# taz.de -- freiwilliges engagement: Kümmert euch! | |
> Warum ein sozialer Gesellschaftsdienst besser ist als eine Dienstpflicht | |
> für alle | |
Vor sieben Jahren wurde die Wehrpflicht ausgesetzt und mit ihr der | |
Zivildienst. Was Liberale und Linke schon lange forderten, schaffte der | |
Gebirgsjäger und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) | |
fast im Alleingang und ohne öffentliche Debatte. Sieben Jahre später findet | |
die Debatte endlich statt. Seit Wochen diskutiert das Land die Einführung | |
einer „allgemeinen Dienstpflicht“ beziehungsweise eines „verpflichtenden | |
Gesellschaftsjahres“ für junge Männer und Frauen. | |
Von den heute 700.000 jungen Erwachsenen in Deutschland sind 100.000 in | |
sozialen Diensten und bei der Bundeswehr freiwillig tätig. Es könnten mehr | |
sein. Die Freiwilligen sind überwiegend junge, gut ausgebildete Frauen, | |
mehr als die Hälfte hat Abitur und viele bekommen von ihren Eltern | |
zusätzlich Geld zum mageren Freiwilligengeld (320 bis 390 Euro). | |
Jugendliche mit Migrationsgeschichte sind ebenso unterrepräsentiert wie | |
junge Menschen, die in Armut aufwachsen. Die real existierende deutsche | |
Freiwilligenpolitik führt nicht zu mehr Integration und sozialem | |
Zusammenhalt. | |
Ähnliches gilt für den sozialen Sektor. Von den rund fünf Millionen | |
Beschäftigten in den sozialen Berufen sind 80 Prozent Frauen. Ist das die | |
Zukunft des Sozialwesens: weiblich, schlecht bezahlt und mieses Image? Der | |
amerikanische Bestseller-Autor David Graeber stellt in seinem neuen Buch | |
eine provokante These auf: Rund jede zweite Arbeitsverrichtung sei ein | |
„Bullshit-Job“ – ein Job, der nicht vermisst wird, wenn er wegfällt. Zu … | |
„vermissten Jobs“ gehören vor allem jene Berufe, die nicht die Anerkennung | |
bekommen, die sie verdienen. Jobs, die auch im Zeitalter der Maschinen und | |
der Künstlichen Intelligenz nachgefragt werden. Denn je stärker die | |
Automatisierung voran schreitet, desto bedeutender werde der | |
Fürsorgecharakter von Arbeit, so Graeber. Die Jobs am Menschen werden | |
bislang schlecht bezahlt, sind körperlich und seelisch anstrengend und | |
sozial nicht besonders gut angesehen. | |
Deutschland gehen in den nächsten Jahren die Kümmerer aus. Der | |
demografische Wandel führt zu einer doppelten Herausforderung. Mehr Kinder | |
werden geboren und mehr Ältere müssen versorgt und gepflegt werden. „Care“ | |
wird zum Wachstumsmarkt. Fachkräfte im Sozial- und Gesundheitswesen werden | |
dringend gesucht. In den nächsten Jahren fehlen in den Kitas, Schulen und | |
Pflegeheimen Hunderttausende Erzieher, Lehrer und Pfleger. Der Sozial- und | |
Gesundheitsbereich weist in der Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen eine | |
der geringsten Engagementquoten auf. Das liegt nicht an den Jugendlichen, | |
sondern an einem Mangel an Gelegenheiten und Sinn. Die Verkürzung der | |
Schul- und Hochschulzeit sowie die Aussetzung der Wehrpflicht führen zu | |
einer Verlängerung der Erwerbszeit, mit negativen Folgen für das | |
gesellschaftliche Engagement. | |
Gegen die Einführung eines Zwangsdienstes sprechen schon Verfassungsgründe | |
und die Europäische Menschenrechtskonvention. Auch die deutsche Wirtschaft, | |
die Verteidigungsministerin und selbst die Wohlfahrtsverbände sprechen sich | |
gegen die Dienstpflicht aus. Bei den Bürgern selbst findet die Idee einer | |
Dienstpflicht für junge Männer und Frauen dagegen breite Unterstützung, | |
sogar unter Jugendlichen. Sozialer Zusammenhalt und Förderung der | |
Demokratie gehören zusammen. | |
Jenseits von Pflichtdienst und Freiwilligkeit gibt es einen dritten Weg. | |
Ein Weg, der die Themen Engagement, Zusammenhalt und die sozialen Berufe | |
verbindet und beide Seiten verpflichtet: Politik und junge Bürger. Die | |
Idee: Bund und Länder starten eine gemeinsame Initiative zur Förderung des | |
gesellschaftlichen Zusammenhalts und der Demokratie: „Kümmere Dich!“ Jeder | |
Jugendliche macht bereits während der Schulzeit ein Praktikum in einer | |
Kita, einer Schule, einem Pflegeheim oder einem Projekt der | |
Demokratieförderung. | |
Vorbild könnte eine Initiative sein, die vor zehn Jahren im deutschen | |
Schulwesen nach US-Vorbild begann: „Teach first!“ Hochschulabsolventen | |
werden für zwei Jahre bezahlt und sind an Schulen in sozialen Brennpunkten | |
tätig, um dort gezielt lernschwache Kinder zu stärken und zu fördern. Die | |
Idee ist auch auf soziale Bereiche und Demokratieprojekte anwendbar. | |
Was früher der Wehr- und Zivildienst war, ist in Zukunft ein Dienst am | |
Menschen und an der Demokratie – ein „Gesellschaftsdienst“. Bevor man eine | |
Ausbildung oder ein Studium beginnt, kümmert man sich freiwillig – und | |
ordentlich bezahlt – für einige Monate um bedürftige Menschen. 12 | |
Milliarden würde ein solcher Dienst jährlich kosten, wenn der Mindestlohn | |
bezahlt wird und jeder der 700.000 Jugendlichen mitmacht. Die jährlichen | |
Kosten der von der Großen Koalition beschlossenen Rentenreform sind weit | |
höher. | |
Die Generationen Y und Z wollen anders leben und arbeiten. In Befragungen | |
antworten sie auf die Frage nach ihren wichtigsten Lebenszielen: einen | |
sinnvollen Job, neben Unabhängigkeit und Spaß, das eigene Leben zu | |
genießen. Die Jahrgänge 1980 bis 2000 legen mehr Wert auf Freizeit und Zeit | |
für Familie und Freunde. Sie wissen, was Stress, Zeitnot und Burn-out aus | |
ihren Eltern gemacht haben. Und sie können sich auf einem leer gefegten | |
Arbeitsmarkt ihren Arbeitgeber aussuchen. Nicht die Arbeitnehmer, die | |
Arbeitgeber müssen sich künftig um die jungen Talente und Köpfe bewerben. | |
Wer die künftigen Kümmerer für Kindergärten, Grundschulen, Pflege oder | |
Demokratie gewinnen will, wird sich etwas einfallen lassen müssen. Die | |
Dienste am Menschen und für das Gemeinwohl müssen aufgewertet werden – mit | |
mehr Geld, attraktiven Arbeitsbedingungen und einem besseren Image. | |
Irgendwas mit Medien, Menschen und Maschinen? Die sozialen Berufe könnten | |
eine sinnvolle Antwort darauf geben und die Wende in eine neue Arbeitswelt | |
ohne „Bullshit-Jobs“ einläuten. | |
7 Sep 2018 | |
## AUTOREN | |
Daniel Dettling | |
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