# taz.de -- Die Poesie der Linie | |
> Mit seiner neuen Ausstellung „Budapest, Berlin, Amsterdam“ entdeckt das | |
> Paula Modersohn-Becker Museum die hierzulande eher unbekannte Fotografin | |
> Eva Besnyö (1910-2003). Ihre Arbeiten verbinden strenge Diagonalen und | |
> Schlagschatten mit spielerischen Ideen und großer Erzählkraft | |
Bild: Da dachte noch niemand an Selfies auf Instagram: Eva Besnyös Selbstportr… | |
Von Jan Zier | |
Nehmen wir den Jungen mit dem Cello auf dem Rücken – eine sehr poetische, | |
erzählerische Aufnahme von Eva Besnyö, zugleich eine ihrer bekanntesten | |
Fotografien. Wir sehen den Jungen, der hier 1931 eine Allee in Ungarn | |
entlang geht, nur von hinten – vielleicht bemerkt er uns gar nicht, | |
vielleicht ist das Bild inszeniert, wir wissen es nicht. Dem Bildungsbürger | |
in uns tut weh, dass er sein Instrument ungeschützt auf dem Rücken trägt, | |
wie eine Sporttasche, den Bogen in der Hand. Viele Geschichten ließen sich | |
zu diesem Foto denken, und genau darum ist es auch so stark. Es ist ein | |
eindringliches, schwarz-weißes Porträt von Cartier-Bressonscher Schönheit, | |
zugleich aber schon typisch für Eva Besnyö. Denn die Aufnahme lebt von der | |
Diagonale, die das Griffbrett des Cello wie selbstverständlich ins Bild | |
zeichnet, aber auch ein wenig von dem Spiel mit Licht und Schatten: | |
zeitlebens ihre typischen Stilmerkmale. | |
Eva Besynö, [1][1910 als Tochter eines jüdischen Rechtsanwalts in Budapest | |
geboren], ist in Norddeutschland bislang noch eher unbekannt. Aber zu | |
Unrecht! Das [2][Paula Modersohn-Becker Museum] zeigt nun eine Auswahl von | |
rund 80 Arbeiten, die im vergangenen Jahr auch im Käthe Kollwitz Museum in | |
Köln zu sehen waren. | |
Kurz nachdem das erwähnte Foto mit dem Jungen und seinem Cello entstand, | |
emigrierte Eva Besnyö nach Berlin, eine Flucht vor dem damals schon | |
repressiven ungarischen Regime, aber auch eine Entscheidung gegen das | |
romantisierte Paris. Die Kunst in Ungarn sollte fortan dem „magyarischen | |
Nationalismus“ huldigen, da war für die 21-Jährige, die gerade ihre | |
Ausbildung bei einem Portrait- und Werbefotografen abgeschlossen hatte, | |
kein Platz mehr. | |
Die Stadt, auch wenn das heute irritieren mag, stand für sie damals noch | |
für Aufbruch, für Experimentierfreude. „Ich kam nach Berlin und da ging das | |
Licht an!“, sagte sie mal – und wahrscheinlich erkennt man das am besten an | |
jenem Bild aus der Starnberger Straße, das ebenfalls 1931 entstand. Es | |
zeigt, mit Blick von oben, eine sorgfältig komponierte Straßenszene, die | |
Sonne steht tief, die Schatten sind lang, ein paar wenige Menschen | |
verlieren sich in der Weite der Straßenecke und im Vordergrund staunen ein | |
paar Jungs über ein einsames altes Automobil. Das Bild fasziniert mit | |
seiner fast krimihaft dichten Atmosphäre, aber auch durch seine Flächigkeit | |
und Linienführung, durch rechte Winkel und Schrägen: „In Ungarn lag die | |
Diagonale in der Luft, in Berlin ging sie durch mich hindurch“, sagte | |
Besnyö einmal. | |
Als ihre Fotoagentur sie zum Verschweigen ihres Namens auffordert – er | |
klingt zu jüdisch – verlässt sie die Stadt und emigriert in die | |
Niederlande. Dort war 1934 ihre erste Einzelausstellung zu sehen, dort | |
wurde sie viel bekannter als hierzulande, wo sie erst 1992 entdeckt wurde, | |
wiederum in Berlin. Elf Jahre vor ihrem Tod. In den Niederlanden wird ihr | |
Blick freier, ihre Bildsprache künstlerischer. Als Fotografin lebt sie in | |
dieser Zeit zumeist von Auftragsarbeiten in der Architekturfotografie. | |
Menschen haben darin in der Regel keinen Platz, zum Bedauern auch der | |
Fotografin. Trotzdem sind auch diese kommerziellen Arbeiten typisch für Eva | |
Besnyös Stil: Die geometrische Strenge der Diagonalen und Schlagschatten | |
verbindet sich mit etwas Spielerischem. | |
Ein Stockwerk weiter zeigt die Ausstellung unbarmherzig, in welche Abgründe | |
diese Bildsprache führen kann. Eine Serie aus dem von den Nazis 1940 | |
zerstörten Rotterdam ästhetisiert das Grauen auf schwer erträgliche Weise. | |
Besnyö selbst wollte die Aufnahmen lieber nicht zeigen, sie wollte sie | |
sogar vernichten – und sprach später von einem „Todesstoß meiner | |
ästhetischen Fotografie“. | |
Kein Wunder, dass es aus späteren Jahren vor allem Porträts zu sehen gibt, | |
meist solche von Künstlern, denn Eva Besnyö hatte mittlerweile in eine | |
berühmte Malerfamilie eingeheiratet. In den Siebzigerjahren entstehen aber | |
auch intensive, reportagige Porträts der niederländischen Frauenbewegung | |
Dolle Mina. Die Werkschau ist eine sehr biografische, in der stets das | |
Ringen um das finanzielle Überleben als Fotografin mitschwingt. Eine | |
kleinere Auswahl hätte Besnyös Licht indes noch heller strahlen lassen. | |
Manch ein Foto verliert in Zeiten Social Media-geprägter Sehgewohnheiten | |
eben an Reiz. | |
Bis 22. April, Paula Modersohn-Becker Museum | |
19 Jan 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.dasverborgenemuseum.de/kuenstlerinnen/eva-besnyoe | |
[2] https://www.museen-boettcherstrasse.de/kunst-erleben/fuehrungen-und-veranst… | |
## AUTOREN | |
Jan Zier | |
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