# taz.de -- humboldt forum berlin: Ngonnso will nach Hause | |
> Im Humboldt Forum sollen Artefakte zu sehen sein, die aus Afrika und | |
> Asien entwendet wurden. Die Debatte über eine Rückgabe ist voll entbrannt | |
Wer Ende letzten Jahres rund um das Baugelände des Humboldt Forums gelaufen | |
ist, kam kaum umhin, von der Größe und dem Ehrgeiz des Projekts beeindruckt | |
zu sein. Ich war Teil einer Besuchergruppe, und so wie die anderen hat mich | |
die schiere Größe des Ganzen ziemlich umgehauen. Ein international | |
renommiertes Team aus Architekten und Planern, eine stilistische Fusion aus | |
alt und neu und eine Kulturstätte, die als „Basislager für die Welt“ dien… | |
soll – das waren alles Teile des Pakets, das unser enthusiastischer Guide | |
unbedingt promoten wollte. | |
Mit Kosten von rund 600 Millionen Euro ist der Nachbau des Stadtschlosses | |
von Kaiser Wilhelm II. eine der teuersten jemals in Deutschland errichteten | |
Kulturstätten, die schon lange vor ihrer geplanten Eröffnung im kommenden | |
Jahr für reichlich Gesprächsstoff gesorgt hat. | |
Denn das Konzept ist nicht unproblematisch. Viele der Stücke, die im | |
Humboldt Forum zu sehen sein werden, kommen aus Berlins wichtigsten | |
Kulturinstitutionen einschließlich des Völkerkundemuseums. Dort gibt es | |
Sammlungen aus Asien, Afrika und Ozeanien, viele der Objekte sind während | |
der Zeit des europäischen Kolonialismus angeschafft worden. Wie eine | |
wachsende Zahl von Kritikern betont, wurden etliche Objekte damals einfach | |
ohne jede Erlaubnis außer Landes gebracht, mit anderen Worten: Sie wurden | |
gestohlen. | |
Die sich daraus entwickelnde Kolonialismus-Debatte bringt die | |
Humboldt-Organisatoren in eine schwierige Lage; eine effektive | |
Handlungsstrategie haben sie noch nicht gefunden. Für mich trifft die | |
Kritik allerdings genau ins Schwarze, wie mir ein Interview mit dem | |
Aktivisten Gad Samaiya Shiynyuy aus Kamerun klarmachte. | |
Shiynyuy, ein Angehöriger des Nso-Volkes aus dem Nordwesten Kameruns, | |
berichtete mir, was mit seiner Gemeinschaft passierte, als die Region im | |
frühen 20. Jahrhunderts von Deutschland besetzt war. Über Generationen | |
haben die Nso einen Gott namens Ngonnso angebetet, im Glauben, dass dessen | |
Statue über spirituelle und heilende Fähigkeiten verfügte. 1909 wurde | |
Ngonnso außer Landes geschafft, und viele Jahre wusste niemand, wo er | |
hingekommen war. Erst als Shiynyuy vor zehn Jahren nach Deutschland zog, | |
fand er heraus, dass sich die Statue in einem Lagerraum des Berliner | |
Völkerkundemuseums befindet. | |
Für die Nso ist die Statue so wichtig, dass sie auch hundert Jahre später | |
noch über den Verlust trauern. Shiynyuy, der seither dafür wirbt, dass die | |
Statue zurückgegeben wird, sagt, dass ihre Enttäuschung durch die Weigerung | |
der Berliner Kulturinstitutionen, eine Rückgabe überhaupt nur in Erwägung | |
zu ziehen, noch viel größer geworden ist | |
Nach dem Interview mit Shiynyuy fragte ich mich, wie viele solcher | |
Geschichten es wohl noch gibt, wie viele Objekte ihren rechtmäßigen | |
Besitzern wohl einfach weggenommen wurden, und wie viele Gemeinschaften | |
wohl noch den Verlust eines Objekts betrauern, das ihnen so viel mehr | |
bedeutet als der ökonomische Wert, den europäische Kulturinstitutionen ihm | |
beimessen. | |
Seine Geschichte hat mich nicht nur als Journalistin interessiert, sondern | |
mich auch persönlich betroffen gemacht. Ich bin als Tochter indischer | |
Eltern in London geboren worden und bin in vielerlei Hinsicht ein Produkt | |
des britischen Empires. Die Familie meiner Mutter musste nach der Teilung | |
Indiens aus dem heutigen Pakistan fliehen und kam Anfang der 60er Jahre | |
nach London. Mein Vater wurde in Kenia unter britischer Herrschaft geboren. | |
Er reiste später mit seinem britischen Pass nach Großbritannien. | |
Im Geschichtsunterricht erfuhr ich nichts darüber, wie die Briten Indien | |
ausgebeutet haben. Was ich aber sah, waren indische Nationalschätze – | |
Manuskripte, hinduistische Gottesfiguren und Juwelen, die in verschiedenen | |
Einrichtungen der Hauptstadt ausgestellt wurden, als gehörten sie zu | |
Großbritannien. Damals habe ich das Gleiche gespürt wie heute: dass die | |
indische Gesellschaft zu Unrecht auf viele ihrer nationalen Kulturschätze | |
verzichten muss. | |
Deutschland und Großbritannien haben Kamerun und Indien vor langer Zeit | |
verlassen, aber solche Geschichten zeigen, wie Kolonialismus und | |
Fremdherrschaft sich weiter fortsetzen. Viel zu lange haben europäische | |
Mächte und ihre Kultureinrichtungen die wirtschaftlichen Erträge aus | |
Ressourcen und Gütern eingestrichen, die aus den von ihnen kolonisierten | |
Ländern gestohlen wurden. Ein wirkliches Ende des Kolonialismus würde | |
bedeuten, genau hinzuschauen, wie sich Kolonialismus heute ausdrückt, und | |
die Machtstrukturen zu beseitigen, die er mit sich bringt. | |
In Großbritannien gibt es eine schwer zu knackende Nostalgie rund um das | |
Empire. In Deutschland ist die Bereitschaft größer, sich kritisch mit der | |
eigenen Kolonialgeschichte auseinanderzusetzen. Die Kontroverse um das | |
Humboldt Forum trifft auf ein wachsendes Bewusstsein darüber, dass auch | |
Deutschland eine gewalttätige Kolonialgeschichte hatte. | |
Ebendeshalb haben die Humboldt-Organisatoren eine einzigartige Chance: Sie | |
können einige Vergehen, die ihre Vorfahren begangen haben, wiedergutmachen | |
und den Schmerz beenden, den Shiynyuy und andere Völker nach wie vor | |
empfinden. Das kann mit der symbolischen Rückgabe bestimmter Objekte an | |
ihre rechtmäßigen Besitzer beginnen und damit, intensiver mit den | |
Gemeinschaften in ehemaligen Kolonien zu arbeiten, um jene Version der | |
Geschichte zu erzählen, die weit über die eurozentristische Sichtweise des | |
Kolonialismus hinausgeht. Das Forum hat einige kleine Schritte in die | |
richtige Richtung unternommen, aber viel mehr kann – und sollte – gemacht | |
werden. | |
Wird das Forum seiner Verantwortung gerecht werden? Ich jedenfalls werde | |
das definitiv beobachten. | |
Aus dem Englischen von Bernd Pickert | |
2 Aug 2018 | |
## AUTOREN | |
Gouri Sharma | |
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