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# taz.de -- Nabelschau statt Weltenblick
> Das Hamburger Museum für Völkerkunde heißt jetzt „Museum am Rothenbaum.
> Kulturen und Künste der Welt“, kurz: „MARKK“. Dazu einige grundsätzli…
> Zweifel am aktuellen Stand der Ethnologie
Bild: Umflaggen allein macht noch keine neue Perspektive, da helfen auch keine …
Von Hajo Schiff
Wer ausgerechnet am 11. September grundlegende Änderungen verkündet, muss
von seinem Anliegen sehr überzeugt sein. Der Hamburger Politik und der
neuen Direktorin Barbara Plankensteiner hat es gefallen, seit ebendiesem
Datum dieses Jahres das seit 1879 bestehende Hamburger Museum für
Völkerkunde umzubenennen. Statt nach dem Zweck, das Wissen über die Völker
der Welt zu vergrößern, heißt es jetzt nach seinem Ort in der Stadt und
nach den Dingen, die da sind: „Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste
der Welt“, abgekürzt „MARKK“, wie eine englische Schuhcreme.
Letzteres dürfte der beauftragten Werbeagentur aber entgangen sein, die bis
zum Kalauer in den neuen markigen Namen verliebt ist: Grafisch wird meist
der Marker eingesetzt und es finden sich Fan-Artikel beispielsweise mit der
Aufschrift „Ich Markk Dich“. Auch wenn die Werbebranche das natürlich
anders sieht, haben Namen zwar eine Geschichte und eine Bedeutung, sie sind
vor allem aber doch zuerst Bezeichnungen. „Raider“ heißt jetzt „Twixx“,
sonst ändert sich nix.
Namen sind anders als Begriffe für sich genommen keine Inhalte, auch wenn
das mitunter so verstanden wird, wie aus Politik und aktueller
Sprachdiskussion hinreichend bekannt. Und so gibt es immer wieder Neusprech
und Umbenennungen; letztere sind aber unabhängig von irgendwelchen
faktischen Veränderungen vor allem ein Ausdruck ideologischer
Neupositionierung.
Viele Ethnolog*innen sehen heute ihr Fach als Ausbund des Kolonialismus,
wollen mit Begriffen wie Volk und Authentizität nichts mehr zu tun haben,
finden tradierte Stammesbezeichnungen rassistisch, beargwöhnen alle
gesammelte Objekte als geraubt und halten sogar noch immer praktizierte
Rituale für folkloristische Touristenexotik. Lieber verstehen sie sich als
Kulturanthropolog*innen in einer transkulturellen Welt voller hybrider
Objekte.
So befasst sich die erste frisch für das neue Museumsimage gemachte
Ausstellung „Erste Dinge“ mit einer zwar rätselhaften, aber doch nahen
Sippschaft: den weltweit agierenden Hamburger Kaufleuten und ihren
einstigen Reisemitbringseln. Im Rausch des vermeintlichen Neuanfangs wird
am Rothenbaum nun aufgearbeitet, wann und wie, durch wen und warum die
allerersten als ethnografisch verstandenen Objekte in die Museumssammlung
und deren Vorläufer in der Stadtbibliothek oder in der Gelehrtenschule des
Johanneums gelangten.
Auch dabei gibt es so manche Schwierigkeiten: Was war der Zweck der
Kaufmannsschenkungen, was war das Interesse der ursprünglichen
Besitzer*innen? Waren die Objekte schon damals für den Export und den
Handel erstellt oder waren sie Dinge aus dem wahren Leben? Wie verlief der
Erwerb und ist ein Geschäft von vor über 150 Jahren ökonomisch und
moralisch noch korrekt einzuschätzen? Und selbst wenn, wozu soll eine
solche Geschichtsrevision gut sein? Wäre es nicht besser, wenn schon, dann
heutige Handelsgeschäfte moralisch zu bewerten?
## Dröge Handelsgeschichte
In Zeiten der weltweiten Billigflieger ist das Fremde kaum eine Sensation
mehr und es aufzusuchen ist ökologisch und ökonomisch fast schon wieder
illegitim. Dafür leben heute im eigenen Land Menschen mit sehr
unterschiedlichen kulturellen Hintergründen – gerade diese anzusprechen war
ein Schwerpunkt von Wulf Köpke, dem letzten Direktor des
Völkerkundemuseums. Jetzt aber wird erst einmal der Blick mehr auf das hier
in den Sammlungen Vorhandene gelenkt. Auch Hamburgs Kultursenator Carsten
Brosda (SPD) betont ausdrücklich, dass es nun wesentlich darum gehe, etwas
über die eigene Geschichte im Umgang mit dem Fremden zu lernen.
Wie auch in den Museen für Stadtgeschichte und für Kunstgewerbe derzeit
weitgehend üblich, erzählen nun viele aus dem Archiv geholte Objekte in der
Ausstellung ihre Geschichte. Aber die ist vor allem eine von Erwerb und
Wirkung, ist eher dröge norddeutsche Handelsgeschichte statt begeisternde
Kunde des Fremden. Diese Provenienzforschung ist in ihrer ausschweifenden
akademischen Präzision zwar durchaus interessant, sie sichert das Haus auch
vorausschauend gegen Restitutionen ab; sie ist aber eben eindeutig vor
allem Heimatkunde – Nabelschau statt Weltenblick.
Mag die lebensgroße, löwenreitende Göttin Durga am Beginn der Ausstellung
auch als Eye-Catcher dienen, interessant an ihr ist hier kaum ihre
Bedeutung im Hinduismus, eher schon das Material der Skulptur und ihre
historische Verwendung; vor allem aber die zufällige Tatsache, dass sie im
allerersten Sammlungsverzeichnis von 1867 von damals 645 Objekten die
Archivnummer „A 1“ hat. Damit ist eine von verschiedenen Göttern mit
unbesiegbarer Macht ausgestattete, dämonenbekämpfende Rachegöttin die
Nummer eins aller hiesigen Befassung mit dem Anderen – welch ungeahnte
Ironie könnte da aufblitzen.
Doch um Magie geht es nicht mehr. Im Untertitel des neuen Museumsnamens
klingt eher an, die Sammlungsobjekte zur Kunst aufzuwerten. Das macht sie
von Anschauungsobjekten zu neuen Fetischen der Warenwelt – schlimm genug,
dass auch die staatlichen Museen ihren Sammlungsbesitz nach dubiosen
Marktwerten erfassen müssen. Leider ist beispielsweise historisches
Exportporzellan aus China nun wahrlich kein individuelles künstlerisches
Objekt mit implizierter Erkenntnisbotschaft.
Die in der neuen Ausstellung ebenfalls kritisierte Aussonderung von
Artefakten in Spartenmuseen – Archäologie; Ethnologie; Kunst und Gewerbe –
folgte einst einem ehrenwerten Versuch, im Gegensatz zur individuellen
Wunderkammer zumindest im Ansatz eine objektive Verwissenschaftlichung zu
ermöglichen. Ja, auch das ist nur eine Erzählung, aber immerhin ein nicht
leicht verzichtbarer Ansatz.
Eine Erzählung über das Andere ist immer nur eine subjektive, sogar
wunschbesetzte Interpretation. Das kann durchaus mit goldenen Lettern über
alle Museen, Universitäten und Kirchen geschrieben werden. Aber solche
Selbstreflexion ist eine Voraussetzung, kein Ziel, bestenfalls ein
Zwischenziel.
Die eigene Erzählung muss, so sie denn nicht ohnehin Fiktion ist, immer
wieder an dem, von dem sie handelt, überprüft werden. Im Falle der
Ethnologie sind das die anderen als möglichst gleichwertige Partner. „Wir
stellen nicht mehr Völker vor, sondern die Sammlung“, sagt dagegen Barbara
Plankensteiner, der die Imagination von Lebensstilen kulissenhaft erscheint
und der das Feiern von außereuropäischen Festen als klischeebehaftet
suspekt ist.
Seltsamerweise ist Hamburgs größtes Zeughaus von Artefakten, das Museum für
Kunst und Gewerbe, gerade fast in die Gegenrichtung unterwegs. Dort
verfolgte mit der Ausstellung „Mobile Welten“ Roger M. Buergel –
künstlerischer Leiter der Documenta 12 und derzeit Direktor des
ethnologisch ausgerichteten Johann-Jacobs-Museums in Zürich – ein Konzept,
das die komplexe globale Bewegung von Objekten, Menschen und Ideen in
Geschichte und Gegenwart sowie die damit einhergehende Verflechtung von
kulturellen Formen und Lebenswelten betont, also weniger nach deren
Sammlungsgeschichte, sondern nach deren auch subjektiver Bedeutung in der
Welt fragt.
Nun haben Dinge zwar eine eigene Qualität, sie wirken aber wesentlich durch
ihren Kontext. Deshalb ist ein Reusen-Objekt in einer Galerie oder auf der
Documenta etwas anderes als in einer Ausstellung über Fischer in Ostasien.
Wenn es der Ethnologie künftig aber bei allen möglichen Irrungen und
Missverständnissen nicht mehr wesentlich um die Menschen geht, und zwar die
lebenden, sind ethnologische Kulturorte bald nicht mehr von anderen Museen
und ihren Objekten zu unterscheiden. Aber vielleicht ist dieser
selbstvergewissernde Rückblick ja nur der Anfang für zukünftige Ausblicke –
über den Rothenbaum hinaus.
„Erste Dinge – Rückblick für Ausblick“: bis auf Weiteres, Museum am
Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt, Rothenbaumchaussee 64, Hamburg
20 Oct 2018
## AUTOREN
hajo schiff
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