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# taz.de -- „Ich bin genetisch optimistisch“
> Alfred Grosser über die Unlösbarkeit des Nahostkonflikts, den Streit über
> die „Auschwitzkeule“ und kollektive Erinnerung
INTERVIEW MORITZ REININGHAUS
taz: Herr Grosser, der Titel Ihres Buches „Von Auschwitz nach Jerusalem“
spricht jenen Zusammenhang zwischen Holocaust und der Existenz Israels an,
den Sie vehement abstreiten. Wie kommen Sie dazu, diesen weithin
akzeptierten Umstand abzulehnen?
Alfred Grosser: Bei Gründung des Staates Israel war von Auschwitz noch
wenig die Rede. Erst seit dem Eichmann-Prozess wurde Auschwitz zum
zentralen Thema in Jerusalem, und bei den „Reparationsverhandlungen“ von
Adenauer durfte Israel noch nicht für alle Juden sprechen. Heute heißt es:
Wir sind die Opfer oder die Erben der Opfer und vor diesen haben sich in
Jad Vaschem alle zu verneigen. Dazu gehört aber auch die Frage: Wer muss
heute für Auschwitz Opfer bringen? Da kommt die arabische Antwort: Warum
sollen wir dafür geradestehen, dass in Europa Grausamkeiten begangen worden
sind? Darauf hat Israel nie eine Antwort gefunden. Deshalb sind wir heute
auch so weit, dass es keine Zwei-Staaten-Lösung mehr geben kann.
Die gilt jedoch als einzige realistische Lösung des Nahostkonflikts?
Aber sie ist doch schon lange nicht mehr möglich! Durch die jüdischen
Siedlungen entstand ein Flickenteppich, auf dem es keine territoriale
Einheit geben kann. Im Zuge der gegenwärtigen Politik werden gegen alle
Versprechungen der israelischen Regierung immer mehr Siedlungen gebaut.
Also tut man so, als gebe es dort keine Araber, ganz nach der Losung von
1948 „Ein Volk ohne Land für ein Land ohne Volk“.
Warum gibt es kein Interesse, den Nahostkonflikt zu lösen?
Ist er denn lösbar? Ich denke, nicht! Ich bin genetisch optimistisch und
intellektuell pessimistisch, aber hier versagen meine Gene. Ich sehe nur
eine Lösung: Israel muss aufhören, ein jüdischer Staat zu sein, und ein
weltlicher Staat werden, in dem alle Bürger gleich sind und dieselben
Rechte haben. Natürlich müssen alle Juden freien Zugang zu diesem Land
haben.
Welche Rolle spielt Deutschland im Nahostkonflikt?
Ich kann nicht beurteilen, was hinter den Kulissen geschieht, aber ich
erkenne einen enormen Unterschied zwischen der Bundesrepublik und
Frankreich. Als Bundespräsident Horst Köhler im Februar 2005 vor der
Knesset sprach und er sagte, das Erbe des Nationalsozialismus sei, dass die
Deutschen überall und zu jeder Zeit für die Menschenrechte eintreten
sollten, hatte ich die Hoffnung, dass auch die Palästinenser Menschen sind.
Aber dann war nur noch vom „Terror der Hamas“ die Rede. Und dann kam die
Kanzlerin – und es war furchtbar: Sie fand kein einziges Wort für die
Palästinenser, nur „Terror, Terror, Terror“. François Mitterrand dagegen
war der Erste, der vor der Knesset für die Rechte der Palästinenser
eingetreten ist, und zu meiner Überraschung hat Nicolas Sarkozy 2008 in
Jerusalem noch härter gesprochen. Nach vielen Komplimenten und Bezeugungen
der Verbundenheit sprach er an, dass man eventuell Gebiete austauschen
muss. Grundlage hierfür waren die Grenzen von 1967, was für Israel
natürlich erhebliche Einschnitte bedeuten würde.
Wie ist das mit dem „Terror“? Sie weisen darauf hin, dass auch die
israelische Widerstandsbewegung, die Hagana, als Terrororganisation
begonnen hat.
Saul Friedländer sprach in seiner Friedenspreisrede nur vom Leiden der
Seinen. Sein Laudator Wolfgang Frühwald hingegen erklärte, dass sich
Friedländer rückbekehrt hat, vom Katholizismus zum Judentum. So wurde aus
Paulus Saulus. Friedländer war aber auch Mitglied der terroristischen
Bewegung in Israel – heute gehört er zu „Peace Now“. Es wäre interessant
gewesen, wie man vom einen zum anderen kommt. Was mich heute stört, ist die
Ungleichbehandlung. In Berlin wurde ein Sderot-Platz eingeweiht – mit
Reden, die in meinen Augen skandalös waren. Und ich frage seitdem: Wo ist
der Gaza-Platz? Wie kann man die Raketen der Hamas und die geplante
Zermalmung von Häusern durch Panzer, Flugzeuge und tausenden Bomben
miteinander vergleichen?
In der Vergangenheit haben Sie sich erfolgreich um die
deutsch-französischen Beziehungen verdient gemacht, jetzt bemühen Sie sich
um das palästinensisch-israelische Verhältnis. Welche Erfahrungen können
Sie einbringen?
Ich bin oft gefragt worden: Wie habt ihr es gemacht? Was können wir tun? Im
Fall Israel/Palästina weiß ich es nicht, ich habe kein Rezept. Eine
vorsichtige Antwort hat Daniel Barenboim. Sein Konzert in Ramallah war
wunderbar, auch wenn es dem Orchester derzeit sehr schlecht geht. Seit dem
Gaza-Krieg sind die Spannungen so groß, dass es vielleicht
auseinanderbricht, aber der Versuch ist richtig. Mich kümmert dabei vor
allem der deutsche Beitrag im Nahostkonflikt. Deshalb habe ich auch sehr
die Entscheidung des Börsenvereins kritisiert, Barenboim nicht den
Friedenspreis des Deutschen Buchhandels zu verleihen. Claudio Magris ist
ein guter Germanist. Was er jedoch mit Frieden zu tun hat, weiß ich nicht.
Man ist ausgewichen, denn bei Barenboim als Preisträger hätte es einen
großen Aufschrei gegeben. Schon ihn zu loben, gilt in Deutschland als
antisemitische Aussage.
Wird der Antisemitismusvorwurf in Deutschland zu leichtfertig gebraucht?
Bereits der einfache Vergleich zwischen Antisemitismus und Islamophobie hat
meinen Freund Wolfgang Benz vor große Schwierigkeiten gestellt. Selbst das
galt als antisemitisch, was vollkommen an der Wirklichkeit vorbeigeht. Man
muss auch die Muslime in Frankreich und Deutschland mit einbeziehen. Denn
sie sind heute die Diskriminierten. Während jemand in Frankreich und
Deutschland nicht mehr diskriminiert wird, weil er Jude ist, werden
Tausende diskriminiert, weil sie Muslime sind.
Ein zentrales Thema Ihres Buches ist die „Unvergleichbarkeit“ von
Auschwitz, die Sie ablehnen.
„Unvergleichbarkeit“ ist für mich in jedem Fall ein Wort, das idiotisch ist
– so etwas gibt es nicht. Außer man sagt theologisch, Auschwitz ist
einmalig. Aber wenn man nicht vergleicht, kann man es nicht beweisen.
Sie scheuen nicht den Vergleich des „Dritten Reichs“ mit anderen
totalitären Regimes?
Ich finde, dass Mao schlimmer war. Man macht immer den Vergleich Hitler und
Stalin, aber meiner Meinung nach muss man Mao da mit einbeziehen – er hat
am meisten getötet, nur eben sein eigenes Volk, und das auch noch außerhalb
Europas, deswegen kümmert es keinen.
Sie schrecken nicht davor zurück, den Begriff „Auschwitzkeule“ zu
verwenden?
Martin Walser hat das vor mir gemacht – und zwar richtig. Jedes Mal, wenn
ein Deutscher sagt: „Die israelische Politik ist falsch“, heißt es: „Denk
an Auschwitz!“
Sie lehnen die Kollektivschuldthese kategorisch ab?
Die Titelseite des Spiegels von Ende August mit dem Titel „Der Krieg der
Deutschen – 1939: Als ein Volk die Welt überfiel“ ist ein
Kollektivschuldbekenntnis, wie es noch nicht einmal in Nürnberg gemacht
worden ist. Ich glaube, dass sich dies bei den Deutschen in den letzten
Jahren verstärkt hat. Man vergisst immer, dass die Menschen in Deutschland
den Krieg nicht wollten. Das zeigen die Gestapo-Berichte zur Stimmung der
Bevölkerung.
Auch das Modell der „kollektiven Erinnerung“ greifen Sie an.
Es gibt keine kollektive Erinnerung, kein kollektives Gedächtnis. Wer 1945
noch nicht geboren war, kann sich nicht daran erinnern. Was er von damals
weiß, wurde ihm vermittelt. Und das heißt: Es hätte auch anders übermittelt
werden können. Es hängt also von Geschichtsbüchern, Elternhäusern und
Medien ab. Deshalb versuche ich gegen das Bild anzukämpfen, das die
Deutschen von sich haben.
Steckt hinter dieser Ablehnung nicht auch Ihre Skepsis gegenüber
Gemeinschaftlichkeit?
Das kann sein. Jedes Mal, wenn jemand glaubt, er hat nur eine
Zugehörigkeit, wird er undifferenziert und intolerant. Deswegen betone ich
immer, dass mein Vater Professor an der Universität, Kinderarzt,
Klinikleiter, Freimaurer und neben vielem anderen eben auch Jude war.
Hitler hat gesagt: „Du bist nur Jude.“ Warum soll ich mich von Hitler
definieren lassen? Warum war man gegen Hitler? Ich war nicht gegen Hitler –
Hitler war gegen mich. Ich hatte gar keine Wahl. Fritz Erler hatte die
Wahl, Wilhelm Leuschner hatte sie. Die waren nicht wegen des gegen sie
gerichteten Antisemitismus gegen Hitler, sondern weil er Menschen
verachtete. Also muss man überall gegen Menschenverachtung,
Rassendiskriminierung und Überheblichkeit sein. Das wäre die richtige
Konsequenz aus dem Satz: „Wir verurteilen Hitler in der Vergangenheit.“
Positiv ausgedrückt lassen Sie sich von keiner Seite vereinnahmen. Negativ
gesagt, stellen Sie sich auch nicht bedingungslos hinter jemanden.
Außer im Krieg. Im Zweiten Weltkrieg war ich gegen Hitler, im Algerienkrieg
war ich gegen die Generäle. Bis zum Kriegsende ist man auf einer Seite,
danach nicht mehr. Deshalb begann ich nach 1945, zur Verständigung zwischen
Deutschen und Franzosen beizutragen. Da musste ich mich an das Prinzip
halten, dass es keine Kollektivschuld gibt, und es war mir egal, wer von
Auschwitz wusste, auch wenn das natürlich zur Verantwortung auf deutscher
Seite beitrug.
Sie bezeichnen sich als „atheistischen Humanisten“. Was beinhaltet dieses
Weltbild?
Dass es Menschen gibt. Das ist das zentrale Problem für Israel, denn es
gibt dort viele Atheisten. Wie können die sich auf die Bibel beziehen, an
die sie nicht glauben? Die biblischen Schilderungen gelten heute noch als
Begründung dafür, warum Juden Anspruch auf Palästina erheben.In Ihrem Buch
sprechen Sie vom „Fortschritt der warmen Vernunft“. Wie sieht der aus?
Vernunft allein genügt nicht, aber ohne Vernunft geht es nicht. Man muss
den Anderen im Rahmen seiner eigenen Prinzipien anerkennen. Das Judentum
beruht auf Universalismus. Doch der droht zu verschwinden. Sonst müsste man
die Araber ja als ebenbürtig anerkennen.
28 Sep 2009
## AUTOREN
MORITZ REININGHAUS
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