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# taz.de -- Was soll ich aus all dem machen?
> Die Stipendiat:innen des Arbeitsstipendiums Bildende Kunst 2019 des
> Berliner Senats stellen in der n.b.k. aus. Interessierte müssen sich für
> einen Besuch aber gedulden. Bis 19. April gibt es auch hier keinen
> Publikumsverkehr
Bild: Calla Henkel & Max Pitegoff, Study for Paradise at TV (Preston), 2019
Von Marlene Militz
Die drittletzte Zeile des Songs „Picture a Vacuum“ der britischen Lyrikerin
und Musikerin Kate Tempest lautet: „And These Are the Only Times You Have
Known“. Die einzigen Zeiten, die du gekannt hast. Und weiter geht es in den
letzten beiden Zeilen: „Ist das, wozu es gekommen ist?“, denkst du. „Was
soll ich aus all dem machen?“
Die neu eröffnete Ausstellung im n.b.k. entlehnt ihren Titel bei Kate
Tempest. „These Are the Only Times You Have Known“ versammelt Arbeiten von
elf Künstler*innen, die 2019 mit dem Arbeitsstipendium Bildende Kunst des
Berliner Senats ausgezeichnet wurden. Die Stipendiat*innen müssen in
Berlin leben und arbeiten und dürfen nicht mehr an einer Hochschule
immatrikuliert sein. Ansonsten gibt es keine Vorgaben. Sie müssen nicht in
einem bestimmten Medium arbeiten. Auch inhaltlich gibt es keine Grenzen.
Entsprechend vielfältig sind die künstlerischen Positionen, die in der
Ausstellung vertreten sind. Da wären etwa Calla Henkel und Max Pitegoff.
Die US-Künstler leben seit zehn Jahren in Berlin und bereichern seitdem die
alternative Kunstszene: 2011 eröffneten sie die Times Bar in Neukölln,
einen Partykeller und Treffpunkt für internationale Künstler und Musiker.
Danach betrieben Henkel und Pitegoff den Performancespace New Theater, mit
dem sie ab 2017 den Grünen Salon der Berliner Volksbühne bespielten –
Theater im Theater. Seit letztem Jahr ist das Künstlerduo wieder zum
Barbetrieb zurückgekehrt. In der Potsdamer Straße 151 befindet sich ihre TV
Bar, ein wandelbarer Projektraum, eine Bar als Bühne.
Der Name ihrer Bar weist bereits auf das nächste Projekt hin. Eine
TV-Serie. Die Vorstudie hängt an den dunklen n.b.k.-Wänden. Eine Reihe
fotografischer Arbeiten in Schwarz-Weiß, Kücheninterieurs und Männer mit
Schürzen sind darauf zu sehen. Schräg gegenüber hängen drei weitere schwarz
gerahmte Bilder. Sie zeigen das Spreeufer mit großen Trauerweiden, deren
Äste tief herunterhängen. Sie sind im östlichen Kreuzberg aufgenommen,
einer Gegend, die mit ihren alternativen Räumen und legendären Clubs für
Berlin lebenswichtig ist, nun aber unter der Gentrifizierung leidet. Seit
der Ankunft der US-Künstler in Berlin hat sich die Stadt verändert. Die
Bilder wirken nostalgisch. Für das Duo ist die „einzige Zeit, die sie
kannten“, gerade dabei, zu vergehen.
Für Henkel und Pitegoff ist das Stipendium der Ausgangspunkt für ein neues
Projekt. Für andere Künstler*innen bedeutet die Summe in Höhe von 18.000
Euro, die Möglichkeit, in Ruhe zu arbeiten. Oder nicht vor teuren
Materialkosten zurückschrecken zu müssen. So wie die irische Künstlerin
Doireann O’Malley, die mit einem Virtual-Reality-Werk vertreten ist. Setzt
man die klobige Brille auf, erscheint zuerst ein Portal in einer
Landschaft. Einmal durchschritten, blickt man auf eine schwebende Kulisse
vor blauem Grund. Bäume und bürokratische Gebäude setzen sich aus kleinen
farbigen Tupfen zusammen, deren Formen an Blätter erinnern. Eine silberne
Kugel weist den Weg. Driftet man zu weit von der Kugel ab, mahnt eine
dröhnende Frauenstimme durch die Kopfhörer.
Nach kurzer Zeit ist der Gebäudekomplex als Haus der Statistik zu erkennen.
Es setzt sich aus vielen weißen Tupfen zusammen, was ihm den Anschein
verleiht, bei einem Windstoß gleich auseinanderzustieben. Die Silberkugel
leitet in das Innere des Hauses und sagt in sonorer Stimme: „You only exist
in this machine“. Mensch und Maschine, und der Übergang von einem zum
anderen, werden hier experimentell ausgelotet.
Der Berliner Künstler Leon Kahane dagegen setzt sich in seinem
dokumentarischen Kunstwerk „D.K.01“ mit dem Leben und Werk seiner
Großmutter Doris Kahane auseinander. Auch sie war Berlinerin und
Künstlerin, studierte in den 50er Jahren an der Weißensee Kunsthochschule.
Ihr Grab auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof ist nicht weit entfernt.
Leon Kahane nimmt die Biografie seiner Großmutter zum Anlass, sich mit den
politischen und ideologischen Zwängen der DDR, insbesondere für Künstler,
auseinanderzusetzen. Dazu schichtet er unter zwei Acrylglasscheiben
Dokumente übereinander, wie den Wikipedia-Artikel seiner Großmutter sowie
ein auf Schreibmaschine abgetipptes Interview mit ihr, das nachträglich mit
schwarzem Stift massiv überarbeitet und korrigiert wurde.
Da die Ausstellung keinen thematischen Rahmen vorgibt, war es für die
Kurator*innen wohl nicht leicht, überhaupt nur einen Titel zu finden. Mit
„These Are the Only Times You Have Known“ wird die Zeitgenossenschaft der
Werke betont, die sich sonst durch viele Zeiten bewegen.
Auch diese Ausstellung ist wie all die anderen in Berlin bis 19. April
geschlossen.
16 Mar 2020
## AUTOREN
Marlene Militz
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