# taz.de -- Die Fallen der Videospiele | |
> Mit „Loot Boxes“ versuchen Hersteller von Videospielen, Nebeneinnahmen zu | |
> generieren. Das Kalkül: Sitzt der Jugendliche erst vor dem Bildschirm, | |
> ist er eher zum Kauf bereit. Inzwischen nimmt sich die Politik des Themas | |
> an – allerdings nicht in Bremen | |
Bild: Szenen aus Salzgitter III: Die örtliche Suchthilfe ist hier dringend nö… | |
Von Lukas Thöle | |
Nationalismus, Bier und Panini-Sammelbilder gehören zu jeder | |
Fußballweltmeisterschaft. Auch diesen Sommer werden die Bildchen wieder auf | |
dem Schulhof und im Büro getauscht. Erwachsene werden an der | |
Tankstellenkasse zu Kindern, denn das Sammelheft muss gefüllt werden. Doch | |
nach vier Wochen sind WM und Sammelfieber vorbei. Scheitert die deutsche | |
Mannschaft in der Vorrunde, wohl schon früher. | |
Panini verkauft die Katze im Sack – welche Spieler in den Heften sind, ist | |
nicht klar – und versteckt damit den wahren Preis der Bildchen. Dieses | |
Prinzip haben Hersteller von Videospielen perfektioniert. Sie verkaufen | |
digitale Loot Boxes – zu deutsch: Beutekisten. Je nach Spiel können darin | |
rein kosmetische Inhalte sein oder sogar Spielvorteile. | |
Beim Fußball-Videospiel „Fifa“ sind es Kartenpackungen wie bei Panini, nur | |
eben digital. Die kosten zwischen einem und zwanzig Euro. Mit Glück bekommt | |
man gute Spieler wie Manuel Neuer, Christiano Ronaldo oder Lionel Messi. | |
Wahrscheinlicher ist aber, dass man Personal vom SV Werder Bremen oder dem | |
Hamburger SV bekommt. | |
„Das ist Glücksspiel“, sagt Antje Grotheer von der Bremer SPD-Fraktion. Sie | |
sieht einen Unterschied zu Panini: Wenn am Computer gezahlt wird, sei das | |
etwas Anderes als in die Geldbörse zu greifen, so die stellvertretende | |
Fraktionsvorsitzende. Durch eine Anfrage an den Senat möchte sie | |
herausfinden, was Bremen dagegen tun kann. Grotheer fordert, solche Spiele | |
nur noch an Volljährige zu verkaufen. Dafür müssten Loot Boxes auch | |
rechtlich als Glücksspiel gelten. | |
Der Bremer Senat sieht das allerdings anders. Er verweist auf den | |
entsprechenden Staatsvertrag, mit dem die Bundesländer das Glücksspiel seit | |
2008 regulieren. Glücksspiel liegt demnach vor, wenn eine unsichere | |
Gewinnchance für ein Entgelt erworben wird. Für Tombolas und Lose auf dem | |
Rummel erteilen die Länder Sondergenehmigungen. | |
„Ob der Kaufpreis einer Loot Box ein Entgelt für den Erwerb einer | |
Gewinnchance darstellt, erscheint zweifelhaft“, sagt Rose Gerdts-Schiffler | |
vom Innenressort. Denn bei einer Loot Box würde man – anders als bei | |
klassischem Glücksspiel – immer etwas gewinnen. Ob es auch der gewünschte | |
Gegenstand ist, sei rechtlich irrelevant. Loot Boxes könnten daher nur über | |
das Jugendschutzgesetz reguliert werden. | |
Diese Position vertritt auch die Unterhaltungssoftware-Selbstkontrolle | |
(USK). Sie wertet Loot Boxes als Geschäftsmodell. „Somit gibt es für die | |
USK keinen gesetzlichen Auftrag, Lootboxen bei der Prüfung zur | |
Alterseinstufung zu berücksichtigen.“ Trotzdem sei das Thema nicht | |
unproblematisch. Die USK rät Eltern, sich zu informieren. | |
Das Problem sei die Suchtgefahr, meint Gerhard Meyer von der Bremer | |
Fachstelle Glücksspielsucht: „Lootboxen erfüllen die klassischen Kriterien | |
von Glücksspielen.“ Er sieht eine Gesetzeslücke, die geschlossen werden | |
müsse. Die Beutekisten richteten sich an die „vulnerable“ Gruppe der 12- | |
bis 17-Jährigen. „Ich sehe eine hohe Risikogefahr“, sagt Meyer. Nach einer | |
aktuellen Umfrage der Fachstelle haben die Hälfte der befragten | |
Jugendlichen schon einmal Loot Boxes gekauft. | |
Fraglich ist, ob sie den gewünschten Gegenstand erhalten haben. Der | |
britische Youtuber Chris Dixon kaufte und öffnete Fifa-Packungen im Wert | |
von 5.000 Pfund. Christiano Ronaldo oder Lionel Messi bekam er nicht. Die | |
gezogenen Spieler waren schließlich nur 880 Pfund wert. Dixon vergleicht es | |
mit Drogensucht: „Don’t do packs, kids.“ | |
Ein 19-jähriger US-Amerikaner schrieb im November einen offenen Brief an | |
alle Spielehersteller. In diesem gab er zu, spielsüchtig zu sein und in | |
drei Jahren über 13.000 US-Dollar für digitale Inhalte bezahlt zu haben. | |
Personen wie er gelten in der Branche als „Wale“: Sie geben | |
überproportional viel Geld für digitale Inhalte aus und sorgen damit für | |
einen Großteil des Umsatzes. | |
Loot Boxes gehören zu den Mikrotransaktionen – digitale Inhalte für kleine | |
Summen. Für einzelne SpielerInnen sind es ein paar Euro, die Branche | |
verdient damit Millionen. Der französische Hersteller Ubisoft hat mit | |
digitalen Angeboten im vergangenen Quartal einen Umsatz von 343 Millionen | |
Euro erwirtschaftet – 175 Millionen davon durch Mikrotransaktionen. Ubisoft | |
hat durch Zusatzinhalte also mehr Geld verdient als durch die Spiele | |
selbst. | |
Doch die Politik ist dran: Der bayerische Landtag diskutiert das Thema seit | |
Dezember. Belgien möchte Loot Boxes in der EU komplett verbieten. Und der | |
US-Senat verhandelt in diesen Tagen, ob sich die Glücksspielkommission mit | |
Loot Boxes befassen muss. | |
3 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Lukas Thöle | |
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