# taz.de -- Schimmel – na und? | |
> Über Monate lebte Stefan F. in einer total verschimmelten Wohnung in | |
> Hamburg-Billstedt. Trotz eines Bestandes von 130.000 Wohnungen fand die | |
> städtische Saga keinen Ersatz | |
Bild: Suchen Sie den Schimmel! Auch für Laien eine lösbare Aufgabe | |
Von Marco Carini | |
Wer die kleine Zwei-Zimmer-Wohnung in der Möllner Landstraße im Hamburger | |
Stadtteil Billstedt betritt, dem schlägt ein Gestank entgegen, der einen | |
sofort die Oberbekleidung vor Mund und Nase ziehen lässt. In fast allen | |
Räumen, besonders aber in Flur und Bad, haben sich großflächige | |
Schimmelkolonien ausgebreitet. Der Befall ist so stark, dass es keines | |
Gutachters bedarf, um zu erkennen: Ein längerer Aufenthalt in diesen Räumen | |
der Gesundheit nicht zuträglich. | |
Die Wohnung, 43 Quadratmeter klein, gehört der Saga, Hamburgs weitaus | |
größtem Wohnungsunternehmen, das über eine Beteiligungsgesellschaft der | |
Stadt Hamburg gehört. Kaum zu glauben: Obwohl der extreme Schimmelbefall | |
seit über einem halben Jahr existent und mindestens seit dem 2. Januar | |
dieses Jahres auch der Saga bekannt ist, ist die Schimmelwohnung nach wie | |
vor vermietet und offiziell bewohnt – kassiert das kommunale | |
Wohnungsunternehmen Monat für Monat die volle Miete. | |
Mieter ist der 57-jährige Stefan F., der aufgrund leichter psychischer | |
Störungen bei der Bewältigung des Alltags auf Hilfestellungen angewiesen | |
ist und eine gerichtlich bestellte Betreuerin zugeordnet bekommen hat. | |
Dabei ist klar: Stefan F. ist für den Katastrophen-Zustand seiner Wohnung, | |
die er schon seit über 20 Jahren bewohnt, nicht verantwortlich. Ein | |
offenbar größerer Wasserschaden in der Wohnung ein Stockwerk höher hat sein | |
Zuhause in ein Feuchtbiotop verwandelt. Das bestätigt auch die Saga | |
offiziell. | |
Doch beseitigt hat sie den Schaden bislang nicht. Denn die Mieterin der | |
Wasserschaden-Wohnung verwehrt der Saga seit Monaten jeden Zutritt. „Die | |
Saga hat deshalb Klage auf Duldung des Zutritts beim zuständigen | |
Amtsgericht eingereicht“, erklärt Unternehmenssprecher Gunnar Gläser. Bis | |
der aber stattgegeben ist, kann es dauern. | |
Deshalb ist die Betreuerin von Stefan F. seit Anfang des Jahres mit der | |
zuständigen Saga-Geschäftsstelle in Dauerkontakt. Ihr Arbeitsprotokoll | |
weist Dutzende Telefonate und zahlreiche Mails auf, von denen viele bis | |
heute unbeantwortet geblieben sind. Sämtliche Versuche der Rechtsanwältin, | |
eine umfassende Schimmelbeseitigung zu erreichen, liefen ins Leere. | |
Auch ihr Versuch, für Stefan F. eine Übergangsbleibe oder gar eine andere | |
Wohnung auf Dauer zu bekommen, scheiterte über Monate – und das, obwohl die | |
Saga über einen Wohnungsbestand von immerhin 130.000 Wohnungen in Hamburg | |
verfügt. „Aufgrund der derzeitigen Vollvermietung und dem Wunsch nach einer | |
barrierefreien Wohnung in der näheren Umgebung war eine für den Mieter | |
passende Wohnung leider nicht (…) verfügbar“, erklärt Unternehmenssprecher | |
Gläser. | |
„Die Saga hat sich in dieser Sache bislang keinen einzigen Millimeter | |
bewegt“, sagte die Betreuerin am Mittwochmorgen der taz. | |
Um überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben, quartierte sich Stefan F. | |
zunächst für einige Wochen in der kleinen Wohnung seiner 80-jährigen Mutter | |
im Stadtteil Bergedorf ein, die mit der Betreuung ihres psychisch | |
angeschlagenen Sohns auf Dauer aber überfordert war. Derzeit wird Stefan F. | |
quasi „geparkt“ – in der Asklepios-Klinik Wandsbek. | |
Aufgrund der Situation ist der 57-Jährige, der auf Stabilität im Alltag | |
angewiesen ist, in Depressionen verfallen, wirkt apathisch und hält, so | |
sagt er selbst, „die Situation einfach nicht mehr aus“. | |
Dass es ganz anders gehen kann, zeigte die Saga jetzt. Nachdem die taz am | |
Mittwochnachmittag das Unternehmen, das vor allem Sozialwohnungen im | |
Bestand hat, von der geplanten Veröffentlichung des Falles informierte und | |
schriftlich zu einer Stellungnahme zu dem monatelangen Stillstand | |
aufforderte, klingelte nur zwei Stunden später bei der Betreuerin das | |
Telefon. Auf der Mailbox stellte der zuständige Saga-Sachbearbeiter eine | |
„freudige Nachricht“ in Aussicht. | |
Am Donnerstag stand dann fest: Stefan F. wird kurzfristig eine andere | |
Saga-Wohnung im benachbarten Stadtteil Mümmelmannsberg erhalten, die er | |
übergangsweise oder auf Dauer nutzen kann. Den notwendigen Umzug | |
organisiert die Saga. F.s jetzige Wohnung wird nach Beseitigung der | |
Schadensursache komplett renoviert. Der 57-Jährige bekommt ein | |
Rückkehrrecht. Alle Forderungen der Betreuerin, die seit Anfang des Jahres | |
auf Granit biss, werden damit erfüllt. | |
Saga-Sprecher Gläser betont, das Angebot habe natürlich nichts mit der | |
taz-Recherche zu tun und fragt vorsichtig an, ob denn eine Veröffentlichung | |
des Falls denn noch notwendig sei, jetzt, wo doch alles auf einem guten Weg | |
sei. | |
10 May 2019 | |
## AUTOREN | |
Marco Carini | |
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