# taz.de -- Humorvoll, streitbar, einander zugewandt | |
> Ein nun veröffentlichter Briefwechsel der beiden befreundeten Künstler | |
> George Grosz und Hermann Borchardt dokumentiert eine Männerfreundschaft | |
> sowie das Leben im Exil | |
Bild: Georg Grosz (l.) und Hermann Borchardt. Aufgenommen vermutlich Ende der 1… | |
Von Wilfried Weinke | |
In Deutschland da lebte ein kleiner Mann/ Borchardthans so hiess er/ Den | |
stellten sie als Lehrer an/ Er lebte wie ein Spiesser/ Doch im geheimen in | |
seiner Kammer/ Beschrieb er der Menschheit ganzen Jammer.“ Mit diesen | |
Versen, die George Grosz einem Brief an Hermann Borchardt beifügte, | |
beschrieb er die Lebensumstände seines Freundes und Schriftstellerkollegen, | |
der in Wirklichkeit Hermann und nicht „Hans“ hieß. George Grosz (1893–19… | |
verfasste diese Zeilen Anfang Mai 1933, er lebte bereits in den USA, wohin | |
er kurz vor sogenannten Machtergreifung der Nazis emigriert war. Und weiter | |
dichtete Grosz: „Da plötzlich stand im Morgenblatt/ Dasz ein Herr Hitler | |
die Macht jetzt hat …/ Für die Juden war das gar sehr beschissen/ | |
Allüberall wurden sie rausgeschmissen/… Deswegen gingen viele Leute ausser | |
Lands/ So eben auch unser Borchardthans.“ | |
Der von Grosz Besungene wurde 1888 als Hermann Joelsohn in Berlin geboren. | |
Mitte der 1920er Jahre nahm er wegen des stets spürbaren Antisemitismus den | |
Namen seiner Mutter an. Borchardt und Grosz lernten sich während der Arbeit | |
für die satirische KPD-Zeitschrift Der Knüppel kennen; zu ihrem damaligen | |
Freundes- und Kollegenkreis zählten unter anderem Bertolt Brecht, John | |
Heartfield, Wieland Herzfelde und Walter Mehring. Trotz starken Engagements | |
und ätzender Kritik an der Weimarer Republik, deren Spießern sie schreibend | |
wie malend den Spiegel vorhielten, entfremdeten sie sich alsbald von der | |
KPD und distanzierten sich von deren kommunistischer Propaganda. | |
## „Arbeiterparadies“ Weißrussland | |
Auch Borchardt floh 1933 zunächst aus Deutschland, nach einem kurzen | |
Zwischenaufenthalt in Frankreich, wo die geringen Einkünfte für eine | |
Versorgung der Familie nicht ausreichten, nahm er schließlich eine Stellung | |
an der Universität Minsk an. Dort sollte er die deutsche Sprache und deren | |
Vermittlung lehren. Anfang Februar 1934 traf er in dem schon im Vorwege | |
ironisch als „Arbeiterparadies“ bezeichneten Weißrussland ein. Nur zwei | |
Jahre sollte sein Aufenthalt dort währen. Der unmittelbare Einblick in die | |
realen Lebensverhältnisse im „Vaterland der Werktätigen“, deren | |
Bevormundung, Bespitzelung und Bedrohung wirkten ernüchternd. Die Versuche | |
politischer Einflussnahme auf seinen Unterricht sowie die Ablehnung der | |
sowjetischen Staatsbürgerschaft führten im Januar 1936 zur Ausweisung | |
Borchardts und seiner Familie. In ihrer Verzweiflung und in der Hoffnung, | |
als „Mischehe“ ein Auskommen zu finden, kehrten sie nach Deutschland | |
zurück. | |
Doch schon nach wenigen Monaten wurde Borchardt verhaftet; von Juli 1936 | |
bis Mai 1937 „durchlief“ er die Konzentrationslager Esterwegen, Dachau und | |
Sachsenhausen. Durch die dort erlittenen Misshandlungen verlor er fast | |
vollständig das Gehör. Nur dank der von seinen Freunden Eva und George | |
Grosz besorgten Einreisepapiere, Schiffsfahrkarten und Affidavits gelangte | |
Borchardt mit seiner Familie im Juni 1937 nach New York. Auf Unterstützung | |
von Hilfskomitees und Freunden angewiesen, lebte der zum Katholizismus | |
konvertierte Borchardt fortan in ärmlichen Verhältnissen und starb im | |
Januar 1951. | |
Der nun vorliegende Briefwechsel, der sich aus mehrjährigen Recherchen in | |
deutschen, vor allem aber amerikanischen Archiven speist, beleuchtet eine | |
Jahrzehnte umspannende Freundschaft zweier sehr unterschiedlicher, | |
streitbarer, doch einander zugewandter Männer. Eine Korrespondenz, die | |
Direktheit nicht vermissen lässt. Dem in den USA lebenden Freund schrieb | |
Borchardt unter Anspielung auf dessen Zeichnung „Christus am Kreuz mit | |
Gasmaske“: „Maulhalten, weiter dienen – alter Junge, dich hätten sie ja | |
behandelt, daß dir der Schwanz nach hinten gestanden hätte.“ Schon in dem | |
eingangs zitierten Brief forderte der von Amerika faszinierte Grosz seinen | |
Freund auf: „… wandre nach Amerika aus. Wenn Du Dich noch elastisch genug | |
fühlst, noch einmal von vorne anzufangen … dies ist Dein Land.“ Um an | |
anderer Stelle zu ergänzen: „Schlafe lieber hier in Zeitungspapier | |
eingewickelt im Centralpark, als im aufgeräumten Russland schlecht bezahlt | |
ständig bewacht als Staatsgefangener zu arbeiten.“ | |
Die in diesem vorzüglich edierten Buch zusammengetragenen 220 Briefe | |
umfassen den Zeitraum von 1927 bis 1951. Sie liefern nicht nur einen | |
intimen Einblick in eine kontinuierliche, von Hilfsbereitschaft wie | |
intellektuellem Austausch geprägte Männerfreundschaft. Sie gewähren | |
zugleich einen Einblick in die Drangsale des Exils. Zu Recht spricht Grosz | |
von einer „Zeit der Missgunst, Zwietracht, Angst und Hohn“. Trotz aller | |
Widrigkeiten ihres Lebens zeichnen sich besonders Grosz’ zuweilen im | |
angetrunkenen Zustand geschriebene Briefe durch einen zynischen Humor und | |
gelegentliche Verballhornung des Englischen („zänks“; „Hauäboutsät“;… | |
reason to throw the Flinte ins Corn“) aus. | |
Jenseits dieses Sprachwitzes besticht dieses Buch auf jeder Seite durch | |
akribische Fußnoten sowie zwei höchst informative Essays der Herausgeber, | |
die durch ihre Mühen gewiss dazu beitragen, dass der selbst Exilforschern | |
kaum mehr bekannte Hermann Borchardt gebührende Aufmerksamkeit erlangt. | |
28 Dec 2019 | |
## AUTOREN | |
Wilfried Weinke | |
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