# taz.de -- Eine Stimme, die bis zum Himmel reicht | |
> Aretha Franklin, der Welt beste Soulistin, wusste, was ihr Gott | |
> mitgegeben hatte: ihren Körper, ihre Stimme, ihre Eleganz und ein | |
> hämmerndes Klavierspiel. Ein Nachruf | |
Bild: Aretha Franklin bei einer Benefizveranstaltung der Elton John Aids Founda… | |
Von Jan Feddersen | |
Der Begriff ist ein wenig aus der Mode gekommen, aber sah man sie auf der | |
Bühne, und sei es in einem YouTube-Ausschnitt, ist er angemessen: Aretha | |
Franklin hatte in jeder Sekunde das, was man Würde nennt. Ihre Performances | |
waren nie abgeschmackt, nie spulte die berühmteste Soulistin der Welt | |
Routine ab. Aretha Franklin liebte es auf der Bühne zu singen. Je mehr | |
Leute ihr zuhören, umso besser. | |
Doch aller Beherztheit zum Trotz war ihr selbst in ekstatischsten Momenten, | |
wenn sie mühelos in höchste Sangesregister griff und selbst das sich nicht | |
angeberisch anhörte, eine Distanz eigen. Aretha Franklin war keine | |
Ranschmeißerin. Sie schenkte dem Publikum ihre Kunst in der Sie-Form: | |
Aretha war eine Dame, die wusste, was ihr, um es mit einem Begriff aus | |
ihrer religiösen Welt zu sagen, Gott auf den irdischen Weg mitgegeben hat, | |
schon in sehr jungen Jahren. 1942 wurde sie in Memphis, Tennessee, als | |
Tochter des Predigerpaars Barbara und Clarence LaVaughn Franklin geboren. | |
1956 erschien ihr Debüt, es war ein Gospelalbum. | |
Aretha Franklin ist für viele vor allem das Lied „Respect“ aus den späten | |
Sechzigern. Ein Hymnus auf das, was rassistisch grundsätzlich Behelligte, | |
hier afroamerikanische Bürger der USA, einfordern, wenigstens das: Respekt. | |
In dem 1980 entstandenen Film der Blues Brothers gibt sie [1][dieses Lied] | |
in pinkfarbenen Küchenpuschen, furios und smart: Ihr Lied galt von dieser | |
Sekunde an als klassisch. Dass es in erster Linie die Klage einer Frau | |
ihrem unsteten Mann gegenüber thematisiert – und nur dies –, war unwichtig | |
geworden: Der linksliberale Zeitgeist deutete ins Couplet hinein, was er | |
wollte. Aretha Franklin war es recht, einerseits: „Es ist ein Lied, das ein | |
echtes Bedürfnis der schwarzen Bürger zum Thema macht. Und das ist ja auch | |
wichtig.“ | |
Eine politische Sängerin war Aretha Franklin dennoch nie. Sie lebte ihr | |
ganz persönliches „Black lives matter“-Programm, und zwar schon in den | |
Fünfzigern. Hineingeboren in die schwarze Mittelschicht, kämpfte sie nicht | |
mehr grundsätzlich um Möglichkeiten – sie nahm sich, wie all ihre | |
Familienmitglieder, das, was ihr nach der Moral des All American Dream | |
zusteht: Nutze deine Talente und hab Erfolg. | |
Ihre Begabung war eine Stimme, die es vorher nicht gab und hinterher ebenso | |
wenig: Aretha Franklin, in den Gottesdiensten ihres Vaters, des in den USA | |
berühmten Pastors Clarence LaVaughn Franklin geschult, verfügte über eine | |
makellose Klaviatur an stimmlichen Möglichkeiten. In den Tiefen rau und | |
trotzdem sauber, in den Höhen klar und ohne Meckervibrato bis zum Himmel. | |
Diese Begabung erkannte sie selbst, und sie wurde von den Eltern gefördert | |
– und von den Geschwistern nicht mit Missgunst bedacht und eingezäunt: Sie | |
durfte sich am amerikanischen Traum versuchen, sie war die | |
Familiendelegierte über die afroamerican community hinaus. | |
Ende der fünfziger Jahre entschied sie sich, einen ersten Plattenvertrag | |
abzuschließen. Aber die CBS-Jahre waren kaum mehr als ein schöner Auftakt | |
einer Jahrzehnte währenden Karriere. Ms. Franklin, wie sie angesprochen zu | |
werden wünschte, behagte weder die Einkastelung in die Schublade des | |
gediegenen Nachtclubjazz, noch hatte sie Lust, sich zu bescheiden: Ihre | |
Manager legten ihr sowohl nahe, sich stimmlich bitte zurückzuhalten und | |
sich körperlich nicht so auszustellen. Aretha Franklin aber liebte sich, | |
wie sie war, und ihre Möglichkeiten. Mit tiefen Dekolletees stellte sie | |
sicher, dass ihre Brüste auch wirklich keinem Blick entgehen. Wer hat, der | |
hat: So mag sie ihr persönliches Credo, ihren Auftrag verstanden haben. | |
Das änderte sich, als sie endlich 1966 den Wechsel zu Atlantic Records ins | |
Werk gesetzt hatte. Von diesem Moment an konnte sie zur Legende, zur | |
Größten werden. Sie konnte röhren, wie es ihr passte, sie konnte anziehen, | |
was sie sollte – das Wort Flamboyanz umreißt nur karg das, was sie auf | |
Tausenden von Konzerten und im Fernsehen zu zeigen wusste. | |
Hit an Hit produzierte sie, und auch wenn es keine Nummer eins auf Anhieb | |
war, so waren ihre Versionen einiger Songs die letztlich kanonischen: | |
[2][„(You Make Me Feel Like A) Natural Woman“] von Carole King. „Son Of A | |
Preacher Man“, „Chain Of Fools“ oder „Spanish Harlem“, das sie von der | |
Sämigkeit eines Cliff Richard befreite und zu einer wollüstigen Nummer über | |
das Leben in Manhattan jenseits von weißem Business in Downtown machte. Zu | |
dieser Liste gehören auch „I Never Loved A Man (The Way I Love You)“, „D… | |
Feelgood“, den Sam-Cooke-Klassiker [3][„A Change Is Gonna Come“], von Sim… | |
& Garfunkels [4][„Bridge Over Troubled Water“] zu schweigen. | |
Sie war künstlerisch nichts von dem, was in jenen Jahren die Hitfabrik | |
Motown ausstieß, Diana Ross, Marvin Gaye, Smokey Robinson, die Marvelettes | |
oder Stevie Wonder: Ms. Franklin war ihr eigenes Universum, mehr Manufactum | |
als Ikea, um es ins Deutsche zu übersetzen. Sie machte aus jedem Lied ein | |
eigenes, und sei es Frank Sinatras [5][„My Way“]: In ihrer Interpretation | |
klang es wirklich wie eine Ode auf den „final curtain“, den sie sich | |
vorstellt, dass er auch einmal hinter ihr falle, und sie, mit zwiespältiger | |
Furcht, bilanziert: Ja, es hat sich womöglich gelohnt. | |
Ms. Franklin kannte alle, die Rang und Namen hatten im Bürgerrechtskampf | |
gegen Rassismus, gegen Segregation, gegen Entwürdigung: Mahalia Jackson, | |
Jesse Jackson, Martin Luther King. Sie wählte eisern die Demokraten, | |
fraglos, nur diese politische Formation würde die Benachteiligungen, gegen | |
welche Menschen sie sich auch immer richten, ändern. Sie weinte in der | |
Nacht, als Barack Obama zum US-Präsidenten gewählt wurde, und sang für ihn | |
zur Inaugurationsfeier. | |
Sie war aber nicht zu vereinnahmen, sie traf ihre Entscheidungen gern | |
selbst, und eben das ist vielleicht ihre stärkste Message: Was auch immer | |
im Leben dir passiert – mach das Beste draus. Sie hatte, von zwei | |
verschiedenen jungen Männern, zwei Kinder, da war sie noch keine 15; sie | |
rauchte Kette, ehe sie 1992 das Qualmen aufgab, weil es ihrer Stimme zu | |
schaden begann – „aber dann ging ich auf wie ein Ballon“. | |
Sie hatte zeitlebens Hunger, war, was freundlich gemeint ist, von molliger | |
Figürlichkeit und trank eine Zeit lang mehr, als ihr gut tun konnte – aber | |
vom Alkohol ließ sie dann auch bald die Finger. Aretha Franklin ließ kaum | |
eine Stimulanz aus. Sie liebte das Geld, und sie liebte Pelze, die sie trug | |
wie Seidentücher. Sie hatte eine Handtaschenkollektion, die jedes bessere | |
Kaufhaus schmücken könnte. Sie war von wuchtiger Art und ging dennoch wie | |
eine Ballerina. Ihre Handküsse ins Publikum waren atemberaubend huldvoll, | |
ihr Make-up von sonderbarer Indezenz. Ihr Kopfschmuck – Tücher und Hüte – | |
war immer überraschend und eigen und setzte sie grandios in Szene: Weil sie | |
es konnte. | |
Am Donnerstag ist die Sängerin nach einer langjährigen Erkrankung an | |
Bauchspeicheldrüsenkrebs in ihrem Haus in Detroit gestorben. Sie war nicht | |
eine Große, sie war die Größte, das Beste, was Amerika, die USA herzuzeigen | |
hatten – ein Traumprojekt, An American Idol, eine Vorbildliche, die keinen | |
Heiligenschein brauchte. Sie war das Amerika, das wir lieben – und das | |
Gegenprogramm zu allem, wofür Donald Trump steht. | |
Ihr Klavierspiel, das sie sich selbst beibrachte, war von erstaunlicher | |
Kraft. Aretha Franklin hämmerte in die Tasten, als griffe sie in einen | |
Werkzeugkasten: innig und schön. | |
18 Aug 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=WY66elCQkYk | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=XHsnZT7Z2yQ | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=j44uRBAxf8g | |
[4] https://www.youtube.com/watch?v=_DBl5gAs6WI | |
[5] https://www.youtube.com/watch?v=9clPf6kNuMA | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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