# taz.de -- heute in bremen: „Wir fordern die Anerkennung des Unrechts“ | |
Bild: Foto: Irina Kirchner | |
Interview Jean-Philipp Baeck | |
taz: Herr Mörchen, heute diskutiert die Bürgerschaft über eine Anfrage zur | |
jahrelangen Brechmittelpraxis. In seiner Antwort gesteht der Senat ein, | |
dass es „falsche und ethisch kritisch zu bewertende Entscheidungen gegeben“ | |
habe. Wieso reicht Ihnen das nicht? | |
Volker Mörchen: Verantwortungsübernahme hieße, dass Handlungen folgen. Der | |
Senat räumt zwar Fehler ein und respektiert das Urteil des Europäischen | |
Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der die Zwangsvergabe von | |
Brechmitteln 2006 als „unmenschlich und erniedrigend“ verurteilt. Aber | |
Fälle, die vor dem Urteil liegen, will der Senat nicht als Unrecht | |
bezeichnen. Ein Menschenrechtsverstoß, der erst ab einem gewissen Zeitpunkt | |
einer ist? Das ist doch Unsinn. | |
Wie viele Leute waren von der Zwangsvergabe betroffen? | |
Es gibt eklatante Informationslücken und keine Statistik über die | |
Zwangsvergabe. Brechmittel wurden von 1993 bis 2004 mindestens 1.200 Mal in | |
Bremen verabreicht, vielen Menschen waren die Hände gefesselt. Wir gehen | |
von 60 bis 180 Menschen aus, denen das Mittel zwangsweise eingeflößt wurde, | |
während sie gefesselt waren und ihnen der Kopf fixiert wurde. | |
Sie fordern eine Entschädigung? | |
Wir fordern überhaupt erst mal die umfassende Anerkennung des Unrechts. | |
Eine Entschädigung wäre ein Symbol dafür, es mit einer Entschuldigung für | |
die rassistische Praxis ernst zu meinen. | |
Dass Rassismus eine Rolle spielte, weist der Senat zurück. | |
Wie kommt man dazu, dass es kein Rassismus war, wenn nur Schwarze im | |
Fadenkreuz waren? Die Berichte der Betroffenen zeigen: Begleitend zum | |
Brechmittel gab es in der Zeit auch krasse Schikanen und rassistische | |
Übergriffe von Seiten der Polizei. Interessanterweise ist die Polizei heute | |
in der Aufarbeitung des Falls Laye Condé konsequenter und | |
menschenrechtsorientierter als die Regierung. Bei Senat, Bürgerschaft, | |
Justiz und Ärzteschaft warten wir bis heute darauf, dass Konsequenzen | |
gezogen werden. | |
Was erhoffen Sie sich von der heutigen Bürgerschafts-Debatte? | |
Wenn in den Reden herauskäme, dass es wichtig ist, zu mahnen und gedenken, | |
wäre man einen Schritt weiter. Auch der Beirat Mitte erhofft sich ein | |
Signal von Seiten der Bürgerschaft zu einem Gedenkort im Viertel. | |
30 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Jean-Philipp Baeck | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |