# taz.de -- Kühe schauen, Sätze stehen rum | |
> In der Reihe „Philosophie und Film“ zeigt die Volksbühne die | |
> Deutschlandpremiere von „Les Unwanted de Europa“ über die letzten Tage | |
> von Walter Benjamin | |
Bild: In Fabrizio Ferraris Film „Les Unwanted de Europa“ haben die Menschen… | |
Von Ekkehard Knörer | |
Kühe sehen dich an. Am Wegesrand. Ein matschiger Pfad in den Pyrenäen, | |
minutenlang sind die zwei Männer, und wir mit ihnen, hier schon unterwegs, | |
gehend, gehend, sie sprechen nicht, schon lange nicht mehr, denkt man sich, | |
die Kamera bewegt sich mit den Männern auf diesem Weg, ist im Mitgang aber | |
von der steadycamtypischen, fast gespenstischen Ruhe, wackelt nicht, | |
zittert nicht, sondern gleitet. Dann halten sie an. Die Männer bleiben | |
stehen am Zaun. Die Kamera schwenkt hinüber, da stehen die beiden Tiere. | |
Erst sind die zwei Männer mit dem Marschgepäck nicht mit im Bild, dann | |
bewegt sich die Kamera hinter ihren Rücken. | |
Da stehen sie nun, von der Kamera, die ihren Atem fast hören kann, | |
abgewandt, verdecken weite Teile des Bilds. Musik setzt ein auf der | |
Tonspur, zum Kuhglockenklang: bläsersattes Spätromantik-Pastiche aus den | |
Quartetten von John Cage. Im Ausschnitt zwischen den Männern ahnt man fast | |
mehr, als man sieht: Die Kühen gehen davon. Zwei Szenen später kehren sie | |
wieder, es ist, als wären hier nie Menschen gewesen. Nebel ziehen vorüber. | |
„Les Unwanted de Europa“ von Fabrizio Ferrari ist ein Film, bei dem die | |
Menschen die Tendenz haben, aus dem Bild zu verschwinden. Das alles | |
übrigens in schwarz-weiß. | |
Der Philosoph Walter Benjamin ist hier nicht im Bild. Auch er flieht, ein | |
Jahr später, in einer kleinen Gruppe. Auch ihm folgt die Kamera, auch von | |
ihm schwenkt sie weg, in den Himmel, in die Natur, ins Menschenleere. „Les | |
Unwanted de Europa“ ist ein Film, dem es um Fluchtbewegungen geht. Die | |
beiden Männer fliehen aus dem franquistischen Spanien nach Frankreich. | |
Walter Benjamin will aus dem von den Nazis besetzten Frankreich nach | |
Spanien entkommen. Es ist ihm, wie man weiß, nicht gelungen. Er hat sich am | |
27. September 1940 im Grenzdorf Portbou das Leben genommen. Die spanischen | |
Grenzer hatten ihn in Haft gesetzt, weil er zwar ein Transit-, aber kein | |
französisches Ausreisevisum besaß. Der Film erzählt es anders: Benjamin | |
legt sich einfach schlafen in freier Natur. | |
Ausbuchstabiert wird in diesem Film nichts, außer in den sehr wenigen | |
Szenen, in denen Benjamin vertrackte geschichtsphilosophische Sätze von | |
sich gibt. Um chronologische Folgerichtigkeit geht es ohnehin nicht. Einmal | |
sind wir ansatzlos zurück in der Zeit, in Paris, Walter Benjamin begegnet | |
in der gespenstisch leeren Nationalbibliothek einem alten Mann. Sie | |
diskutieren: Ist Einsicht möglich an Wendepunkten der Geschichte, wenn man | |
selbst noch Teil der Geschichte ist? Benjamin-Sätze, vom | |
Benjamin-Darsteller Euplemio Macrì mit rauem Flüstern gesprochen, stehen im | |
Raum. | |
Regisseur Fabrizio Ferraro lost die Historie auf in genauestens komponierte | |
Sequenzen und Bilder. Einmal sieht man Benjamin alleine in einem Zimmer, | |
von Schwärze umgrenzt, der Kader äußerst verengt. Es gibt andere Bilder, in | |
denen die Dunkelheit alles Sichtbare beinahe auslöscht. Einmal schwenkt die | |
Kamera auf einen Baum, Richtung Sonne, weht zur Seite, Himmel, Sträucher, | |
Laub voll Trauer, die Berge, der Verzweiflung der Flucht abgewonnene | |
Naturpoesie, dann hört man Schritte, als etwas Fremdes kommen die | |
Fliehenden wieder ins zurück auf die Erde gewirbelte Bild. | |
Es geht Ferraro um Langsamkeit und um Rhythmen, um Stillstand und um | |
Bewegung, um den Rhythmus, der sich aus dem Wechsel zwischen dem einen und | |
dem anderen herstellt. Zu den Bildern kommt eine hoch aufmerksame Tonspur, | |
die nicht die menschliche Rede in den Vordergrund rückt. Schritte und | |
Schritte, Vögel, Natur: Eine Welt von Geräuschen ist kristallklar präsent. | |
Von Zeit zu Zeit erzeugt über die Bilder gelegte Musik von John Cage | |
unaufdringlich Affekt: Bewegung des Herzens. | |
Der Film stellt keine falschen Verbindungen her. Er reproduziert nicht | |
Ereignisgeschichte, sondern gibt der Ereignislosigkeit allen Raum und alle | |
Zeit der Welt. Minutenlang wird am Wegesrand einfach gegessen. Es ist | |
dennoch klar, dass sich „Les Unwanted de Europa“, hier und heute gedreht, | |
mit seinen präsenten Bildern aus der Vergangenheit an die Gegenwart | |
richtet. An der Volksbühne wird der Film im großen Haus gezeigt, das ist | |
gut, so kommt die umwerfende Schönheit seiner Landschaftsbilder zur | |
Geltung. Im Anschluss diskutieren der Regisseur und der Philosoph Georg | |
Bertram am Exempel des Films über das Verhältnis von Film und Philosophie. | |
„Les Unwanted de Europa“: Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, 26. 5., 20 | |
Uhr | |
24 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Ekkehard Knörer | |
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