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# taz.de -- Regieren von der Tribüne aus
> El Salvadors neuer Staatschef Nayib Bukele präsentiert sich gern als
> „coolster Präsident der Welt“. Der 38-Jährige ist extrem populär.
> Unbequeme Fragen unabhängiger Journalisten allerdings mag er gar nicht
Bild: San Salvador: Verstörende Show vor dem Präsidentenpaar
Aus San Salvador César Fagoaga
Wenn man den richtigen Kontext nicht kennt, könnte das Foto erschrecken.
Unter der unbarmherzigen Mittagssonne von El Salvador kniet eine Gruppe von
Männern, den Blick auf den Asphalt gerichtet, umringt von Militärs mit
automatischen Gewehren. Sie warten vor einer Tribüne, auf der ein Paar
thront, das Recht sprechen wird.
Aber wir sind nicht im Kolosseum von El Salvador, das, auch wenn es so
aussieht, wohl keine Bananenrepublik mehr ist. Die Männer auf dem Boden
sind Teil einer Elitetruppe und demonstrieren einen Einsatz für den Fall
einer Geiselnahme innerhalb eines Busses. Die Militärs, die neue Uniformen
tragen, die sie gerade von der US-Armee gespendet bekommen haben, sind
tatsächlich Militärs. Es ist der 15. September, und die neue Regierung hat
die Armee auf die Straßen von San Salvador gebracht, um mit einem eines
John Rambo würdigen Aufmarsch den Unabhängigkeitstag zu feiern.
Auf der Tribüne, im Zentrum von allem, verfolgt der salvadorianische
Präsident Nayib Bukele die Szene mit einem schüchternen Lächeln. Zu seiner
Rechten seine Frau, in seiner linken Hand, auf dem Foto kaum zu sehen, der
vergoldete Stab, der ihn als Oberkommandierenden der Streitkräfte ausweist.
Moment. Wenn man den richtigen Kontext kennt, ist dieses Foto genauso
erschreckend.
Mit seinen gerade 38 Jahren ist Bukele der jüngste Präsident seit der
Unterzeichnung der Friedensabkommen 1992. Aufgestiegen dadurch, dass die
Menschen die Korruption der politischen Extreme satthatten, gewann er die
Präsidentschaftswahl mit großem Vorsprung, und in diesen ersten drei
Monaten stieg seine Beliebtheit stetig an.
Die Umfragen ergeben, dass sein größter Erfolg bislang darin besteht, die
Zahl der Fälle eines gewaltsamen Todes reduziert zu haben. Das ist eine
gute Nachricht für ein Land, das 2015, als auf 100.000 Einwohner 103
gewaltsame Todesfälle kamen, zum gewalttätigsten der Welt geworden war. Die
große Frage ist, wie er das gemacht hat. Und das ist der Punkt, wo das
Panorama undurchsichtig wird.
Bukele hat zu Beginn seiner Amtszeit einen „Plan zur territorialen
Kontrolle“ vorgestellt, ein Paket von Maßnahmen, die überhaupt nicht neu
waren und in vielem an das erinnerten, was die Vorgängerregierungen gemacht
hatten: den Staat in die Gemeinden bringen, die Telefonate, die aus den
Gefängnissen herausgehen, überwachen, die Modernisierung der Polizei und
sehr viel Blabla.
Die Regierung führte Änderungen ein, die Zweifel an der neuen
Sicherheitspolitik wecken. Anders als früher schließt die Polizei nunmehr
in die Todesstatistiken nicht mehr diejenigen ein, die bei den sogenannten
Zusammenstößen zwischen Polizei und Bandenmitgliedern ums Leben kommen. Das
sind nicht wenige: 2016 wurden mehr als 590 Bandenmitglieder bei
mutmaßlichen Zusammenstößen mit der Polizei getötet. Auf einen getöteten
Polizisten kamen in diesem unerklärten Krieg 59 getötete Bandenmitglieder.
Die erste Frage ist offensichtlich: Wie werden die Toten gezählt? Wird die
gleiche Methodologie benutzt oder eine andere? Nur wenn das geklärt ist –
und der Journalismus bleibt diese Antwort noch schuldig –, können wir zu
den nächsten Fragen übergehen: Wie hat Bukele das in nur drei Monaten
erreicht? Hat er mit den Banden verhandelt wie Ex-Präsident Funes 2012?
Regiert man anders? Sind die Banden einen Schritt weiter in ihren
politischen Aktivitäten und führen insofern erfolgreichere Verhandlungen?
Das Problem ist, dass es auf der anderen Seite niemanden gibt, der bereit
ist, diese Fragen zu beantworten. Präsident Bukele hat nicht nur bewiesen,
dass er ein Meister darin ist, per Twitter zu regieren – zum Vergnügen der
Meme-Produzenten antworten ihm seine Minister mit Tweets wie: „Wie Sie
befehlen, Präsident.“ Er hat auch gezeigt, dass es nutzen kann, eine
Ausbildung als Werbefachmann zu haben, wenn man regieren will.
Seit seiner Zeit als Präsidentschaftskandidat hat sich Bukele bemüht, ein
Narrativ jenseits aller Grautöne zu erschaffen. Natürlich hat er das nicht
erfunden, aber in einer so polarisierten Gesellschaft wie der
salvadorenischen – zwölf Jahre lang haben wir uns im Bürgerkrieg der 1980er
Jahre gegenseitig umgebracht – wird es immer fruchtbar sein, einen
Freund-oder-Feind-Diskurs zu fahren. Jede Kritik, jedes Infragestellen
wurde mit virtuellen Shitstorms, Verhöhnungen und einer ausgeklügelten
digitalen Strategie zum Schweigen gebracht. Widerspruch ist verboten,
besonders wenn der infrage Gestellte der Präsident der Republik ist, der
Träger aller nationalen Hoffnungen. Ludwig XIV. wäre stolz.
Im Visier dabei immer: die Presse. Beschränkte sich der Präsident zunächst
darauf, Fragen auszuweichen oder Interviewanfragen zu ignorieren, ging er
dann dazu über, die Arbeit jener Medien, die im unbequem wurden, direkt zu
blockieren. Anfang September, genau zum Ende seiner ersten 100 Tage im Amt,
verbot das Präsidialamt zwei Medien (Revista Factum und El Faro) den Zugang
zu den Pressekonferenzen. Die Begründung war, dass Journalisten dieser
Medien einmal beim Versuch, eine Frage zu stellen, etwas laut geworden
waren.
Internationaler Druck sorgte dafür, dass das Präsidialamt die beiden Medien
wieder zuließ. Nicht ohne aber zuvor einen digitalen Shitstorm gegen die
entsprechenden Journalisten loszutreten, der bis heute andauert.
Wie bei der Militärparade beobachtet der Präsident diese Angriffe von der
Tribüne aus. Dort, wo er sich sicher, ausreichend entfernt und gepanzert
fühlt, schaut er sich auch andere heikle Themen an. Das wichtigste davon:
die Lage Tausender salvadorianischer Migranten in den USA. Nach der
Unterzeichnung eines Abkommens, das aus El Salvador einen „sicheren
Drittstaat“ macht – ja wirklich: Das Land, aus dem heraus 2018 die meisten
Asylanträge gestellt wurden, ist jetzt Aufnahmeland für Asylsuchende –,
traf sich Bukele mit US-Präsident Donald Trump, um die öffentliche
Diskussion zu seinen Gunsten zu wenden. Nach den Fotos und Tweets von
beiden in der UN-Generalversammlung verkündete das Präsidialamt, die
Beziehungen zu den USA seien jetzt wiederhergestellt – als wären sie
irgendwann abgebrochen worden.
Kein Wort darüber, welche Konsequenzen die Verlegung der US-Südgrenze um
Tausende Kilometer nach Zentralamerika hat. Der fremdenfeindlichste
Präsident, den die USA je hatten, hat in Bukele, dem Wunderboy mit der
Vorliebe für Militärparaden, seinen perfekten Verbündeten gefunden. Sollten
wir uns noch fragen, warum?
9 Oct 2019
## AUTOREN
César Fagoaga
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