| # taz.de -- Weg mit Hutu und Tutsi | |
| > Ein Hutu-Rebellenführer wird Präsident von Burundi. Doch im Afrika der | |
| > Großen Seen hat der Hutu-Tutsi-Gegensatz immer weniger Bedeutung | |
| VON DOMINIC JOHNSON | |
| Der Führer von Burundis Hutu-Rebellen wird morgen Staatspräsident. Pierre | |
| Nkurunziza vom CNDD (Nationalkomitee zur Verteidigung der Demokratie) ist | |
| der einzige Kandidat, wenn Burundis Parlament zur Wahl des Staatschefs | |
| zusammentritt, und seine Partei gewann dieses Jahr die Parlamentswahlen. | |
| In einem Land, das 30 Jahre Tutsi-Militärdiktatur und danach einen | |
| Bürgerkrieg mit 300.000 Toten erlebt hat, bedeutet der Rebellensieg jedoch | |
| keine Zuspitzung des Hutu-Tutsi-Konflikts. Vielmehr bestimmt die | |
| Hutu-Tutsi-Unterscheidung immer weniger die Politik des Afrikas der Großen | |
| Seen. | |
| Burundis Friedensordnung quotiert zwar politische Posten zwischen Hutu und | |
| Tutsi – aber eben auch innerhalb der Parteien. Die Partei CNDD, 1993 als | |
| radikale Hutu-Armee entstanden, musste dadurch radikal ihr | |
| Selbstverständnis ändern. Sie nahm zahlreiche Tutsi auf, vor allem jüngere, | |
| und predigte ein „neues Burundi“, in dem es keinen Vor- oder Nachteil mehr | |
| bedeute, Hutu oder Tutsi zu sein. Dass sie damit die Wahlen auch gegen | |
| andere Hutu-Parteien deutlich gewann, deutet auf einen gesellschaftlichen | |
| Wandel hin: Immer mehr Burunder wollen von „Hutu“ und „Tutsi“ nichts me… | |
| wissen. Als vorkoloniale Bezeichnungen für Bauern und Viehzüchter | |
| entstanden, verlieren sie nach der rapiden Verstädterung der letzten 20 | |
| Jahre ohnehin an Bedeutung. Immer mehr Burunder entdecken heute, dass ihre | |
| Familien sowohl Hutu als auch Tutsi zählen. Das war während des | |
| Bürgerkrieges ein gut gehütetes Geheimnis – heute ist es ein Grund zum | |
| Stolz. | |
| Unter dem Hutu-Präsidenten Nkurunziza wird Burundis Regierung mehr | |
| Tutsi-Minister zählen als das benachbarte Ruanda, wo unter dem | |
| Tutsi-Präsident Paul Kagame mehr Hutu im Kabinett sitzen als in Burundi | |
| erlaubt wäre. Vordergründig ist Ruanda das Gegenmodell zu Burundi: In | |
| Ruanda ist die Bezugnahme auf Hutu oder Tutsi verfassungswidrig, während in | |
| Burundi jeder Politiker sich als Hutu oder Tutsi outen muss. Aber die Ziele | |
| von RPF und CNDD sind ähnlich. Kagames Exiltutsi-Rebellenbewegung RPF | |
| (Ruandische Patriotische Front) kam 1994 an die Macht, in einem vom | |
| Völkermord verwüsteten Land, und predigte die nationale Einheit: Die | |
| Hutu-Tutsi-Spaltung führte Ruanda in die Katastrophe; nur ohne diese | |
| Kategorien gibt es eine Zukunft. Die Regierung Kagame setzt auf das | |
| Heranwachsen einer neuen Generation, um das zur sozialen Realität werden zu | |
| lassen. | |
| Auch im an Ruanda und Burundi angrenzenden Osten der Demokratischen | |
| Republik Kongo haben sich Hutu-Tutsi-Gegensätze verflüchtigt. Noch 1996, | |
| als mit dem Aufstand der Banyamulenge-Tutsi im Ostkongo der Zyklus von | |
| Kongos Kriegen begann, schien die Allianz aller Tutsi gegen alle Hutu der | |
| Region unerschütterlich. Heute ist davon kaum etwas übrig, und Hutu und | |
| Tutsi im Ostkongo sehen sich kollektiv als „Banyarwanda“ – Angehörige der | |
| gleichen, ruandischsprachigen Volksgruppe. Ihr wichtigster Führer ist der | |
| Hutu Eugène Serufuli, Gouverneur der Provinz Nord-Kivu – ebenso eng mit | |
| Ruanda verbündet wie Burundis CNDD. All dies macht die regionale Politik | |
| jedoch nicht harmonischer. Es setzt neue Rivalitäten an die Stelle der | |
| alten. Aus Sicht des burundischen Establishments, Hutu wie Tutsi, vereint | |
| der CNDD ungebildete Emporkömmlinge. Burundis frühere Diktatoren stammten | |
| alle aus der Südprovinz Bururi. Die neuen Herren hingegen kommen aus dem | |
| armen, dicht besiedelten Norden an der Grenze zu Ruanda. Der gegenwärtige | |
| Machtwechsel wird in Burundi vor allem als Machtverschiebung von Süd nach | |
| Nord wahrgenommen, zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit 1962. | |
| Selbst das ist nicht eindeutig. Das Hutu-Establishment im Norden Burundis | |
| steht der mächtigen katholischen Kirche nahe. Aber große Teile der CNDD | |
| gehören protestantischen Freikirchen an – was sie übrigens mit Kongos | |
| Banyamulenge eint. Der neue Präsident Nkurunziza ist ein „wiedergeborener“ | |
| Christ, CNDD-Parteivorsitzender Hussein Radjabu ist Muslim. Die Katholiken | |
| Nordburundis finden sich in der Hutu-Partei „Frodebu“ (Front für Demokratie | |
| in Burundi) wieder, die die Wahlen verlor und jetzt wieder mit dem | |
| bewaffneten Kampf liebäugelt. | |
| Burundis Konflikte sind also noch nicht vorbei, und das gilt auch für die | |
| anderen Länder der Region. Aber die Begriffe Hutu und Tutsi taugen immer | |
| weniger dazu, sie zu verstehen. | |
| 18 Aug 2005 | |
| ## AUTOREN | |
| DOMINIC JOHNSON | |
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