# taz.de -- Eventpläne im Megastau | |
> Indien strebt eine größere Rolle im Weltsport an. Olympische Medaillen | |
> sollen her. Die Gastgeberrolle bei den Spielen traut sich das Land jedoch | |
> selbst nicht so recht zu | |
Bild: Olympiatauglich: Fan bei der Hockey-WM in Bhubaneswar | |
Aus Mumbai Thomas Winkler | |
Ende November hatte Narinder Batra seinen großen Auftritt. Zugegeben, der | |
Stargast, Bollywod-Superstar Shah Rukh Khan, bekam entschieden mehr Applaus | |
von den 16.000 im Kalinga Stadium in Bhubaneswar. Aber als Präsident des | |
Internationalen Hockey-Verbandes FIH durfte Batra in seiner Rede die | |
Eröffnung der Weltmeisterschaft zum „wahrhaftig historischen Moment“ | |
erklären, „auf den wir lange gewartet haben“. | |
So lang nun auch wieder nicht. Erst 2010 hatte zuletzt eine Hockey-WM auf | |
dem Subkontinent stattgefunden, diese ist bereits die dritte, die Indien | |
ausrichtet. Hockey, das kann Indien. Aber Batra ist nicht nur FIH-Chef, er | |
ist auch Präsident der Indian Olympic Association (IOA). Und als solcher | |
war er stolzer Gastgeber, als im April IOC-Präsident Thomas Bach nach New | |
Delhi kam. Nachdem die beiden Funktionäre für die Fotografen die Hände | |
geschüttelt hatten, sagte der oberste indische Olympier: „Wir werden uns | |
bewerben für die Olympischen Jugendspiele 2026, die Asienspiele 2030 und | |
die Olympischen Spiele 2032. Wir wissen nicht, ob diese Events in Indien | |
stattfinden werden oder nicht. Mal sehen, wie scharf die Konkurrenz wird.“ | |
Olympia in Indien? Presseresonanz und Begeisterung hielten sich im Rahmen. | |
Schon einen Tag nach Bachs Besuch versetzte dann ein anderer hochrangiger | |
Funktionär den hochfliegenden Plänen von Batra auch noch einen | |
empfindlichen Dämpfer. Rajyavardhan Singh Rahore, Indiens Minister für | |
Jugend und Sport und früher Weltklasse-Sportschütze, teilte mit, das Land | |
habe keine Pläne, in absehbarer Zeit Gastgeber für sportliche | |
Großereignisse zu spielen, vor allem auch nicht für die Spiele 2032. Nicht, | |
dass Rahore etwas gegen Leistungssport hat. Der Silbermedaillengewinner von | |
Athen 2004 hat prophezeit, bei Olympia 2028 werde das bislang nicht eben | |
goldverwöhnte Indien an die Spitze des Medaillenspiegels stürmen. Um diese | |
Entwicklung zu fördern, wolle man eben keine „Mammut-Stadien“ errichten, | |
sondern den Fokus bei der Entwicklung der sportlichen Infrastruktur lieber | |
auf „kleine, zweckmäßige Sportstätten“ legen. „Die grundsätzliche Fra… | |
doch“, erklärte der Politiker der hindu-nationalistischen Regierungspartei | |
BJP: „Tut so ein Großereignis unserem Land gut? Nützt es uns?“ | |
Indien ist die größte Demokratie der Welt und keine autoritäre Diktatur, | |
auch wenn nicht wenige fürchten, die BJP könnte das Land in eine solche | |
verwandeln, sollte bei den im kommenden Frühjahr stattfindenden Wahlen ihre | |
absolute Mehrheit bestätigt werden. Die BJP wäre eigentlich anfällig für | |
Protzprojekte wie Olympia. Aktuell planen die Hindu-Nationalisten, die | |
größte Statue der Welt zu bauen. Das über 180 Meer hohe Abbild von | |
Vallabhbhai Patel, eines der Gründungsväter Indiens, soll vom Weltraum aus | |
zu erkennen sein. Dass ein BJP-Sportminister Olympia-Pläne ablehnt, zeigt: | |
Die Sache ist kompliziert. | |
So kompliziert, dass eine Anfrage der taz für ein Interview nach | |
monatelangem Hin und Her schließlich von der IOA abgelehnt wurde. Man könne | |
angesichts des sensiblen Themas jetzt kein Statement abgeben, ließ der | |
Sportverband ausrichten. Tatsächlich ist die Frage, ob die | |
1,3-Milliarden-Nation sich der Welt als Veranstalter von Mega-Sport-Events | |
präsentieren sollte, nicht nur unter den zuständigen Funktionsträgern | |
umstritten. Indien hat so viele Probleme – und der Glaube daran, mit dem | |
für Olympische Spielen nötigen Investitionen könnten Städte einige dieser | |
Probleme, vor allem infrastrukturelle, lösen, ist lange nicht mehr so | |
verbreitet wie früher. | |
## Erstickende Metropolen | |
Die Infrastruktur ist in der Tat ein großes Problem. Die wenigsten | |
Sportstätten haben – abgesehen von vielen Kricket-Stadien – internationales | |
Niveau. Natürlich kann man Hallen und Stadien bauen. Aber selbst der | |
traditionelle Nationalsport Kabaddi wird in der Multimillionenmetropole | |
Mumbai vor wenigen Tausend Zuschauern ausgetragen. Sogar beim | |
Kricket-Länderspiel Ende Oktober gegen die West Indies, bei dem Indien mit | |
allen Stars um Virat Kohli und Rohit Sharma auflief, blieb das gerade mal | |
23.000 Menschen fassende Brabourne Stadium im Süden von Mumbai halb leer. | |
Ein noch größeres Problem: der Verkehr und die damit verbundene | |
Luftverschmutzung. Selbst New Delhi, obwohl ausgestattet mit einer | |
nagelneuen U-Bahn, steht ständig im Stau. In Chennai ist eine U-Bahn | |
geplant, in Mumbai wird sie gerade gebaut. Aber die Experten rechnen damit, | |
dass sie bei ihrer Fertigstellung nur den zusätzlichen Verkehr auffangen | |
wird, der durch den ungebrochenen Zuzug entsteht. Mumbai ist einfach zu | |
groß. Oder zu klein: Auf einer vom Meer eingeschlossenen Fläche, die ein | |
Drittel kleiner ist als die von Berlin, leben – so genau weiß das niemand – | |
mehr als 20 Millionen Menschen. Und täglich, so Schätzungen, kommen 10.000 | |
dazu. | |
Lebt man ein paar Monate hier, kann man sich zwar sehr gut vorstellen, dass | |
diese Stadt zwar ein paar Hunderttausend Olympia-Besucher zwei Wochen lang | |
einfach schluckt. Aber der geregelte Ablauf eines Riesen-Events wie Olympia | |
in Mumbai erscheint unmöglich. Dass Sportler, Zuschauer und Journalisten | |
halbwegs pünktlich die Sportstätten erreichen, ist kaum vorstellbar. | |
Infrastruktur, Umweltprobleme, die grassierende Korruption, eine | |
Wirtschaft, die immer auf dem Sprung zu sein scheint, aber nie richtig | |
abhebt: das alles summiert sich zu grundsätzlichen Bedenken, die auch das | |
IOC äußert. Schon 2015 war Thomas Bach einmal in Indien. Damals traf er | |
sogar Premierminister Narendra Modi, aber konnte sich anschließend nicht | |
dazu durchringen, eine damals diskutierte indische Bewerbung für die Spiele | |
2024 zu empfehlen. „2024 käme zu schnell für Indien, um Gastgeber für | |
erfolgreiche Spiele zu sein“, meinte Bach. Dass ein IOC-Chef einem Land | |
rät, sich nicht zu bewerben, ist noch nie vorgekommen. | |
Der beleidigte Aufschrei blieb aus, denn auch in Indien selbst wird | |
kontrovers diskutiert, ob das Land überhaupt in der Lage ist, ein | |
Großereignis wie Olympia zu organisieren. Nicht, dass es noch keine | |
Mega-Events in Indien gegeben hätte. Asienspiele fanden 1951 und 1982 | |
jeweils in New Delhi statt. Auch den Cricket World Cup hat Indien schon | |
zwei Mal organisiert, und die Auflage 2023 soll ebenfalls hier steigen. | |
Selbst der internationale Fußball hat es schon nach Indien geschafft. Die | |
U17-WM im Oktober 2017 war das erste Fifa-Turnier in Indien. Die Gastgeber | |
schieden zwar punktlos schon in der Gruppenphase aus. Trotzdem kamen so | |
viele Zuschauer wie noch nie zu einem U17-Weltturnier – und es gab Lob vom | |
Weltverband. „Ein fantastisches Turnier, das gezeigt hat, dass Indien ein | |
Fußball-Land ist“, hatte Jaime Yarza, bei der Fifa „Head of Tournaments“, | |
erlebt. Trotzdem vergab die Fifa im März dann die U20-WM 2019 nicht an | |
Indien, sondern an das vergleichsweise mickrige Polen. | |
Eine echte Katastrophe waren allerdings die Commonwealth Games 2010 in | |
Delhi. Im Vorfeld des größten Sportereignisses, das Indien jemals zu | |
stemmen versuchte, waren die Kosten wegen Korruption und finanzieller | |
Unregelmäßigkeiten explodiert. Die U-Bahn zum Flughafen wurde erst ein Jahr | |
nach den Spielen eröffnet. Als das Ereignis näher rückte, grassierte das | |
Dengue-Fieber, der Sportstättenbau verzögerte sich und fast die Hälfte der | |
Freiwilligen kündigte wegen mangelnder Vorbereitung. Wenige Tage vor der | |
Eröffnung gab es einen islamistischen Terroranschlag, und dann stürzten | |
noch eine Brücke, die zum Stadion führte, und eine Decke im Stadion selbst | |
ein, 50 Bauarbeiter wurden verletzt. Einige prominente Athleten reisten | |
wegen Sicherheitsbedenken erst gar nicht an. Die Krönung war dann die | |
Eröffnung, als Suresh Kalmadi, der Chef des Organisationskomitees, unter | |
anderem Princess Diana begrüßte. Die war zu diesem Zeitpunkt schon 13 Jahre | |
tot. | |
Die eigentlichen Spiele konnten dann durchgeführt werden. Berichte über | |
schlammiges Wasser im Schwimmstadion, Rassismusvorwürfe von afrikanischen | |
Delegationen, zusammengebrochene Betten und Schlangen im Athletendorf oder | |
allerhand Magen-Darm-Infektionen sorgten dann dafür, dass diese | |
Commonwealth Games nicht gerade Werbung für den Event-Standort Indien | |
waren. | |
Dieser Beitrag ist im Rahmen des Programms Medienbotschafter Indien – | |
Deutschland entstanden. | |
8 Dec 2018 | |
## AUTOREN | |
Thomas Winkler | |
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