# taz.de -- Grundsatzrede vor halb leeren Rängen | |
> In ihrer Rede im EU-Parlament kündigt EU-Chefin von der Leyen mehr | |
> Klimaschutz und den Kampf gegen Rassismus an. Vage bleibt sie beim Thema | |
> Moria | |
Aus Brüssel Eric Bonse | |
Die Europäische Union will mehr für den Klimaschutz tun und den Ausstoß von | |
Treibhausgasen reduzieren. Dies sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der | |
Leyen am Mittwoch in ihrer ersten Rede zur „Lage der Union“ im | |
Europaparlament in Brüssel. Die CDU-Politikerin, die vor einem Jahr in ihr | |
Amt gekommen war, sagte auch Rassismus und Diskriminierung den Kampf an. | |
Die in einigen Gemeinden in Polen ausgerufenen LGBTI-freien Zonen hätten | |
„keinen Platz in unserer Gemeinschaft“, betonte von der Leyen. | |
Die EU soll daher einen Anti-Rassismus-Beauftragten erhalten. Brüssel werde | |
gegen jegliche Art der Diskriminierung vorgehen, „egal ob wegen Rasse, | |
Religion, Geschlecht oder Sexualität“, so von der Leyen. Das war allerdings | |
die einzige echte Neuigkeit. | |
Ansonsten konzentrierte sich von der Leyen darauf, bekannte Vorhaben wie | |
den „Green Deal“ oder den 750 Milliarden Euro schweren Corona-Aufbaufonds | |
zu bekräftigen. Europa müsse gestärkt aus der Coronakrise hervorgehen. Aus | |
Schwäche müsse neue „Vitalität“ erwachsen. | |
Die mehr als einstündige Rede vor halb leeren Rängen im Plenarsaal des | |
Parlaments enthielt zudem auch viele Leerstellen. Details nannte die | |
EU-Chefin nicht, viele Fragen blieben unbeantwortet. Dies gilt vor allem | |
für die geplante neue Asyl- und Flüchtlingspolitik. So ging von der Leyen | |
nicht auf die von Deutschland angestrebte „europäische Lösung“ für die | |
Migranten auf Lesbos und anderen griechischen Inseln ein. Stattdessen | |
kündigte sie die Errichtung eines neuen Lagers auf Lesbos und einen | |
weiteren Ausbau des EU-Grenzschutzes an. | |
Vage blieben auch die Aussagen zur Seenotrettung. Die Nothilfe für | |
Bootsflüchtlinge sei nicht bloß „optional“. Ob damit eine neue EU-Mission | |
zur Seenotrettung gemeint ist, ließ von der Leyen offen. Im Mittelmeer | |
ertrinken immer wieder Migranten, weil ihnen niemand zu Hilfe eilt. | |
Einen detaillierten Vorschlag zur künftigen Asyl- und Flüchtlingspolitik | |
will die EU-Kommission erst in einer Woche vorstellen. „Wir werden die | |
Dublin-Verordnung abschaffen“, kündigte von der Leyen an. „Wir werden es | |
durch ein neues europäisches System zur Migrationssteuerung ersetzen.“ | |
Auch beim Klimaschutz blieb von der Leyen Antworten schuldig. Wie erwartet, | |
bekannte sie sich zu einem schärferen Klimaziel: Bis 2030 solle der Ausstoß | |
von Treibhausgasen um „mindestens 55 Prozent“ reduziert werden, sagte sie. | |
Bisher strebte die EU nur 40 Prozent an. Doch wie sie dieses neue Ziel | |
erreichen will, blieb unklar: „Um dies zu erreichen, müssen wir unmittelbar | |
beginnen“. So müsse das Emissionshandelssystem überarbeitet und die | |
Besteuerung von Energie reformiert werden. Die dafür nötigen EU-Gesetze | |
sollen aber erst 2021 folgen. | |
Von den Grünen kam prompt Kritik. Es gehe beim Klimaschutz „nicht nur um | |
Zahlen, sondern um konkrete Gesetzesvorlagen, um den Green Deal wahr zu | |
machen und diese Ziele auch zu erreichen“, erklärte die | |
Grünen-Europapolitikerin Franziska Brantner in Berlin. „Die angekündigte | |
Verschärfung des EU-Klimaziels für 2030 ist leider vor allem | |
Bilanz-Trickserei statt Klimaschutz-Turbo“, kritisierte der | |
Linken-Klimaexperte Lorenz Gösta Beutin. Der Hintergrund: Die Kommission | |
will bei den Einsparungen künftig auch die Bodennutzung und Aufforstungen | |
berücksichtigen. Dies dürfte die Zahlen verbessern, ohne dass die | |
EU-Staaten mehr tun müssen. | |
Auch wichtige Forderungen des Europaparlaments blieben in der Grundsatzrede | |
unberücksichtigt. So setzen sich die EU-Abgeordneten für eine bessere | |
Abstimmung der nationalen Coronamaßnahmen und Reisewarnungen ein. Darauf | |
ging von der Leyen jedoch nicht näher ein. | |
Sie forderte lediglich „eine stärkere europäische Gesundheitsunion“. Dabei | |
müsse auch über „die Frage der Gesundheitskompetenzen“ diskutiert werden, | |
die derzeit vor allem bei den Mitgliedstaaten liegen. | |
Eine Woche vor dem EU-Sondergipfel zur Außenpolitik ging von der Leyen auch | |
über den Ruf nach Sanktionen gegen die Türkei hinweg. Die Türkei sei ein | |
wichtiger Partner und müsse zurück an den Verhandlungstisch, erklärte sie. | |
Damit folgt die deutsche Kommissionschefin der Linie des deutschen | |
EU-Vorsitzes, der auf Dialog mit Ankara setzt. Griechenland und Zypern | |
fordern dagegen Sanktionen, um auf Drohgebärden und Militärmanöver der | |
Türkei im östlichen Mittelmeer zu reagieren. Auch Frankreich fordert ein | |
robusteres Vorgehen. | |
„Die Rede zur Lage der Union war voller Absichten und Versprechungen“, | |
kommentierte der SPD-Europaabgeordnete Jens Geier. In der Praxis sei von | |
der Leyen aber zu einer Methode zurückgekehrt, die man noch von ihrem | |
Amtsvorgänger Manuel Barroso kenne. Es fehle an „mutigen Vorstößen, die | |
eine europäische Lösung ermöglichen“. Ähnlich äußerte sich der grüne | |
Europaabgeordnete Sven Giegold. „Starke Worte, aber starke Taten fehlen | |
allzu oft“, so seine vorläufige Bilanz nach dem ersten Jahr der neuen | |
EU-Kommission. | |
[1][meinung + diskussion] | |
17 Sep 2020 | |
## LINKS | |
[1] /!5709927&SuchRahmen=Print | |
## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |