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# taz.de -- Die Insel des CR7
> Cristiano Ronaldo ist ein Sohn Madeiras. Der Flughafen ist nach ihm
> benannt, es gibt ein Museum für den Kicker, Denkmäler sowieso. Und doch
> erntet man Augenrollen, nennt man seinen Namen
Bild: Wer am Hafen von Funchal ankommt, wird von einem bronzenen Cristiano Rona…
Aus Funchal René Hamann
Die Bodenstewardess verdreht die Augen. Ja, die Statue ist gleich da
draußen. Einfach durch den Haupteingang, dann links.
## Aeroporto
Der Flughafen von Madeira hat sich im März 2017 nach Cristiano Ronaldo
benennen lassen. Um den berühmten Sohn der kleinen Atlantikinsel zu rühmen
und zu preisen, wurde auch eine vergoldete Büste in Auftrag gegeben, die
hier draußen auf die Gäste wartet. Ob dabei Geld geflossen ist oder es nur
um „touristischen Opportunismus“ ging, wie ein regierungsnaher Politiker
schimpfte, weiß man nicht so genau. Aber es gab reichlich Spott: für die
Büste selbst, für ihre Ausführung, für den ganzen Umstand, den der Narziss
oder weltbeste Fußballer der Welt wieder einmal veranstaltet hat. Das auf
den ersten Blick Erstaunliche ist, dass das in seiner Heimat nicht anders
ist als beispielsweise in Berlin. Ich musste das noch öfter erleben: Kommt
auf Madeira die Sprache auf „CR7“, werden die Augen verdreht. Lustigerweise
vornehmlich von Frauen; bei den Männern schwingt immer noch Respekt in den
Reaktionen mit.
Die Büste ist wirklich nicht besonders gut geraten. Aber hey, nach welchem
31-Jährigen wurde denn ansonsten ein Flughafen benannt? Noch dazu ist der
Aeroporto Cristiano Ronaldo im Osten der Insel einer der waghalsigsten;
direkt am Fels gelegen, direkt am Meer: An- und Abflug wurden für die
Piloten nur dank neuer Umbauten etwas erleichtert. Aber Applaus gibt es
immer noch bei der Landung – nicht nur als Ritual. Sondern aus echter
Erleichterung.
Madeira liegt im Atlantik; die Dauer eines Fußballspiels von Lissabon
entfernt, auf halber Strecke Richtung Kanaren, 700 Kilometer vor der
marokkanischen Küste. Die Temperaturen auf der Insel sind auch im Dezember
frühlingshaft; Madeira ist ein Rentnerparadies, eine prosperierende
Ferieninsel ohne große Strände, etwas zum Chillen oder Wandern. Am Hafen
von Funchal, der Hauptstadt, landen etwa zwei Kreuzfahrtschiffe pro Tag.
Trotzdem ist Madeira keine reine Ferieninsel: 235.000 Menschen leben hier
(davon 92.000 in Funchal), und sie machen alle einen glücklichen Eindruck.
Muss am Wetter liegen und an der wirtschaftlichen Blüte, die die Insel
erlebt, und vielleicht auch an der linksgerichteten Regierung in Lissabon.
Natürlich gibt es auch Armut. Klar wird jedenfalls schnell, dass CR7
vielleicht Madeira braucht, als Ursprung seiner Geschichte. Madeira braucht
CR7 aber nicht. Die Insel kommt auch gut ohne ihn aus.
## Nacional
Die Insel weist drei gute Klubs auf; allerdings ist Marítimo Funchal
derzeit der einzige Erstligist. Das Stadion von CD Nacional, dem Ex-Klub
Ronaldos, Zweitligist, letzte Saison abgestiegen, thront weit oben über
Funchal. Dorthin kraxeln zu wollen, ist keine so gute Idee. Allerdings sind
auch die Verkehrsanbindungen schlecht: Der letzte Bus hält knapp einen
Kilometer vor dem Stadion. Die meisten fahren mit dem Auto hoch.
Das Stadion ist kompakt und süß und könnte auch „Playmobil-Stadion“ hei�…
Aber es heißt natürlich nach ihm. Vorher hieß es schlicht nach der Insel.
Und natürlich wartet auch hier eine CR7-Statue. Der Pressemensch des
Vereins mit dem schönen Namen Saturnino Sousa ist freundlich, zu CR7 will
er sich nicht groß äußern (das Augenverdrehen bleibt aber aus). CR7
unterstützt den Verein, ob konkret mit Geld oder nur abstrakt, dazu gibt es
keine konkrete Äußerung. Der kleine Verein hat eine treue,
leidenschaftliche Anhängerschaft, die während des Ligaspiels gegen den
nordportugiesischen Provinzklub FC Arouca schier ausflippt, weil der
Schiedsrichter die Gäste erst bevorzugt, ihnen zwei Elfmeter schenkt, ehe
er sich zum Ende hin zu Konzessionsentscheidungen durchringt. Funchal
spielt etwa auf dem Niveau von Fortuna Köln, der FC Arouca wirkt
abgeklärter, verspielt aber in einer lustigen, kampfbetonten Partie eine
2:0-Führung zum letztlich gerechten 2:2.
Ich warte die ganze Zeit darauf, dass einer den Ball über die Balustrade
schießt. Der würde dann fünf Kilometer weit bergab segeln und mit etwas
Glück im Hafen landen. Ob CR7 das einmal geschafft hat? Augenrollen.
## Clásico
Anderntags läuft der Clásico. Es ist der Samstag vor Weihnachten, der 23.
Dezember 2017. In der Stadt scheint das Spiel niemanden vom Hocker zu
reißen. Eine kleine Gruppe Real-Fans sieht sich das Spiel in einer Eckbar
an und scheint dankbar, schon mal für die abendliche Christmas Party, die
ganz Funchal in Beschlag nehmen wird, vorglühen zu können. Ich wechsele in
die Hotelbar und schaue das Spiel mit dem alten, leider inzwischen leicht
dementen Hotelbesitzer. Zu CR7 hat auch er wenig zu sagen. Er ist
Benfica-Fan. CR7 war bei Sporting. Seine Mutter hat er mal gekannt, die war
früher oft unten in der Stadt, aber das ist lange her.
Ronaldo ist zunächst sehr spielbestimmend, sein Gegner Lionel Messi hält
sich zurück. CR7 hat eine Großchance, köpft ein Abseitstor und kann dann
eine Mustervorlage nicht verwerten, weil er über den Ball säbelt. Im
Anschluss kann er sich 80 Minuten lang nicht von dieser Blamage erholen.
Messi hingegen blüht in der zweiten Halbzeit auf, auch wenn es andere
Spieler sind, die das Spiel entscheiden: Ivan Rakitić durchläuft das
gesamte Mittelfeld vor dem 0:1, Luis Suárez wird gefoult, Aleix Vidal
besorgt den Endstand. Barca gewinnt in Madrid mit 3:0. Und das zwei Tage
nach der Wahl in Katalonien.
## CR7 Museu
Mit meinem deutschen Presseausweis komme ich hier nicht weit (anders als
bei CD Nacional). Die Dame an der Kasse winkt nur müde ab, Interviews geben
möchte auch niemand. Der Eintritt kostet 5 Euro. Seit fast genau fünf
Jahren gibt es das CR7-Museum am Hafen von Funchal. Vor dem Eingang steht
eine weitere Statue: CR7 in Pistolero-Stellung wie vor einem Freistoß. Mit
merkwürdig goldener Betonung seines, äh, Gemächts. Es lädt zu Selfies und
Veralberungen ein.
Das Museum besteht in der Hauptsache aus Fußballkitsch. Replikationen
sämtlicher Schüsseln, Henkeltöpfe und Kanonen dieser Fußballwelt, die CR7
bereits gewinnen konnte. Textilien mit Unterschriften. Hochgezogene Fotos,
ausgestellte Treter. Geschenke von Sponsoren, Fans, Verehrern. Draußen im
Hafen liegt der Nachbau der Santa Maria, des Schiffs des Kolumbus. Das ist
nur halb so kitschig.
Was schnell auffällt: Eine Geschichte wird nicht erzählt. Klar, es gibt
Devotionalien auch aus den Jugendjahren. Wie und wieso CR7 aber es dorthin
geschafft hat, wo er jetzt ist, wird nicht nachvollziehbar. Es werden keine
Trainingsmethoden erklärt, die man sich abschauen könnte. Es gibt keine
Aufstiegsstory à la vom Balljungen zum Millionär. Wer das Talent erkannt
hat? Wie es und womit es gepflegt und ausgebaut wurde? Fehlanzeige. Nichts
zum Vater, der 2005 an seinem Alkoholismus starb, nichts zu den „einfachen
Verhältnissen“, aus denen er kam. Erklärt wird eigentlich gar nichts.
Mit 14 wechselte er von Nacional Funchal zu Sporting Lissabon, dem
sympathischeren Klub der Hauptstadt – auch wenn Benfica mehr Fans hat, auch
hier in Funchal. Sein Durchbruch. Danach ging er zu Manchester United,
Weltkarriere machen.
CR7 ist dabei weit mehr als nur ein sehr guter Fußballer. Er ist eine
Marke. Ein brand. Er ist ein Superstar, er ist ein Topidol, er spielt bei
Real Madrid, er hat ein eigenes Museum. Es gibt ein CR7-Hotel,
Beteiligungen an weiteren Hotels, es gibt sogar verdammte CR7-Unterwäsche,
für die er höchstpersönlich in seinem CR7-Shop am
Cristiano-Ronaldo-Flughafen posiert. Auch hier der Eindruck: Sieht schon
gut aus, hat aber auch etwas Lächerliches. CR7 ist ein Beau, in allem viel
zu glatt. Er ist kein Luís Figo. Aus ihm wird auch kein Pep Guardiola. Ihm
fehlt das Genialische, auch das Jerry-Maus-Hafte eines Lionel Messi. Ein
echter Proll, wie es vielleicht Wayne Rooney ist, ist er ebenfalls nicht:
Er ist ein ehrgeiziger Junge von einer entlegenen Insel, ein ewig
Sechsjähriger im Körper eines erwachsenen Mannes, ein Idol für
Gleichaltrige bis ins Alter von 14. Wer sich danach noch für Fußball
interessiert, wechselt – sofern er bei Real bleibt – eher zu Luka Modrić,
zu Marcelo, zu Sergio Ramos oder zu Toni Kroos.
Natürlich ist er ein brillanter Techniker. Und er hat eine hervorragende
Athletik. Er hat Killerinstinkt, er ist ein Egoshooter, hat aber spätestens
bei der EM bewiesen, dass er auch ein Teamplayer sein kann. Doch sowohl
seine fußballerischen Fähigkeiten wie sein Image haben in erster Linie
etwas Neureiches. CR7 ist die Verkörperung des neoliberalen Fußballs: die
glatte Erfolgsmaschine, deren Geschichte man vernachlässigen kann, und vor
der alle auf der Hut sind, die Wert auf Authentizität legen. Wo Horst Eckel
die Santa Maria ist, und Kevin Großkreutz der Nachbau, ist CR7 die Aida.
## O Avô
Auch Ricardo Sousa verdreht die Augen. Zu Cristiano Ronaldo will er nichts
sagen, in seinem Laden gesehen hat er ihn noch nicht. Der Besitzer und Wirt
des O Avô, eines kleinen Restaurants in Hafennähe, ist stolzer Besitzer von
inzwischen 1.411 Fußballschals. Die größte Sammlung in ganz Europa. Sogar
ein Schal der Sportfreunde Ricklingen ist dabei. Heute trägt er das Trikot
der schottischen Nationalmannschaft und bietet Fisch oder Fleisch an – das
ist die ganze Auswahl. Ricardo ist ein „Original“ – ein Haudegen mit
Bauch, Laden und Frau, ein Fußball-Afficionado der alten Schule.
Der Kurztrip ist fast vorbei, und ich bin es inzwischen müde, über CR7 zu
reden, nachzudenken, Forschungen anzustellen. Ich genieße das einfache,
aber gute Essen, das halb so teuer ist wie in dem schlechten Restaurant, in
dem wir am Weihnachtsabend waren: eines dieser Restaurants in der Altstadt
mit Koberern, die die Touristen in den Laden locken sollen. Das ist
vielleicht die letzte noch mögliche Romantik: das O Avô, das kleine
Restaurant mit der großen, spleenigen Schalsammlung. Das aber natürlich
auch eine eigene Facebook-Seite hat. Kann man liken.
CR7 ist inzwischen auch auf der Insel angekommen. Auf Twitter hat er ein
Foto hochgeladen, das ihn mit seinen neuen Trophäen auf einer Terrasse mit
Meerblick zeigt. Irgendwo in den Bergen über Funchal. Vielleicht ist er mit
der Militärmaschine gekommen, die wir beim Landen beobachten konnten. Zwei
Limousinen mit Blaulicht brachten die Insassen weg.
Obwohl, hat er nicht einen Privatjet?
6 Jan 2018
## AUTOREN
Rene Hamann
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