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# taz.de -- nordđŸŸthema: Wo Meeresgrund auf Horizont trifft
> Eine Wattwanderung in der Nordsee von der Hallig Hooge zum geschĂŒtzten
> Japsand kann grenzwertig sein. Und in der NÀhe wÀchst eine neue Insel
Bild: Eine neue SandwĂŒste in der Nordsee: Blick von Japsand zur Hallig Hooge
Von Sven-Michael Veit
Wo Schleswig-Holstein aufhört, ist gar nicht so leicht zu sagen. Zumindest
nicht an der Nordsee oder besser gesagt in der Nordsee. Es sind die
AußensĂ€nde vor den nordfriesischen Inseln und Halligen, welche die
westlichsten Landmarken bilden, SĂŒder- und Norderoogsand, Japsand und
Jungnamensand, dazu weiter sĂŒdlich der Blauortsand und das als „Vogelinsel“
bekannte Trischen. Allerdings werden diese RÀume bestÀndig enger: tÀglich,
monatlich, jÀhrlich wandern die SandbÀnke aufs Festland zu und sorgen auf
lange Sicht fĂŒr ein touristisches Problem: Der Platz fĂŒr Wattwanderungen
vor der WestkĂŒste wird immer kleiner.
Heute sind es noch rund eineinhalb Stunden von der Hallig Hooge zum
Japsand, der sich gut vier Kilometer westlich aus dem Meer erhebt. Um die
30 Meter pro Jahr sĂŒdostwĂ€rts wandert diese Sandbank, auf der sich gerne
ein paar hundert Seehunde in der Sonne aufwÀrmen; auch Seeschwalben und
Sandregenpfeifer brĂŒten hier auf der SandwĂŒste im Wasser, die zur
Schutzzone 1 im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer gehört:
Das Betreten der SĂŒdhĂ€lfte, wo die Seehunde rasten, ist verboten, der
Nordosten darf nur auf gefĂŒhrten Wanderungen der Schutzstation Wattenmeer
aufgesucht werden.
„Bei normalem Hochwasser geht der Japsand nicht mehr unter“, erzĂ€hlt
Michael Engbert von der Schutzstation auf Hooge. Bis zu 80 Zentimeter hoch
erhebt sich der Sand aus der Nordsee, erste kleine DĂŒnen haben sich
gebildet. Drei Kilometer lang ist er, einen knappen Kilometer breit und
stÀndig in Bewegung. Zum Ende des Jahrhunderts wird er vermutlich als
Sandstrand vor Hooge enden, so wie der Kniepsand vor Amrum strandete.
„Diese Dynamik“, sagt Engbert, „die ist einzigartig.“
Aus Westfalen stammt der 25-JĂ€hrige, studiert Bio auf Lehramt, macht in der
Schutzstation ein Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) und hat sein Herz
ans Wattenmeer verloren. „Das Unmittelbare“, sagt er, „wie der Meeresgrund
den Horizont trifft – einfach faszinierend.“ Und er schwĂ€rmt von den bis zu
zwölf Millionen Zugvögeln, die hier im FrĂŒhling und Herbst rasten und sich
die BĂ€uche voll schlagen vor dem Weiterflug in den arktischen Norden oder
in den winterlichen SĂŒden. „Wenn so viele Vögel 10.000 Kilometer hierher
fliegen, muss das doch ein toller Ort sein“, sagt Engbert.
Hooge, die Königin der Halligen, ist Ausgangspunkt fĂŒr gefĂŒhrte
Wattwanderungen unterschiedlichen Schwierigkeitsgrades. Nach Pellworm, der
Insel im SĂŒden, geht es in vier bis fĂŒnf Stunden durch mehrere Priele. Als
anspruchsvoll gilt diese Tour, Kondition und eine gewisse Furchtlosigkeit
sind Voraussetzung. Leichter sind die drei Stunden zur Vogelschutzhallig
Norderoog, wo nur im Sommer ein VogelschĂŒtzer in einem sechs Meter hohen
Pfahlbau wohnt, unter dem leichte Sturmfluten durch rauschen können.
Aber das ist alles relativ, Wind und Wetter diktieren die Bedingungen. Bei
unserer Wanderung zum Japsand, eigentlich keine schwere Tour, weht der
SĂŒdwest mit sechs bis sieben WindstĂ€rken: Das Niedrigwasser steht
knöcheltief im Watt, weil es nur schwer abfließen kann, der Priel unterwegs
ist gut gefĂŒllt und druckvoll, das Hochwasser lĂ€uft mit dem Wind frĂŒher und
höher auf, das Zeitfenster fĂŒr die Tour ist eng. Grenzwertige Bedingungen,
sagt Michael Engbert.
Etwa 30 mögliche Wattwanderungen gibt es in den Wattenmeer-Nationalparks
von Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen, und sÀmtlich sind sie
ohne ortskundige FĂŒhrerInnen nicht zu empfehlen, etliche wĂ€ren sonst
lebensgefÀhrlich. Schon wenige Meter neben einer Route, die nur die
WattfĂŒhrerInnen kennen, kann das Schlickwatt tĂŒckisch sein. Jahr fĂŒr Jahr
mĂŒssen Touristen gerettet werden, die bis zur HĂŒfte im Modder versunken
sind oder auf erhöhten FlÀchen vom Hochwasser eingeschlossen wurden. Der
Versuch, Priele zu durchschwimmen, endet nicht selten tödlich, und wer in
plötzlich aufkommendem Seenebel ohne Kompass und Ortskenntnisse herumirrt,
hat keine großen Überlebenschancen.
Und dann sind da noch, besonders im Sommer, Gewitter. Wer auf Kilometer im
Umkreis der weitaus höchste Punkt in der Gegend ist, hat dann Grund zur
Sorge. Flach in den Matsch legen ist auch keine dauerhafte Lösung: FrĂŒher
oder spÀter kommt die Flut. Engbert und weitere MitarbeiterInnen der
Schutzstation Wattenmeer wurden im vorigen Sommer bei VogelzÀhlungen auf
Japsand von einem Gewitter ĂŒberrascht. Sie verbuddelten ihre RucksĂ€cke samt
Handys, Kameras und anderer metallischer GegenstÀnde, stellten etwas
entfernt die Fotostative als Blitzableiter auf und gruben sich selbst im
Sand ein. „Nichts passiert“, berichtet Engbert, das Gewitter sei an ihnen
vorbei gezogen: „Das war knapp.“
30 Jahre alt sind die Wattenmeer-Nationalparke an der NordseekĂŒste jetzt,
und das habe einen Lerneffekt auf die Touristen gehabt, findet Michael
Klisch, Leiter der Schutzstation Wattenmeer auf Hooge. „Die GĂ€ste sind
jetzt aufgeklĂ€rter und sensibler gegenĂŒber der Natur“, sagt Klisch, „die
Störungen von Vögeln und Seehunden haben deutlich abgenommen.“ Ein
wachsendes Problem seien Drohnen, die brĂŒtende Vögel aufscheuchen wĂŒrden:
„Ein Vogel, der sitzt, ist eben nicht spannend“, zuckt Klisch die
Schultern. Bisher seien das nur EinzelfĂ€lle, die aber hĂ€uften sich: „Das
wird noch ein Problem werden“, befĂŒrchtet der NaturschĂŒtzer. Wer hierher
komme, sollte sich im Klaren darĂŒber sein, „dass Drohnen in Schutzgebieten
nichts zu suchen haben.“
Auch nicht auf der Kormoran-Insel, Schleswig-Holsteins neuestem Eiland: Die
flache Sandbank Liinsand zwischen Sylt, Föhr und Amrum wuchs in den
vergangenen zehn Jahren zu einer stabilen Insel heran, gespeist aus den
bestĂ€ndigen Sandverlusten an der Hörnum Odde, der SĂŒdspitze von Sylt.
Kormorane sind hier bisweilen anzutreffen und natĂŒrlich Seehunde, die sich
sonnen. Seit zwei Sommern darf man sich der Kormoran-Insel von Amrum oder
Föhr aus nĂ€hern, sie aber nicht betreten. 13 Kilometer in vier bis fĂŒnf
Stunden – die allerneueste und anspruchsvolle Wanderung zu einem Punkt, wo
Norddeutschland nicht zu Ende ist, sondern neu anfÀngt.
21 Apr 2018
## AUTOREN
Sven-Michael Veit
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