# taz.de -- Die Punks des Krautrock sagen Hallo | |
> LEGENDE S.Y.P.H. aus Solingen waren 1979 eine der ersten deutschen | |
> Punkbands. Heute Abend kommen sie zum Improvisieren in den Festsaal | |
> Kreuzberg und bringen Doc Schoko, Floating Di Morel und Fantas Schimun | |
> mit | |
VON ROBERT MIESSNER | |
Natürlich war Punk destruktiv. Dafür gab es global gute Gründe. Einige | |
davon liegen immer noch oder wieder quer im Hals. Punk war aber auch | |
enthusiastisch. Also setzte sich der Handwerker Peter Braatz 1977 auf sein | |
Kleinkraftrad und fuhr 400 Kilometer von Solingen nach Hamburg. Er wollte | |
sich die Sex Pistols ansehen. Einmal angekommen, musste er erfahren, dass | |
das Konzert abgesagt worden war. | |
Braatz ließ sich davon seine Begeisterung nicht nehmen. Im selben Jahr | |
gründete er in seiner Heimatstadt S.Y.P.H. Der Name kann vieles meinen. | |
Neben der offensichtlichen Bedeutung führt Braatz in Interviews immer | |
wieder „Saufender Yankee prügelt Homo“ an. Oder aber, und das ist wirklich | |
mal ein schönes und wichtiges Programm: „Save Your Pretty Heart“. | |
Genau darum geht es in der Musik von S.Y.P.H.: Selbstbehauptung in einer | |
schlechten Zeit. S.Y.P.H. sangen „Zurück zum Beton“ und das großartige, v… | |
den Fehlfarben gecoverte „Industrie-Mädchen“: „Ich kam in ihr Zimmer | |
hinterm Güterbahnhof / Drei Stock über, übern Hinterhof / Neben dem | |
Kernkraftwerk da haben wir uns geliebt / Neben uns ein Gleis der schnelle | |
Brüter lief.“ Das war und ist die poetische Variante von Punk. | |
Braatz betont, dass ihm das Verträumte, Spielerische wichtig ist. Er mag | |
Karl Valentin, Luis Buñuel und Salvador Dalí und sagt: „Form ist | |
politischer als Inhalt.“ Weshalb S.Y.P.H. auch nicht einfach beim Punk | |
stehenblieben. Schon die B-Seite ihrer Debüt-LP (1980) klang etwas anders | |
als das berühmte Drei-Akkorde-Schema. „Pst“, das zweite Album, im selben | |
Jahr aufgenommen, produzierte Holger Czukay von Can. Czukay ist ein | |
Jugendheld von Braatz. Er hatte ihn 1976 gemeinsam mit Uwe Jahnke, der dann | |
bei S.Y.P.H. Gitarre spielen sollte, für ihre Schülerzeitung interviewt und | |
gleich noch den Fanclub der Krautrocker gegründet. Sie waren Enthusiasten | |
und also Leute, die sich nicht von Fehlern entmutigen oder gar etwaigen | |
Grenzen des eigenen Vermögens abhalten lassen: Braatz gibt zu, dass er | |
damals weder spielen noch singen konnte. Czukay hätten im Studio die Haare | |
zu Berge gestanden. | |
Dabei wurden S.Y.P.H. in den folgenden Jahren durchaus zugänglich. Zwar war | |
„Harbeitslose“ (1982) nicht gerade das, was man im Frühstücksradio hören | |
würde. Aber 1985 veröffentlichten S.Y.P.H. dann „Wieleicht“. Diedrich | |
Diederichsen hörte darin das „White Album“ der deutschen Musikszene. Und | |
sicher nicht nur, weil sich das Cover von „Wie Leicht“ an das Album der | |
Beatles anlehnte. | |
Braatz ist das, was musikalisch vor Punk geschah, genauso wichtig. Seinen | |
Künstlernamen Harry Rag borgte er von den Kinks. Die Deep Purple von 1970 | |
bis 1972 hält er für die „beste Nervband“ und meint: „Da kommt keine | |
Punkband ran.“ Stichwort Nerven: Vor zwanzig Jahren noch ging Braatz aus | |
einem Peter-Brötzmann-Konzert wieder hinaus, weil es ihm zu viel wurde. | |
Aber vorige Woche erst hörte er Brötzmann in Ljubljana. Und ist bis zum | |
Ende geblieben und war ziemlich begeistert. In Ljubljana lebt Braatz mit | |
seiner Frau, der Filmemacherin Maja Weiss, und den beiden gemeinsamen | |
Kindern. Die beiden Eheleute haben 2002 den Spielfilm „Varuh meje / Hüter | |
der Grenze“ gedreht. Ein Drama, in dem Politik, Natur und Sexualität | |
surreale Züge annehmen. Filme macht Braatz im Grunde genauso lange wie | |
Musik, er hat in verschiedenen Funktionen mehrere Male mit David Lynch | |
gearbeitet. Er findet es von Zeit zu Zeit wichtig, sich von Gesang und Text | |
zu entlasten. Weshalb das Konzert, das S.Y.P.H. heute Abend im Festsaal | |
Kreuzberg geben, ein komplett improvisiertes sein wird. Was genau passieren | |
wird, weiß man also nicht so genau. Jedenfalls werden Einflüsse aus Braatz’ | |
elektronischem Soloprojekt zu hören sein. | |
Vor S.Y.P.H. tritt Fantas Schimun auf, die in Bälde auf ZickZack | |
veröffentlicht. Außerdem wird das Erscheinen zweier neuer Alben gefeiert. | |
Das eine ist Doc Schokos „Schlecht dran, gut drauf“, ein raues, poetisches | |
Stück Berliner Herbst, auf dem wiederum Uwe Jahnke und Jojo Wolter von | |
S.Y.P.H. mitspielen. Das andere das psychedelisch-schwebende „Said My Say“ | |
von Floating Di Morel. | |
30 Oct 2009 | |
## AUTOREN | |
ROBERT MIESSNER | |
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