die | |
drängender und wichtiger scheinen? | |
Vieles, was die besonders in Deutschland intensiv betriebene | |
sozialwissenschaftliche Protestforschung an Erkenntnissen erarbeitet hat, | |
spricht dafür. Als im Herbst nach langer Zeit wieder ein Castortransport | |
vom Nordseehafen Nordenham durch die Republik rollte, war der Protest nicht | |
nur coronabedingt kleiner als in früheren Jahren. Klar, die alten und | |
etablierten Gruppen mobilisierten. Doch von jungen Öko-Gruppen wie | |
Extinction Rebellion oder Fridays For Future gab es nur zaghafte Aufrufe. | |
Für die Umweltbewegung der jüngeren Zeit ist Atomkraft höchstens ein | |
Streifthema. | |
Die Protestforschung und allen voran der Berliner Forscher Dieter Rucht | |
benennen vier Merkmale, die soziale Bewegungen ausmachen. Sie sind, | |
erstens, ein Netzwerk unterschiedlicher Gruppen aus vielen Orten und mit | |
unterschiedlichen inhaltlichen Gewichtungen. Sie alle eint aber, zweitens, | |
eine kollektive Identität, in diesem Fall: die Wahrnehmung, dass das | |
staatliche Handeln gepaart mit Wirtschaftsinteressen Ursache des Übels | |
Atomkraft ist. Drittens wählen Bewegungen als Protestform Aktionen im | |
öffentlichen Raum. Und viertens wollen sie tiefgreifenden | |
gesellschaftlichen Wandel – und nicht nur eine Änderung einzelner Gesetze. | |
Während die ersten drei Merkmale auf die Anti-Atom-Bewegung zumindest in | |
weiten Teilen immer noch zutreffen, ist beim vierten Merkmal fraglich, was | |
die Zukunft der Bewegung bringt. Denn: Der tiefgreifende gesellschaftliche | |
Wandel – also die Abkehr von der Atomkraft, die nun anstehende endgültige | |
Abschaltung der letzten Meiler und das Aus von Gorleben – ist erreicht. Die | |
Bewegung hat gesiegt, sie hat sich durchgesetzt mit ihrer Vorstellung, wie | |
Gesellschaft aussehen soll. Warum sollten Jüngere also noch in der Bewegung | |
mitmachen? | |
Das mögen die Aktivist:innen anders sehen, für sie ist der Kampf noch | |
nicht gewonnen. Sie werden sich bis an ihr Lebensende weiter engagieren und | |
ihren riesigen Wissens- und Erfahrungsschatz gegen die kommenden Pläne bei | |
der Endlagersuche kritisch einbringen. Doch ist das dann keine soziale | |
Bewegung mehr, der es gelingt, die Massen für ihre Forderungen zu | |
mobilisieren. | |
6 Feb 2021 | |
## AUTOREN | |
André Zuschlag | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |