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# taz.de -- Kreissägenmassaker in Moliwood
> Nach dem klaren Sieg von Team Europa gegen die US-Golfer bewahrheitet
> sich mal wieder, dass beim Ryder Cup andere Gesetze gelten
Bild: Ja, leck mich fett: Sergio Garcia (l.) feiert mit Ian Poulter den Gewinn …
Aus Paris Bernd Müllender
Tiger Woods, der große alte Mann des Golfsports, wirkte wie ein Veganer auf
einer Barbecue-Party oder wie NRW-Innenminister Herbert Reul als Bewohner
eines Baumhauses im Hambacher Forst, jedenfalls völlig deplatziert. Woods
prügelte und schubste seine Bälle vor sich her, fand nie so recht sein Ziel
und schien, wie sein müder und bisweilen ins Traurige spielende
Gesichtsausdruck verriet, an der ganzen Sache nicht mal richtig
interessiert zu sein.
Der lethargische Ex-Dominator jedenfalls, zuletzt nach vier
Rückenoperationen wieder in toller Form, war der größte Loser bei
Titelverteidiger USA. Vier Mal trat er auf der Anlage Le Golf National bei
Paris an, vier Mal verlor er. „Ich war einer der maßgeblichen Faktoren“,
räumte er nachher mit deprimierter Stimme ein, „dass wir den Cup verloren
haben.“
Team Europa gewann 17,5:10,5. Eine saftige Packung. Präziser gesagt: Das
junge Team Europa mit so vielen unerfahrenen Leuten zertrümmerte den
Favoriten USA, der unter seinen zwölf Cracks neun Major-Sieger wusste. Aber
vergangene Turniertriumphe bedeuten nichts. Der Teamwettbewerb im sonst so
streng individualistischen Golf, wo jeder gemeinhin sein eigenes Ego pflegt
und Dollars wie Weltranglistenpunkte häufen will, funktioniert anders – wie
die 42. Austragung am Wochenende vor 60.000 Zuschauern erneut und besonders
deutlich bestätigte.
## Spektakel und Spirit
Im Fußball gibt es im DFB-Pokal angeblich eigene Gesetze. Die einzelnen
Paragrafen kennt zwar niemand, aber von der Existenz des geheimnisvollen
Gesetzeswerkes sind alle überzeugt, wenn ein unterklassiger Klub einen
Großen besiegt. Der Ryder Cup, alle zwei Jahre, hat seine noch eigeneren
Gesetze.
Hier spielt entweder jeder sein Spiel (wie so oft die USA) oder die
Einzelnen wachsen zu einem verschworenen Schwarm, größer als die Summe
seiner Teile. Mit Enthusiasmus und Teamspirit peitschen sie sich zu immer
neuen Spektakelmomenten. Bestes Beispiel: der extrovertierte Ian Poulter
aus Hertfordshire, sonst keiner der ganz Großen, aber im Ryder Cup immer
ein Vulkan und erfolgreicher Punktesammler. Am Sonntag kämpfte er den
Weltranglistenersten Dustin Johnson nieder und wollte danach kaum mehr
aufhören mit seinen Glücksschreien. Und Poulter verriet, was „eine
Extra-Motivation für alle“ gewesen sei: Teamkapitän Thomas Björn habe
versprochen, sich im Siegesfall den Cup eintätowieren zu lassen, an einer
Stelle, die normalerweise nur seine Frau Grace zu sehen bekomme.
Auch beim Teamwettbewerb Ryder Cup schimmert Individualistisches durch:
Sergio Garcia aus Borriol bei Valencia ist jetzt Europas Rekordspieler mit
25,5 Karrierepunkten. Francesco Molinari aus Turin gewann all seine fünf
Spiele, das hatte zuletzt vor 40 Jahren jemand geschafft. Tiger Woods
schraubte seine Versagensbilanz auf 13 Siege bei jetzt 21 Niederlagen (und
nur einen Cupgewinn nach acht Teilnahmen). Der US-Fastveteran Phil
Mickelson, 48, schon vorher höchst umstritten nominiert, war jetzt zwölf
Mal dabei, so oft wie niemand vor ihm – und nach seinen zwei chancenlosen
Matches von Paris jetzt sicher nie mehr.
Vom Ryder Cup wären auch Europa-Enthusiasten wie Emmanuel Macron oder
Martin Schulz begeistert. Da feierten Fans aus Dänemark, Britannien,
Spanien und Italien die Spieler mit endlosen Bierduschen, Zehntausende
singende und hüpfende Menschen jubelten hemmungslos mit den Golfmillionären
aus sechs Ländern. Manche Fußballplätze sind dagegen Friedhöfe. „Diese
Fans“, sagte Kapitän Bjorn aus Silkeborg, „würde ich am liebsten einpacken
und alle mitnehmen in zwei Jahren nach Amerika.“ Und über seine Spieler:
„Die waren so gierig auf den Cup. Und haben sich die ganze Woche alle
ständig um die anderen gekümmert. Ich musste von außen nur ein bisschen
justieren.“
Molinari und der langmähnige Neuling Tommy Fleetwood aus Southampton hatten
Freitag und Samstag, das gab es nie zuvor, alle ihre vier Doppel gewonnen –
und wurden im Fanjargon gleich zu Moliwood verschmolzen. Der zweifache
Sieger der US Open, Brooks Koepka, sagte nachher, es fühle sich an, als sei
man den Europäern „in die Kreissäge gelaufen“.
Und als alles längst entschieden war, setzte Alex Noren aus Stockholm noch
einen drauf. Er versenkte am letzten Loch einen Kreissägen-Put aus 20
Metern und konnte mit dem Sieg im letzten Match den Amerikanern noch einen
letzten Stich verpassen. Das gab dem Golfeuropäer Rory McIlroy aus der Nähe
von Belfast nachher Anlass zu sagen: „Das wirklich Große ist, dass alle von
uns zwölf am Wochenende gepunktet haben.“ Dann ging es zum
Champagnerbufett.
2 Oct 2018
## AUTOREN
Bernd Müllender
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