# taz.de -- „Monster aller Planeten, vereinigt euch!“ | |
> Eine radikal linke Haltung und ein Faible für nordische Fabelwesen: der | |
> dänische Künstler Asger Jorn in den Hamburger Deichtorhallen | |
Bild: Asger Jorn: „Gofs-Lygybri“, 1943, Öl auf Leinwand, 84 x 100 cm | |
Von Radek Krolczyk | |
Es fällt schwer, sich vorzustellen, wie eine dezidiert linke Haltung mit | |
der Vorliebe für nordische Mythologie zusammenpassen könnte. Beim dänischen | |
Maler Asger Jorn soll das aber seit den mittleren dreißiger Jahren gehen. | |
Wie genau, das ist nun in den Hamburger Deichtorhallen zu sehen. Dort wird | |
im Augenblick eine sehr schöne und dichte Werkschau des politisch | |
engagierten Künstlers gezeigt. | |
Zu sehen sind neben Ölbildern aus sämtlichen Schaffensphasen auch | |
Decollagen aus Plakaten und die weniger bekannten Tonplastiken, die meist | |
seltsame, fantastische Tiere darstellen. Zu sehen ist aber auch scheinbar | |
Nebensächliches wie die Untergrundzeitschrift Helhesten (Höllenpferd), die | |
Jorn in den 40er Jahren aus dem im Untergrund organisierten Widerstand | |
gegen die deutsche Besatzung herausgab. Dieses Pferd taucht als eine von | |
zahlreichen mythischen Gestalten in Jorns Werk auf. Auf den Titelblättern | |
sind sie abgebildet, statt heroisch und gefährlich, wie es der Name | |
suggeriert, klapprig und doof. | |
Petra Lange-Berndt vermutet in ihrem Katalogbeitrag, dies sei als | |
Solidaritätserklärung an den künstlerischen Pluralismus gedacht, der im | |
Heft versammelt war, außerdem handle es sich um eine Reminiszenz an den von | |
den Nazis als entartet verfolgten expressionistischen „Blauen Reiter“ und | |
die surrealistischen „Minotaure“. Aus dem Pferd wurde schließlich 1948 | |
Cobra (Copenhagen, Brüssel, Amsterdam), eine internationale Künstlergruppe, | |
die sich der Erschaffung einer neuen Welt verschrieben hatte und aus deren | |
Teilen später die Situationistische Internationale (SI) entstand. | |
In einer Tischvitrine findet sich in der Hamburger Schau eine | |
auseinandergefaltete Ausgabe der „Mémoires“, die Jorn 1958 während seiner | |
Zeit bei der SI gemeinsam mit Guy Debord produzierte. Das Buch enthält | |
Collagen aus eigenen und in Zeitschriften gefundenen Bildern und | |
Textfragmenten sowie auseinandergeschnittene Stadtpläne. Jorns informelle | |
Farbkleckse und Farbverläufe ziehen eine eigene, persönliche und | |
unkalkulierbare Spur durch das vorgefundene Material, so wird die eigene | |
gegen die vorgefertigte Geschichte behauptet. Um bibliophile Sammler | |
abzuschrecken, war der Einband aus grobem Schleifpapier, der die | |
benachbarten Bücher beschädigen sollte. | |
Die situationistische Künstlerin und Autorin Michèle Bernstein hatte in | |
Bezug auf Jorns Werk 1960 die Parole ausgegeben: „Monster aller Planeten, | |
vereinigt euch!“ Möglicherweise wäre dies eine Zusammenführung von Jorns | |
radikal linker Haltung und seinem Faible für nordische Mythen und ihre | |
Fabelwesen. Er forschte nach ihnen (und vor allem wohl ihren Abbildern in | |
der archaischen Kunst) und gründete 1961 eigens dafür das „Skandinavische | |
Institut für vergleichenden Vandalismus“. | |
Das war schon ernst gemeint: Gemeinsam mit verschiedenen Wissenschaftlern | |
sollten 10.000 Jahre Volkskunst nachvollziehbar gemacht werden. In Jorns | |
Werken sind mythische Gestalten, wie sie etwa in der skandinavischen Kultur | |
vorkommen, zentral. Werner Haftmann schrieb 1961 in einem Aufsatz über | |
Jorn, dass der skandinavischen Mythologie alles Heroische und Idealistische | |
fremd sei – ganz anders, als es bei den Germanen der Fall war. Anstelle der | |
Behauptung von festen Größen trete hier die Einbildung. | |
Das bereits erwähnte „Höllenpferd“, das bei Jorn zu einem schrägen, | |
gefährdeten Individuum wird, ist nur ein Beispiel unter vielen. Das Konzept | |
von Archetypen, wie es von C. G. Jung vertreten wurde, lehnte Jorn übrigens | |
entschieden ab. Tatsächlich ging es ihm sehr direkt um seine mythischen | |
Gestalten und in dieser Bestimmtheit liegt bereits die Abstraktion. | |
Jorns Versammlung mythischer Figuren, Tiere und Ungeheuer ist die | |
Versammlung der Bedrohten dieser Welt. 1953 malte er noch unter dem | |
Einfluss von Faschismus und Krieg „Emigranterne“ (Immigranten). Jorn hatte | |
auf seiner Leinwand die Zusammenkunft einer Gruppe seltsamer friedlicher | |
Wesen organisiert. In hellen, pastellenen Farben haben sie zueinander | |
gefunden: zwei kleine hockende Gestalten, ein besorgter Großer, ein Ovaler, | |
einer mit langem Hals und einem Kopf wie eine Flunder. | |
Jorns Leinwand ist tatsächlich eine Blase, in der die vertriebenen Wesen in | |
ihrer Eigenart zur Ruhe kommen. Von der politischen Deutung der Malerei her | |
ist interessant, dass es Jorn auf die Unreinheit der Farben anzukommen | |
scheint. Die Farben, in denen Jorn seine Figuren gemalt hat, sind hell, | |
aber schmutzig. Die Nazis hatten vor Vermischung große Angst, Vermischung | |
aber ist die Grundlage jeden Lebens. | |
Die Vorstellung dieser anderen Welt schien Jorn zu jeder Zeit von | |
allergrößter Bedeutung gewesen zu sein. In der Ausstellung ist etwa „Jeux | |
Nocturne“ (Nächtliche Spiele) zu sehen, ein großformatiges, farbenfrohes | |
Bild, das Jorn 1940 während der deutschen Besatzung gemalt hatte. Vor | |
tiefschwarzem Himmel und hellbraunem Boden sieht man ineinander | |
verschachtelte Figuren, die stark an Joan Miró erinnern. Sie strahlen aus | |
der Dunkelheit hervor, scheinen in Bewegung zu sein, vielleicht zu tanzen. | |
Jorn leugnet nicht die politische Depression, die ihn selbst später | |
depressiv werden ließ. Er setzt sie in seine Bilder, zugleich setzt er eine | |
Vorstellung von dem, was möglich wäre, dagegen. | |
Bis 23. September, Deichtorhallen, Hamburg, Katalog (Snoeck Verlag) 39,80 | |
Euro | |
15 Aug 2018 | |
## AUTOREN | |
Radek Krolczyk | |
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