# taz.de -- Der Dichter des Donbass | |
> Serhij Zhadan ist Dichter, Übersetzer, Aktivist, Musiker – und Star der | |
> jungen ukrainischen Literatur. Ein Porträt | |
Bild: Serhij Zhadan (am Mikro) mit seiner Ska-Band „Zhadan i Sobaky“ (Zhada… | |
Aus Czernowitz Simone Brunner | |
Serhij Zhadan ist kein Rockstar. Während seine Bandmitglieder | |
rotweinselig beisammensitzen, Lieder singen und Witze reißen, lehnt Zhadan | |
draußen vor der Tür des Kulturpalasts von Czernowitz und spult konzentriert | |
ein Interview nach dem anderen ab. Er reflektiert über Heimat, Identität | |
und Sprache. Über Helden und Heilige. Er denkt nach, wägt ab und holt weit | |
aus, um Dinge zu erklären. | |
Serhij Zhadan ist ein Rockstar. Als er wenige Stunden später mit den | |
Musikern auf die Bühne tritt, verstopfen die Gäste die Gänge, es gibt kein | |
Durchkommen mehr. Als Zhadan den Stehenden anbietet, sich auch auf den | |
Holzboden der Bühne zu setzen, schlurfen ein paar junge Mädchen mit | |
gesenktem Blick und geröteten Wangen auf die Bühne. Wo kommen hier, in der | |
240.000-Einwohner-Stadt Czernowitz im äußersten Südwesten der Ukraine, | |
plötzlich all diese jungen Leute her? | |
Es ist das internationale Lyrikfestival Meridian Czernowitz, das an die | |
literarische Tradition der Provinzstadt anknüpfen soll. Der Dichter Paul | |
Celan wie die Lyrikerin Rose Ausländer wurden hier geboren. Doch an diesem | |
Tag im September 2017 ist Zhadan der Star. Er ist es, der den Kultursaal | |
zum Bersten bringt, für den die Czernowitzer später für eine Widmung | |
Schlange stehen. Doch Zhadan singt keine Liebeslieder. Er schreibt nicht | |
von durchzechten Nächten oder von der Ödnis der Provinz. Sondern vom Krieg. | |
Der 43-jährige Zhadan ist Musiker, Schriftsteller, einer der populärsten | |
Künstler der Ukraine. Richtig einordnen lässt er sich nicht. Er ist | |
charismatisch, aber schüchtern. Rebellisch, aber dezent. Frontmann der | |
Ska-Band Zhadan i Sobaky (Zhadan und die Hunde), aber keine Rampensau. | |
Zhadan ist Punk und Lyrik, Politik und Poesie. Ein eigentümlicher Mix, der | |
viele in seinen Bann gezogen hat. Als „eine Art James Dean“ des Donbass | |
beschreibt ihn die Publizistin Marci Shore. „Niemand vereint den coolen | |
Typen und den heiligen Narren so gut wie Zhadan“, schrieb zuletzt der | |
US-Historiker Timothy Snyder. „Er rappt Hymnen.“ | |
Zhadan stammt aus dem Oblast Luhansk in der Ostukraine. Jener Region, die | |
seit 2014 zu einem Teil von prorussischen Separatisten, der selbsterklärten | |
„Luhansker Volksrepublik“, besetzt ist. Heute lebt er in Charkiw, zwanzig | |
Kilometer von der russischen Grenze entfernt. „Schlimm ist es zu sehen, wie | |
Geschichte entsteht“, schreibt er in seinem Werk „Gedichte aus dem Krieg“. | |
Einem Krieg, über den er auch einen Roman geschrieben hat. „Internat“ | |
erschien im Frühjahr in Deutschland. | |
Alles begann damit, dass ihm 2014 ein Unbekannter seine | |
Tagebuchaufzeichnungen aus Luhansk schickte, erzählt Zhadan. Dort, wo sich | |
im Frühling der Konflikt zu einem Krieg zusammenbraute. Die Besetzung der | |
Amtsgebäude, die ersten Zusammenstöße, die russischen Soldaten, die Bomben. | |
Dieses „Tagebuch aus dem Herzen des Krieges“ wurde die Grundlage für | |
Zhadans Roman. Das Protokoll eines Menschen, der zufällig zwischen die | |
Fronten geriet. Wie der Romanheld Pascha. | |
Pascha ist 35 Jahre alt. Ein Lehrer, der Ukrainisch unterrichtet, doch als | |
Privatmann nur Russisch spricht. Friedfertig, aber apolitisch. Als der | |
Krieg ausbricht, fragt er sich: „Was geht mich das an?“ Paschas Devise: | |
Bloß auf nichts festlegen, ganz gleich, welche Landesfahne gerade auf den | |
Amtsgebäuden weht. Ein Opportunist. Doch als der Frontverlauf wechselt, | |
liegt das Internat, in dem sein Neffe lebt, plötzlich auf der anderen Seite | |
der Front. Pascha macht sich auf, um ihn zu holen – und eine Odyssee durch | |
die Kriegswirren beginnt. | |
Zhadan ist so ganz anders als sein Romanheld. Der promovierte Philologe, | |
der Paul Celan und Charles Bukowski ins Ukrainische übersetzte, ist ein | |
Aktivist der ersten Stunde. Orange Revolution 2004, die pro-europäische | |
Bewegung am Maidan zehn Jahre später. Als die Separatisten im Frühling 2014 | |
die Amtsgebäude in Charkiw besetzen, legt sich Zhadan persönlich mit ihnen | |
an – und wird zusammengeschlagen. Der Dichter, der blutüberströmt von | |
Polizisten ins Krankenhaus gebracht wird – ein Bild, das durch die Medien | |
geht. | |
Aber es gehört zur literarischen Tradition Zhadans, Romanhelden zu | |
beschreiben, die anders ticken als er. Es sind die Durchschnittsmenschen, | |
die in seinen Texten zu Wort kommen. Die unscheinbaren Normalos und | |
Underdogs. Mit dem Roman „Internat“ wollte er aber auch verstehen, warum im | |
Donbass so viele tatenlos zugesehen hatten, als Schützengräben ausgehoben | |
wurden und Bomben fielen. Alles Duckmäuser und Verräter, so die Vorwürfe | |
aus Kiew? Oder einfach nur Menschen mit einer Strategie, um in der | |
undurchsichtigen Lage der ersten Kriegstage zu überleben? | |
Am Abend nach dem Konzert stellt Zhadan seinen Roman vor. Im Sommertheater | |
von Czernowitz, einer Freiluftbühne inmitten des botanischen Gartens, die | |
Besucher fläzen sich auf den blauen Kunststoffsitzen. Zhadan liest und | |
erzählt von seinen Reisen in die Ostukraine. Wie er mit Freunden immer | |
wieder die Frontlinie abfährt, um an Schulen und Kindergärten zu lesen oder | |
in zerschossenen Kultursälen zu singen. „Konstruktive Ukrainisierung“, so | |
nennt er das. „Ostoholiker“, so nennen ihn seine Freunde. Vor einem Jahr | |
gründete Zhadan eine Stiftung, um die Frontstädte auf der | |
ukrainischkontrollierten Seite zu unterstützen – humanitär und kulturell. | |
„Für mich ist es eine Frage der Solidarität“, sagt Zhadan im Interview. | |
„Das sind meine Mitbürger, die sich plötzlich in einem Kriegsgebiet | |
wiedergefunden haben. Wir wollen ihnen zeigen, dass wir ihre Not nicht | |
vergessen haben.“ | |
Es sind Geschichten von der bizarren Normalität des Krieges, die Zhadan | |
erzählt. Erst im Banalen wird die Gewalt sichtbar. Die Autos, die nachts | |
ohne Scheinwerfer fahren, um nicht ins Visier von Scharfschützen zu | |
geraten. Die Sonnenblumenfelder, die nicht abgeerntet wurden, weil sie im | |
Kampfgebiet liegen. Erfrorene Zimmerpflanzen. Herrenlose Hunde. Bei Zhadan | |
gibt es keine Helden, sondern nur das fiebrige Elend der Soldaten, die | |
banale Gewalt und die Menschen, die versuchen, sich in diesem Inferno | |
zurechtzufinden. | |
Wie aus einem anderen Leben, aus einem anderen Land klingen die Erzählungen | |
hier in Czernowitz, mehr als tausend Kilometer von der Front entfernt, | |
unter den wogenden Baumkronen und den prächtigen Jugendstilbauten, die noch | |
unter den Habsburgern errichtet wurden. Aber auch aus Czernowitz sind | |
Soldaten an die Front gezogen – und in Särgen zurückgekehrt. Es ist nicht | |
einfach, einen Krieg zu führen, und gleichzeitig allen gegenüber fair zu | |
sein. Das weiß auch Zhadan. „Man muss ihn nicht mögen“, sagt er auf der | |
Bühne über seinen Protagonisten Pascha, „aber zumindest versuchen, ihn zu | |
verstehen.“ | |
So muss die Ukraine mehr Verständnis für die Menschen im Donbass | |
aufbringen, sagt Zhadan. Freilich nicht für Moskau, das dort bis heute | |
einen verdeckten Krieg gegen die Ukraine führt, aber zumindest für jene | |
Ukrainer, die nicht die Waffe gegen Kiew erhoben haben – und das sind ja | |
immerhin die meisten der rund sechs Millionen Menschen im Donbass. Auch | |
jene, die hinter der Frontlinie wohnen, weil sie dort schlichtweg eine | |
Wohnung oder eine Arbeit haben. | |
Die Bilder, die Zhadan zeichnet, sind anders als jene, die viele Ukrainer | |
dieser Tage zu sehen bekommen. Zum Jahreswechsel ist in den ukrainischen | |
Kinos der Film „Cyborgs“ angelaufen. Ein pathetisches Heldenepos über die | |
Schlacht um den Donezker Flughafen, mit Staatsgeldern unterstützt. Während | |
Zhadans Vorgängerroman „Die Erfindung des Jazz im Donbass“ auch mit | |
staatlicher Unterstützung verfilmt wurde und in diesem Jahr in die | |
ukrainischen Kinos kommt, wird der neue Roman von Zhadan wohl keine | |
Förderung erhalten. Zu wenig patriotisch. | |
2 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Simone Brunner | |
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