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# taz.de -- Luftschloss und Eisenguss
> DER NEUERER Er war Maler, Architekt, Behördenleiter, neugieriger
> Reisender, Designer: Karl Friedrich Schinkel. Sogar mechanische
> Theaterspektakel hat er entworfen. Das Kupferstichkabinett blättert seine
> Facetten auf
VON RONALD BERG
Rot flackert der Himmel unter dräuenden Wolken aus Rauch: Moskau steht in
Flammen. Menschen fliehen mit Sack und Pack aus der brennenden Stadt
heraus, ein endloser Zug von Soldaten zieht auf der Brücke über die Moskwa
in sie hinein. Die Russen haben ihre Stadt selbst angezündet. Für die
Truppen Napoleons, die Anfang September 1812 in die Stadt einziehen, ist es
ein Pyrrhussieg.
Zwar ist das Bild nur gemalt, aber die Menschenmassen bewegen sich darin
tatsächlich, unsichtbar bewegt in mechanischen Bahnen. Und zu den
Lichteffekten kommt noch der Sound: Pferdetrappeln, Kanonendonner und
ursprünglich auch Klaviermusik begleitete dieses „Optisch-Mechanische
Theater“. Gegen Ende 1812, nur wenige Wochen nach dem Brand von Moskau, ist
die Inszenierung der absolute Publikumsrenner in Berlin: „Schon um sechs
Uhr des Abends waren alle Strassen in der Nähe der Ausstellung mit
Equipagen gefüllt, und nur mit wahrer Lebensgefahr vermochte man zum
Eingang zu gelangen“, wird berichtet. Die Multimediainstallation brachte
die „Breaking News“: Napoleons Grande Armée ihres Winterquartiers beraubt,
das war der Anfang vom Ende auch der Besatzung durch die Franzosen in
Preußen – eine Zeitenwende.
Heinrich Schulze Altcappenberg, Chef des Berliner Kupferstichkabinetts,
sieht in dem Ereignis vor genau 200 Jahren sogar den Anlass für die
aktuelle Schinkel-Ausstellung in seinem Haus. Die Begründung wirkt zwar
etwas gesucht, aber das furiose Spektakel, dessen Rekonstruktion jetzt
einer der Attraktionen am Kulturforum ist, stammt tatsächlich vom berühmten
Karl Friedrich Schinkel. Von 1806 bis 1816 gestaltete der Preußische
Universalkünstler allein 40 (!) solcher Schaubilder. Es gibt aber noch
einen anderen Anlass für die umfangreiche Ausstellung zu Schinkel mit circa
300 Exponaten auf 1.200 Quadratmetern.
## Erforschung des Erbes
Es ist der Abschluss eines dreijährigen Forschungsprojekts zu den
Schinkel-Beständen im Kupferstichkabinett. Hier hält man fast den gesamten
Nachlass des Universalkünstlers. Das sind 5.000 Zeichnungen, Aquarelle und
Gouachen sowie 500 Blatt Grafik. Bereits 1842, ein Jahr nach Schinkels Tod,
ließ der preußische König Friedrich Wilhelm IV. das Material ankaufen. Das
vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit 670.000 Euro
unterstütze Projekt „Das Erbe Schinkels“ ermöglichte Erforschung,
Konservierung und Vermittlung der Bestände.
Zwar bietet die mit Gemälden, Möbeln, Pokalen oder dem Nachbau des
„Optisch-Mechanischen Theaters“ ergänzte Ausstellung nichts grundlegend
Neues zu Schinkel. Aber wer hat schon das letzte Großereignis zu Preußens
Multitalent von 1981 in Erinnerung? Den 200. Geburtstag würdigten Ost und
West noch getrennt.
Originell, wenn auch sehr didaktisch ist das letzte der neun Kapitel der
Schau. Es gilt der praktisch-technischen Seite der Schinkel’schen
Zeichenkunst. Hier werden die Forschungsergebnisse ausgebreitet. Welche
Papiere, welche Zeichengeräte, welche Tinten oder welche Kopierverfahren
kamen bei Schinkel zum Einsatz? Im Ergebnis mussten nun zwei Arbeiten als
nicht von Schinkels eigner Hand aberkannt werden, darunter der berühmte
Entwurf eines Kaufhauses Unter den Linden. In der Oberbaudeputation machte
man sich eben die Haltung des Chefs zu eigen und arbeitete wie in Warhols
Factory.
## Virtuose mit dem Stift
Eine virtuose Zeichenkunst war im Grunde die Grundlage von Schinkels vielen
Talenten – ob als Architekt, Maler, Bühnenbilder oder Designer. An einem
Detail wird zudem ein grundsätzlicher Zug an Schinkel deutlich: die
Aufgeschlossenheit Neuem gegenüber. Auf seiner Englandreise 1826 wechselt
der Künstler sein Zeicheninstrument: Statt Kiel- oder Rohrfeder kommt nun
die Stahlfeder zum Einsatz. Sie ist gleichzeitig – wie die besuchten
Lagerhäuser in Manchester oder die moderne Kettenbrücke bei Bangor in Wales
– Ausweis für eine hochentwickelte Industrienation mit avancierter Technik.
Schinkel adaptiert solch neue technische Lösungen, ob beim
Zeicheninstrument oder in seiner Architektur.
Auch das Kapitel „Schinkel der Moderne“ macht das deutlich. Schinkel
entwirft Prototypen für die serielle Produktion. So bei seinen Stühlen aus
dem neuartigen Material Eisen: Die Formen werden durch das Gussverfahren
stets in gleicher Gestalt und Qualität produziert, der Entwurf wird auf
wenige Einzelteile reduziert. So wird die Produktion effizienter. Man soll
sich also von den vielen konservativen Schinkel-Fans heutzutage nicht
täuschen lassen. Das ist nicht nur Klassizismus, sondern das sind die
Anfänge für modernes Industriedesign.
## Märchen und Module
Schinkel hat unendlich viel als Maler fantasiert, als Architekt geplant und
gebaut, als Behördenleiter beaufsichtigt und überarbeitet. Die Schau
präsentiert ihn als Familienvater, als Designer einer preußischen Corporate
Identity, als Erfinder des Denkmalschutzes und als Hofkünstler. Wir erleben
Schinkel als Erfinder fantastischer Märchenschlösser und Lieferanten von
Vorlagen für das produzierende Gewerbe, um den Geschmack zu verbessern. Er
entwirft mit der Bauakademie einen vollkommen modernen Bau, den er im
Modularsystem als Solitär mit egalitären Seiten entwickelt und in eine
Stadtlandschaft stellt, die er mit Friedrichswerderscher Kirche,
Schlossbrücke, Lustgarten und Altem Museum selbst komponiert.
Auch wenn die aktuelle Ausstellungen Schinkel nicht neu erfindet, so reicht
sie doch, um eines zu zeigen: Schinkel ist immer noch aktuell – vor allem
was die Haltung angeht. „Überall ist man nur da wahrhaft lebendig, wo man
Neues schafft“, dieses Schinkel-Zitat steht am Eingang zur Ausstellung. Das
betrifft eben auch, wie man mit Traditionen zeitgemäß umgehen kann. In
seinen besten Momenten steht Schinkel für die Aufhebung der vermeintlichen
Gegensätze aus Tradition und Innovation, aus Funktionalität und Schönheit.
■ Kulturforum, Matthäikirchplatz. 7, Di.–Fr. 10–18, Do. 10–20, Sa. + S…
11–18 Uhr. Bis 6. Januar 2013. Katalog im Museum 25, im Handel 39,90 Euro
12 Sep 2012
## AUTOREN
RONALD BERG
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