# taz.de -- Besetzte Gleiseund ein Technofloor | |
> „Ende Gelände“ in der Lausitz: Tausende protestieren gegen die | |
> Braunkohle. Energieunternehmen muss die Produktion drosseln. Polizei lobt | |
> Aktivist*innen | |
Bild: Aktivist*innen blockieren eine Industriebahn am Kraftwerk Jänschwalde | |
Aus Cottbus, Jänschwalde und Welzow Katharina Schipkowski | |
Um kurz nach acht Uhr morgens stand am Samstag bereits die erste Blockade: | |
Rund 500 Aktivist*innen erreichten die Kohlegrube Jänschwalde und rutschten | |
in ihren Maleranzügen die sandigen Abhänge hinunter. Im Hintergrund ging | |
die Sonne auf, eine fast Science-Fiction-artige Kulisse, die typisch ist | |
für die Klimaaktivist*innen von Ende Gelände, die es auf die Kohleindustrie | |
abgesehen haben. Gegen 5 Uhr morgens waren rund 4.000 Menschen aus Berlin, | |
Dresden und Leipzig in Richtung des Leipziger und des Lausitzer | |
Braunkohlereviers aufgebrochen. Zum ersten Mal dabei war auch ein Ableger | |
von Fridays For Future, „die Antikohlekids“. In der Lausitz betreibt das | |
Energieunternehmen Leag mehrere Kraftwerke und Tagebaue, darunter mit | |
Jänschwalde das drittgrößte Kraftwerk Deutschlands. Es zählt zu den | |
schmutzigsten Kraftwerken Europas. | |
Am Mittag verkündete Ende Gelände, alle „Finger“ hätten ihre Ziele | |
erreicht. Bei Teichland ließen sich rund 400 Aktivist*innen auf den Gleisen | |
einer Kohlebahn nieder. Sie verteilten sich über die Schienen, spielten | |
Karten und lasen sich gegenseitig aus der Zeitung vor, einige turnten und | |
machten Yoga, um sich aufzuwärmen. Ein Aktivist stöpselte Boxen an seinen | |
MP3-Player und richtete einen Technofloor auf den Schienen ein; die | |
Menschen in den Maleranzügen tanzten vor den rauchenden Türmen des | |
Kraftwerks. Sieben Stunden lang blockierten sie das Durchkommen der | |
Kohlebahn. Die Leag drosselte die Betriebe ihrer drei Kraftwerke auf das | |
Minimum. | |
Auch die Antikohlekids blockierten gemeinsam mit dem Bunten Finger | |
eingeschränkter Menschen einen Schienenabschnitt. 400 Aktivist*innen des | |
Grünen Fingers harrten bis zum Nachmittag im Tagebau Welzow-Süd aus und | |
vereinbarten dann mit der Polizei, die Grube ohne Identitätsfeststellung zu | |
verlassen. | |
In Leipzig war es frühmorgens rund tausend Aktivist*innen gelungen, an | |
Polizeiabsperrungen vorbei in den Tagebau Vereinigtes Schleenhain bei | |
Neukieritzsch einzudringen. Dort besetzten sie einen Bagger. Das | |
Betreiberunternehmen Mibrag stellte den Strom ab und legte alle Maschinen | |
still. Für Ende Gelände war die Aktion ein großer Erfolg. „Wir sind | |
zufrieden und glücklich, dass wir heute ein so starkes Zeichen für | |
Klimagerechtigkeit setzen konnten“, sagte die Sprecherin Nike Mahlhaus. Die | |
Aktivist*innen seien zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen. „Wenn | |
politisch Verantwortliche dabei versagen, das Klima und unsere | |
Lebensgrundlagen zu schützen, dann setzen wir den Kohleausstieg selbst um.“ | |
Auch die Polizei zog ein positives Fazit. Das Protestwochenende sei | |
friedlich verlaufen, es gab weder Festnahmen noch Ingewahrsamnahmen. Dabei | |
sei der Großeinsatz durchaus eine Herausforderung gewesen. Insgesamt waren | |
rund 2.700 Beamt*innen aus Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen, | |
Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Thüringen und von der | |
Bundespolizei eingesetzt. Das Einsatzgebiet erstreckte sich auf eine Fläche | |
von 2.700 Quadratkilometern. „Das besonnene Handeln der Vielzahl von | |
Akteuren, auch aus der Versammlung heraus, trug wesentlich zum | |
Einsatzerfolg bei“, sagte Torsten Herbst, der Sprecher des | |
Polizeipräsidiums Brandenburg. | |
Dabei war die Stimmung im Vorfeld nicht nur unter den Aktivist*innen | |
angespannt gewesen. Neben Mitarbeiter*innen der Kohleindustrie hatten auch | |
Rechtsextreme teils gewalttätigen Protest gegen Ende Gelände angekündigt. | |
Am Freitagabend hatten Cottbusser Polizist*innen acht mutmaßlich | |
Rechtsextreme mit Axtstielen und Quarzhandschuhen in der Nähe der von Ende | |
Gelände angemeldeten Mahnwachen aufgegriffen. Aber auch Teile der | |
Brandenburger Polizei selbst dürften in den Augen der Aktivist*innen eher | |
ein Sicherheitsrisiko darstellen: Seit Donnerstag kursierte im Internet ein | |
Bild von neun Beamt*innen der dritten Brandenburger Einsatzhundertschaft, | |
die vor einem Graffito der rechtsextremen Cottbusser Gruppierung „Defend | |
Cottbus“ mit der Aufschrift „Stoppt Ende Gelände“ posierten. Gegen sie | |
laufen jetzt Disziplinarverfahren. Das Graffito wurde mittlerweile von der | |
Polizei übergepinselt – allerdings nicht komplett. Die letzten beiden | |
Buchstaben des Schriftzugs, also „DE“, ließen die Polizist*innen stehen und | |
malten nur den mittleren Strich des groß geschriebenen „E“ über, sodass DC | |
zu lesen war – die Abkürzung für „Defend Cottbus“. | |
Mitarbeiter*innen der Leag hielten am Samstag eine Mahnwache am Kraftwerk | |
Jänschwalde. Dabei trugen sie schwarze Maleranzügen – als Antwort auf die | |
weißen Anzüge von Ende Gelände. Auf ihren Rücken klebten Aufkleber mit der | |
Aufschrift „Blackout in der Lausitz? Nicht auf unserem Rücken!“ Auch der | |
Ortsverein der SPD Cottbus Nord war vor Ort und verteilte Tee und Brote. | |
„Für die Blockaden von Ende Gelände habe ich kein Verständnis“, sagte der | |
23-jährige Julius Gilbert, seit einigen Monaten Mitglied des Ortsvereins. | |
Dabei habe er auch Sympathien für Fridays for Future. Auch der | |
Kohleausstieg sei grundsätzlich in Ordnung, nur die Perspektiven für die | |
Beschäftigten der Branche müssten geklärt werden. Man müsse mehr reden, | |
statt zu blockieren. „Wir sind für den Kohleausstieg, aber nicht vor 2038, | |
denn die Region kann sich nicht so schnell umstellen“, sagte auch Thomas | |
Hauke, Ingenieur für Kraftwerktechnik der Leag. | |
Derweil waren andere Mitarbeiter*innen unentspannter unterwegs. Auf | |
Twitter verkündete das Unternehmen, jeden anzuzeigen, der die | |
Betriebsgrenzen missachte. Außerdem verbreitete es per Liveticker auf | |
seiner Internetseite eine Falschmeldung: 200 Kohlegegner*innen hätten | |
versucht, gewaltsam in das Kraftwerk Jänschwalde einzudringen, meldete das | |
Unternehmen. | |
Die Polizei dementiert das: Die Aktivist*innen hätten sich auf das | |
Kraftwerk zubewegt, seien aber vor dem massiven Aufgebot an Bereitschafts- | |
und berittener Polizei stehen geblieben. „Ob die überhaupt vorhatten, in | |
das Kraftwerk zu gehen, liegt im Bereich der Mutmaßung“, sagte | |
Polizeisprecher Herbst. Am Abend ruderte die Leag zurück: „Das war der | |
Eindruck, den die Demonstranten in diesem Augenblick vermittelt haben“, | |
ergänzte das Unternehmen seine Meldung. Und fügte hinzu: „Es gab nach | |
Aussage der Polizei eine massive Annäherung der Gruppe auf das | |
Kraftwerksgelände zu, die nur durch starke Polizeipräsenz gestoppt werden | |
konnte.“ | |
Am Tagebau Welsow-Süd, in dem seit morgens eine Gruppe Aktivist*innen | |
Infrastruktur blockierte, fuhren Leag-Mitarbeiter*innen das Gelände mit | |
Autos ab und verhinderten, dass sich Journalist*innen der Abbruchkante | |
näherten. Auf Nachfrage einer Journalistin des Neuen Deutschlands wollten | |
die Leag-Mitarbeiter ihren Presseausweis fotografieren. Davor wiederum | |
warnten andere Journalist*innen bei Twitter – in rechten Facebookforen | |
werde mit solchen Fotos gegen Journalisten und Aktivisten gehetzt. Am | |
Nachmittag verkündete auch der Goldene Finger, der den Tagebau im Leipziger | |
Revier blockiert hatte, das Gebiet freiwillig zu verlassen. Parallel | |
kündigten die Aktivist*innen der Gleisblockade nahe Teichland an, die | |
Schienen wieder freizugeben. Auch die anderen Blockaden lösten sich auf. | |
Gegen 17 Uhr verließen die Aktivist*innen die Kohlereviere. | |
[1][meinung + diskussion] | |
2 Dec 2019 | |
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## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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