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# taz.de -- „Einen Tag später hätte ich das Kind verloren“
> Protokolle aus der Pandemie I: Susan Musimbi* kam schwanger und mit zwei
> Kindern aus Kenia nach Bremen. In der Erstaufnahme in der Lindenstraße
> erlebte sie allerlei Schikane und vier Wochen Quarantäne unter hygienisch
> und sozial gefährlichen Bedingungen
Protokoll Jan Zier
Ich kam im Januar nach Bremen in die Erstaufnahme in der Lindenstraße. Dort
wurden wir alle auf Corona getestet und mussten zehn Tage warten, um zu
sehen, ob sich Symptome zeigen. Die Situation in der Einrichtung war aber
wirklich schlecht und entmenschlichend für uns. Viele Menschen saßen dicht
an dicht zusammen in der Essenshalle, wir hatten erst einmal keine Masken
und keine Desinfektionsmittel, wir konnten auch nicht nach draußen. Wir
konnten gar nichts machen.
Als diese Tests begannen, lebte ich mit meinen beiden Kindern, neun und elf
Jahre alt, zusammen mit zwei weiteren Frauen mit je einem Kind zusammen in
einem Zimmer, also zu siebt; zudem war ich schwanger. Ich war dann jeden
Tag bei der Arbeiterwohlfahrt, die die Erstaufnahme betreibt, und habe sie
nach einem anderen Zimmer gefragt, habe sie angebettelt. Es gibt da ja auch
kleinere Zimmer für Familien – aber ich wurde abgewiesen. Obwohl es
durchaus noch leere Zimmer gab.
Später wurde ich dann selbst positiv auf Corona getestet und meine beiden
Jungs auch. Trotz der folgenden Quarantäne haben wir alle dasselbe
Badezimmer, dieselben Toiletten, dieselben Waschbecken benutzt. Was ist das
für eine Quarantäne, in der man kein eigenes Zimmer, keine eigene Toilette
hat? Und die Fenster waren auch die ganze Zeit geschlossen, also kam nicht
mal frische Luft herein.
Für Schwangere war es während der Quarantäne sehr schwer, ihre Termine beim
Arzt einzuhalten. Die wurden abgesagt, solange sie nicht als dringend
galten. Ich war damals ja selbst hochschwanger und meine Schwangerschaft
war stressig, trotzdem durfte ich nicht zur Frauenärztin gehen. Das sei
nicht wichtig, hieß es in der Erstaufnahme. Am nächsten Tag musste ich dann
aber als Notfall mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht werden.
Dort hieß es: Wenn ich einen Tag später gekommen wäre, hätte ich das Kind
vielleicht verloren. Es kam dann per Kaiserschnitt zur Welt, es geht ihm
gut. Positiv auf Corona getestet wurde es nicht.
Als ich in der Klinik ankam, durfte ich aber nicht mal das Badezimmer
benutzen und wurde stattdessen auf den Toilettenstuhl verwiesen. Später
wurde ich dann in meinem Zimmer eingesperrt. Ich fühlte mich stigmatisiert
– zum einen, weil ich schwarz bin, zum anderen wegen Covid-19. Nach einiger
Zeit behandelten sie mich dann aber besser. Insgesamt war ich sieben Tage
im Krankenhaus untergebracht.
Derweil lebten meine beiden Jungs weiter allein in der Lindenstraße, das
war eine schlimme Erfahrung für sie. Sie waren ängstlich und traumatisiert
und wussten nicht, was hier passiert. So behandelt man Kinder nicht! Selbst
nach der Quarantäne konnten sie erst einmal mit niemandem reden, sie hatten
dieses Stigma. Ich war zweimal 14 Tage in Folge in Quarantäne, insgesamt
also einen ganzen Monat. Das war verheerend.
Die Security der Arbeiterwohlfahrt in der Lindenstraße hat uns wirklich
schlecht behandelt, da gab es viel Missbrauch und Rassismus, ich möchte das
gar nicht alles erzählen. Sie haben uns angeschrien und wie Kinder
behandelt. Sie haben uns erzählt, wir müssten Masken tragen – selbst trugen
sie aber keine. Und auch als ich hochschwanger war, durfte ich den Lift
nicht benutzen, selbst wenn ich schwer mit Wasser oder anderem bepackt war.
Ich musste immer Treppen steigen, und sie haben es abgelehnt, uns zu
helfen.
Meine Kinder haben sich immer vor dieser Security in der Lindenstraße
gefürchtet, und sie sind auch deshalb traumatisiert. Sie haben nicht
verstanden, warum ich so behandelt werde, warum ich danach dasaß und
weinte. Ich sagte ihnen, da kann man nichts machen, da kann man nur
abwarten und hoffen, dass es besser wird.
Jene, die für bessere Lebensbedingungen in der Lindenstraße demonstriert
haben, wurden dann nachher alle in andere Übergangswohnheime verbracht. Ich
war auch bei den Demonstrationen dabei, war aber etwas zurückhaltend, wegen
meiner Kinder, und um nicht in Schwierigkeiten zu geraten. Denn jene, die
da protestierten, wurden anschließend deswegen schikaniert.
Jetzt lebe ich in der Ermlandstraße, dort geht es uns viel besser und die
beiden Jungen gehen nun hier auch in die Schule. Die Security in diesem
Übergangswohnheim ist gut und die Sozialarbeiter geben auch ihr Bestes, um
uns zu helfen. 2021 will ich dann selbst in die Schule gehen und einen
Sprachkurs machen, um Deutsch zu lernen.
* Name geändert
28 Dec 2020
## AUTOREN
Jan Zier
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