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# taz.de -- Kleinteiliger Erfolg
> Elisabeth Seitz gewinnt bei der Turn-Weltmeisterschaft in Doha die
> Bronzemedaille am Stufenbarren – und wähnt sich endlich am Ziel
Bild: „So ein Erfolg zeigt mir, dass ich bei meiner Karriere noch lange nicht…
Aus Doha Sandra Schmidt
Es war Zeit. Zeit dafür, dass all die Mühen des jahrelangen Trainings dazu
führen, dass endlich mal so ein kleines Teil um den Hals hängt. Elisabeth
Seitz hat am Freitag bei der Turn-WM in Doha die Bronzemedaille gewonnen,
und dann hing also dieses „kleine Teil“, wie sie es nennt, um ihren Hals.
„Das war immer mein größter Traum“, sagte Seitz, „letztendlich habe ich
schon so viele Medaillen gesammelt, zwei Medaillen bei
Europameisterschaften, zweimal die Weltcupserie im Mehrkampf,
Weltcupmedaillen.“ Dazu kommen 21 deutsche Meisterschaften, ein Rekord.
Aber die eine hatte eben gefehlt.
Hätte eine Marketingagentur die Aufgabe, eine Figur zu erfinden, die
Werbung für den Turnsport macht, dann könnte sie sich Seitz zum Vorbild
nehmen. Werbung zum Beispiel, die dem Klischee entgegenwirkt, dass
Turnerinnen per se kleine, dürre und verschüchterte Kinder sind, die im
Training gequält werden, im Wettkampf wie Roboter funktionieren. Seitz ist
am gestrigen Sonntag 25 Jahre alt geworden. Ihr Turnen hat sie bei Claudia
Schunk in Mannheim gelernt, seit 2014 in Stuttgart perfektioniert, und seit
letztem Jahr studiert die Sportsoldatin an der Pädagogischen Hochschule
Ludwigsburg.
Wenn Seitz auf der Bodenfläche steht, dann turnt und lacht sie
gleichzeitig. Und wenn das Publikum schreit und klatscht, dann turnt sie
meistens noch besser. Seitz sagt nach solchen Wettkämpfen Sätze wie: „Mich
bringt vor allem der Spaß weiter, ich liebe einfach das Turnen.“ Geht es um
die Einschätzung ihrer eigenen Leistung, ist sie meist entschieden und sagt
auch ganz gern: „Ich kann stolz auf mich sein.“ Attribute wie jenes der
„Wettkampfsau“ hat sie selbst geprägt, und tatsächlich läuft es bei ihr …
Wettkampf meistens gut. Wenn es nicht gut läuft, dann sucht sie die Schuld
nicht bei anderen und präsentiert keine Ausreden. Kurzum: Die denkbar beste
Werbung für das Turnen ist die Turnerin Elisabeth Seitz, weil man ihr all
das ganz gut abnehmen kann.
Zwischen einer Übung, die gut läuft, und der Weltmeisterschaftsmedaille lag
für Seitz in Katar das, was sie später als ein „komplettes Gefühlschaos“
bezeichnen sollte. Ihre Übung ist sie vorher „125.000 Mal im Kopf
durchgegangen“, in jener Variante, für die sie sich nach Abwägung mit
Trainer Robert Mai entschieden hatte. Es war die sichere Version, mit einem
Schwierigkeitswert von 6,2 Punkten, und nicht jene mit einer zusätzlichen
direkten Kombination von Elementen, die aber nicht immer gelingt. Auch die
sichere Übung war die zweitschwierigste des Feldes, allein die neue
Weltmeisterin, Nina Derwael aus Belgien, turnt noch extremer. Seitz hat
gelernt, dass es im Grunde immer nur um ihre Leistung geht, um das, was sie
selbst beeinflussen kann. Wenn ihr die denkbar beste Übung gelingt, dann
gilt es, damit glücklich und zufrieden zu sein. Aber: „Dann kommt wieder
dieser Traum hoch, wie ich da oben stehe und vielleicht auch mal eine
Medaille umgehängt bekomme, und dann versuche ich das ganz schnell wieder
aus dem Kopf zu bekommen.“ Da sei es schon schwer, auf andere Gedanken zu
kommen, wie auch, wenn sich gerade alles um den Wettkampf dreht. Elisabeth
Seitz lacht über sich und ihre eigenen Gedanken.
Wie es ist, wenn sie nicht da oben steht und keine Medaille umgehängt
bekommt, das hat sie in der Vergangenheit zur Genüge erfahren. 2010 stand
sie zum ersten Mal im Finale der acht besten Turnerinnen der Welt am
Stufenbarren und wurde Achte. 2012 im olympischen Barrenfinale von London
wurde sie Sechste, 2016 in Rio Vierte, bei der Weltmeisterschaft im letzten
Jahr Fünfte.
Die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro waren der größte Erfolg und die
größte Enttäuschung in einem. Damals, als ihre Teamkollegin Sophie Scheder
mit minimalem Vorsprung die Bronzemedaille gewonnen hatte, da sagte Seitz
auch: „Ich kann stolz auf mich sein, ich bin Vierte im olympischen
Barrenfinale.“ Aber in dem Moment war sie einfach nur bodenlos enttäuscht.
In Katar, bei ihrer achten Weltmeisterschaft, wollte sie unbedingt nicht
wieder Vierte werden. Hat geklappt.
5 Nov 2018
## AUTOREN
Sandra Schmidt
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