# taz.de -- Hierknallt‘sjedesJahr | |
> Keine Bushaltestelle wird so oft durch Vandalismus zerstört wie die in | |
> der Potsdamer Straße 172 in Schönberg. Denn seit sechs Jahren tobt in der | |
> Silvesternacht rund ums Pallasseum eine Art Bürgerkrieg mit Feuerwerk. | |
> Jetzt soll Ruhe einkehren: mit einem Böllerverbot | |
Bild: Im Polizeijargon heißt das „entglast“: diese Bushaltestelle am Palla… | |
Von Plutonia Plarre | |
Jeden Neujahrsmorgen das gleiche Bild: Das Wartehäuschen umgibt ein Meer | |
aus – nun ja: Scherben. Sicherheitsglas zerspringt in winzige runde Teile, | |
damit sich keiner schneidet. Wie Eiskristalle funkeln die Stückchen in der | |
Sonne. Inmitten des dreckigen Feuerwerksmülls könnte man den Anblick | |
beinahe schön finden, wäre er nicht das Ergebnis von Vandalismus. | |
Kurios ist die Geschichte dennoch. Die Bushaltestelle in der Potsdamer | |
Straße 172 ist in Berlin wohl die mit der kürzesten Haltbarkeit. Folgt man | |
der Zeitrechnung der Polizei, geht das seit Silvester 2013/14 so. „Jedes | |
Jahr wird die Bushaltestelle entglast“, sagt Uwe Berndt, Leiter des | |
zuständigen Polizeiabschnitts 41. | |
Sechs Jahre also. Man könnte durchaus von einem Ritual sprechen. An die 150 | |
Jugendliche und junge Erwachsene toben sich alljährlich an der | |
Potsdamer/Ecke Pallas- und Goebenstraße aus. Nicht nur Geschäfte und | |
Fahrzeuge werden mit Pyrotechnik beschossen, sondern auch Menschen. Weil | |
die Polizei des Spuks nicht Herr wird, ist für den diesjährigen | |
Jahreswechsel in Teilen von Schöneberg und am Alexanderplatz erstmals ein | |
Böllerverbot verhängt worden. Es gilt ab dem 31. Dezember, 18 Uhr bis zum | |
1. Januar um 6 Uhr. | |
Die wohl bekannteste Bushaltestelle der Stadt steht vor dem Pallasseum, so | |
heißt der Wohnblock, der früher Sozialpalast geschimpft wurde, und in dem | |
2.000 Menschen leben. Wichtige Buslinien wie der M85, der M48, der 106 und | |
187 halten hier. Nur in der Silvesternacht fahren die Busse wegen der | |
Krawalle durch. Denn die Bushaltestelle befindet sich im Zentrum des | |
Geschehens. Für das Böllerverbot ist sie der Lackmustest: Bleibt sie in der | |
Nacht zum 1. Januar zum ersten Mal heil oder wird sie wieder kaputt | |
gemacht? | |
Ein junger Mann im Kapuzenpulli, der mit einem Coffee-to-go-Becher an der | |
Ampel vor dem Pallasseum wartet, muss über die Frage lachen. Nicht seit | |
sechs Jahren, solange er denken könne, werde die Haltestelle zu Silvester | |
zerstört. „Das ist ein Muss.“ Die Antwort suggeriert, dass sich um das | |
Wartehäuschen im Kiez bereits ein Mythos rangt. | |
Um die Buswartehalle zu zerstörten, brauche es eine massive Sprengkraft, | |
sagen Experten. Mit offiziell zugelassenen Böllern schaffe man das nicht. | |
Die beste Lösung wäre, die BVG würde die Scheiben vor Silvester ausbauen, | |
findet Abschnittsleiter Berndt. Die BSR treffe schließlich auch | |
Vorsichtsmaßnahmen. Alle Mülleimer, die in der Gegend an den Laternen | |
hängen, würden vor Silvester entleert und die Bodenklappen geöffnet. So | |
werde verhindert, dass sie durch den Einwurf von Böllern explodieren. Auch | |
das sei ein beliebtes Spiel. | |
Allerdings habe die BVG auf die Anfrage der Polizei wegen des Abbaus der | |
Bushaltestelle ausgesprochen zurückhaltend reagiert. „Wir bedauern das | |
sehr“, sagt Berndt. „Das sind doch auch Vermögenswerte.“ | |
Ein BVG-Sprecher teilte der taz mit, es werde gerade geprüft, was es kosten | |
würde, die „Glaselemente“ des Wartehäuschen „gegebenenfalls“ aus- und… | |
Neujahr wieder einbauen zu lassen. Erst wenn die Angebote vorlägen, ließe | |
sich Näheres sagen. Und warum das in den Vorjahren nicht gemacht worden | |
sei? Das möge man doch bitte die Firma Wall fragen. | |
Gesagt, getan. Denn alle Wartehallen in Berlin waren bislang Eigentum von | |
Wall. Erst Anfang 2019 sind sie nach einer Ausschreibung an die BVG | |
übergegangen. Ausbau, Zwischenlagerung und Wiedereinbau der Scheiben wären | |
teurer, als den Glasbruch reparieren zu lassen, lüftete ein Sprecher von | |
Wall das Geheimnis. Aus Kostengründen habe sich das Unternehmen deshalb | |
stets gegen eine Demontage der Bushaltestelle in der Potsdamer Straße | |
entschieden. Nach Neujahr sei das zerborstene Glas aber immer binnen 48 | |
Stunden erneuert worden. Das sei „sehr sportlich“ gewesen, angesichts der | |
Tatsache, dass mehrere Scheiben hätten ersetzt werden müssen, so der | |
Sprecher. | |
Nach Informationen der taz bewegen sich die Kosten pro Scheibe um die 300 | |
Euro, Einbaukosten nicht inbegriffen. Denkbar wäre, dass die BVG nun damit | |
kalkuliert, dass man sich die Investition wegen des Böllerverbots sparen | |
könne. Nach dem Motto: Die Polizei wird’s schon richten. Falls dem so sein | |
sollte, stellte Abschnittsleiter Berndt grundsätzlich klar: „Wir werden die | |
Bushaltestelle mit Sicherheit nicht extra schützen.“ | |
Versuchslabor Schöneberg: Polizei testet Böllerverbot Seite 44–45 | |
14 Dec 2019 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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