# taz.de -- Im Antidopingkampf | |
> Der Doping-Opfer-Hilfe-Verein will in Berlin neue Zahlen präsentieren. | |
> Doch der renommierte Molekularbiologe Werner Franke sprengt die | |
> Veranstaltung | |
Bild: Ungebetener Gast: Werner Franke (M.) wird von Michael Lehner (r.), Vorsit… | |
Aus Berlin Markus Völker | |
Zwanzig Minuten hat Michael Lehner gesprochen, dann sind andere Fähigkeiten | |
gefragt. In der Tür steht ein fast 80-jähriger, aber immer noch stattlicher | |
Herr, der Lehner aufschnellen lässt wie eine Sprungfeder. Der Vorsitzende | |
des Doping-Opfer-Hilfe-Vereins (DOH) läuft auf Werner Franke zu und packt | |
ihn im Stile eines Sumo-Ringers. Franke, ein Faktotum des von ihm auch | |
robust gelebten Antidopingkampfes in Deutschland, weiß sich zu wehren („Ich | |
war früher immerhin Offizier der Pioniere“). Anwalt Lehner rangelt mit dem | |
ehemaligen Professor des Heidelberger Krebsforschungszentrums, und Franke | |
soll Lehner schon vor der Veranstaltung am Schlawittchen gepackt haben. | |
„Sie können mir gar nichts, sie wollen nur Geld kungeln“, ruft Franke, und | |
schon hat ihn Lehner aus dem Raum gedrängt, in dem der DOH seine neuesten | |
Opferzahlen präsentiert. | |
Lehner, der den Molekularbiologen Franke früher auch anwaltlich vertreten | |
hat, spricht im weiteren Verlauf der Pressekonferenz in der Bundesstiftung | |
zur Aufarbeitung der SED-Diktatur demonstrativ vom „lieben Herrn Franke“. | |
Er sagt, dass er die Ringer-Einlage für „extrem traurig“ halte, denn er | |
schätze Franke sehr, also für seine Verdienste um das Thema Doping in der | |
Vergangenheit. | |
Lehner hat den Vorsitz des DOH erst seit ein paar Monaten inne, seine | |
Vorgängerin, Ines Geipel, Dopingopfer des SC Motor Jena, war | |
zurückgetreten, nachdem viele ehemalige Mitstreiter, so auch Franke, Kritik | |
am Gebahren des DOH äußerten. Es ging darum, wie mit kritischen Stimmen | |
intern umgegangen, wie Zahlen und Schicksale dramatisiert, ja geradezu | |
frisiert worden seien, wie ehedem bekennende Dopingleugner plötzlich zu | |
Antragstellern nach dem Dopingopfer-Entschädigungsgesetz wurden und dies im | |
DOH unwidersprochen blieb; wie Ärzte Gefälligkeitsgutachten verfassten und | |
mit der Erforschung der Epigenetik Entschädigungschancen für die zweite und | |
dritte Generation von Dopingopfern eröffneten. Es hieß, Ines Geipel schöne | |
ihre Biografie, um in einem besseren Licht dazustehen, und würde alles tun, | |
damit die Politik weiterhin davon überzeugt ist, den Dopingopfern, von | |
denen einige angeblich „Trittbrettfahrer“ seien, Geld zuzuschieben. | |
Dossiers wurden geschrieben, die Fronten verhärteten sich, es kam sogar zu | |
gerichtlichen Auseinandersetzungen. Nach Geipels Abgang versuchte Lehner | |
die Wogen zu glätten. Er verordnete dem Verein so etwas wie eine | |
Deeskalationsstrategie. | |
„Wir haben keinen Streit“, sagte er am Donnerstag, „wir greifen auch nicht | |
an, und wir sind in keiner Verteidigungsrolle.“ Die Diskussionen um den DOH | |
habe großen Schaden angerichtet und Dopingopfer verunsichert. Franke sehe | |
„nur sich selbst und schaue in die Vergangenheit“. Lehner dagegen sieht den | |
Verein, der im Herbst zwanzig Jahre alt wird, auch in zehn Jahren noch in | |
der Verantwortung gegenüber den Dopingopfern. „Der Bedarf ist da, und | |
deswegen muss die Politik auch einstehen“, forderte er. So schlecht sieht | |
es nach all dem Gerangel derzeit gar nicht aus. Ab September wird es zum | |
ersten Mal eine hauptamtliche Mitarbeiterin in der DOH-Geschäftsstelle | |
geben, eine Sozialpädagogin. Das Bundesinnenministerium hat die Förderung | |
erhöht, und einen neuen, drei Jahre dauernden Mietvertrag hat Lehner | |
neulich auch unterschrieben. Der Strom der Hilfesuchenden reiße einfach | |
nicht ab, heuer hätten sich schon wieder 150 potenzielle Dopingopfer | |
gemeldet, sogenannte „Erstkontakte“. Und falls die in den kommenden zehn | |
Jahren nicht mehr anrufen sollten, müsse der Bereich des sexuellen | |
Missbrauchs im DDR-Sport dringend aufgearbeitet werden. | |
Hat der DOH in der Vergangenheit nicht doch ein paar Fehler gemacht, wurde | |
Lehner gefragt. Ja, vielleicht in der Kommunikation des Vereins, sagte er. | |
„Aus der Opferperspektive zu beraten, ist auch nicht immer professionell“, | |
räumte er ein. Was er damit meinte, wurde deutlich, als eine Vorständin bei | |
der Schilderung ihres eigenen Schicksals in Tränen ausbrach. | |
Werner Franke ist da eher hartleibig. Er lud nach der Pressekonferenz des | |
DOH in ein bayerisches Bierlokal an der Friedrichstraße. Er wolle weiter | |
streiten, sagte er nach einem seiner weitschweifigen Monologe: „Ich | |
streite, weil ich der Wahrheit verpflichtet bin.“ Zur Not geht der rüstige | |
Rentner halt auch in den Infight. Vor allem die Sache mit der Epigenetik, | |
also der möglichen Einschreibung von Schäden ins Genom der Folgegeneration, | |
stößt ihm, den Genetiker, mächtig auf. „Psychokacke“, nannte er das. | |
16 Aug 2019 | |
## AUTOREN | |
Markus Völker | |
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