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# taz.de -- „Ich bin ein liberaler Anarchist“
> Norbert Hähnel
Wenn man eh nichts ändern kann, kann man sich wenigstens lustig machen:
Norbert Hähnel, 53, parodierte in den Achtzigerjahren bei Auftritten mit
der Punkrockband Die Toten Hosen den echten Schlagersänger Heino als „Der
wahre Heino“. Nach zwei Kandidaturen für Spaßparteien zur Berliner
Abgeordnetenhauswahl tritt der gelernte Drucker jetzt für die Spaßpartei
„Die Partei“ zur Bundestagswahl an. Seine GegnerInnen als Direktkandidat:
unter anderen Christian Ströbele (Grüne) und die Bezirksbürgermeisterin von
Friedrichshain-Kreuzberg, Cornelia Reinauer (Linkspartei)
INTERVIEW BARBARA BOLLWAHN
taz: Herr Hähnel, Sie treten im Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg als
Direktkandidat für „Die Partei“ des Satiremagazins Titanic an. Vorher haben
Sie sich für die Spaßpartei „Kreuzberger Patriotische
Demokraten/Realistisches Zentrum“ (KPD/RZ) um das Amt des Regierenden
Bürgermeisters beworben, und Sie waren Kandidat für die „SED“, ein
Zusammenschluss der KPD/RZ mit den „Friedrichshainer Amorphen Zentralisten“
(FAZ), die jetzt „Die Partei“ unterstützt. Ist da nicht langsam die Luft
raus?
Norbert Hähnel: Wieso? Das ist wie Mensch-ärgere-dich-nicht-Spielen. Da
trete ich auch an, um zu gewinnen. Ein Spiel macht nur dann Spaß, wenn man
es ernst nimmt. Ich hasse es, wenn Leute dabei sind, die nach drei Viertel
des Spiels, wenn sie merken, dass sie auf der Verliererstraße sind, alles
umschmeißen. Das ist wie bei einem Fußballspiel, da will auch jeder
gewinnen: Frau Merkel, Herr Schröder und ich natürlich auch.
Aha.
Sicher. Unser Ziel ist es, das Niveau des Wahlkampfs auf null zu senken.
Wir sind populistisch und schmierig. Da haben wir natürlich harte
Konkurrenz, besonders was die FDP betrifft und die CDU/CSU. Aber ich sehe
keine konkurrierende Partei, die irgendein Konzept aufweist. Wir haben auch
kein großes Konzept. Mich unterscheidet aber von anderen Politikern die
Tatsache, dass ich weiß, dass ich kein Konzept habe.
Kann man sagen, dass Ihre Siege in der Niederlage liegen?
Nein. Ich spiele schon, um zu gewinnen. Es ist nicht unser Programm, als
Parodisten aufzutreten. Wir treten schon ernsthaft an. Wenn wir gewinnen,
werden wir uns erst mal bei den Wählern bedanken. (lacht) Dann werden wir
gucken, wie es aussieht in den Büros, die von den Vorgängern geräumt werden
müssen. (lacht)
Gibt es Politiker, die Sie für voll nehmen?
Fällt mir im Moment keiner ein. Obwohl: Jürgen Trittin vielleicht, den
Bundesumweltminister.
Trittin?
Ja, ausgerechnet Trittin. Das wird jetzt einige wundern.
Warum gerade der?
Weil der sein Konzept noch immer einigermaßen durchzieht – ohne Rücksicht
auf Verluste. Es gibt leider keine großen, schillernden Persönlichkeiten
mehr in der Politik, so wie in früheren Zeiten Heinrich Lübke.
Ein Bildnis des ehemaligen Bundespräsidenten, der bei einem Staatsbesuch in
Afrika schon mal die Anrede „Liebe Neger“ verwendete und dessen kapitalste
Schoten auf einer LP gesammelt wurden, hängt in Ihrer Kreuzberger Kneipe
„Enzian“. Wieso?
Lübke war immer gut für einen Lacher. Wenn er irgendwo auf einer Reise war,
in Afrika oder Südamerika, dann habe ich gern die „Tagesschau“ geguckt,
weil es immer was zum Lachen gab. Lübke hatte die Fähigkeit, mit viel
Worten wenig zu sagen. (lacht) Das ist es doch, was einen Politiker
ausmacht.
Macht es bei der dritten Spaßpartei wirklich noch so viel Spaß wie bei der
ersten?
Doch. Obwohl, am Anfang hat’s am meisten Spaß gemacht, das stimmt. Da war
alles neu. Mittlerweile entwickelt man eine gewisse Routine.
Es hat den Vorteil, dass die alten Forderungen auch die neuen sind.
Ja, alle alten KPD/RZ-Forderungen sind nach wie vor gültig, weil wir die ja
noch nicht umsetzen konnten. Das Nachtflugverbot für Pollen. Oder das
Rauchverbot in Einbahnstraßen. Rotation von Straßennamen ist auch eine
schöne Sache. Da hat jeder mal die Möglichkeit, auch mal am Kurfürstendamm
zu wohnen, Unter den Linden oder in der Normannenstraße.
Sagen Sie mal: Interessieren Sie sich wirklich für Politik?
Natürlich. Politik bestimmt unser ganzes Leben. Ich bin immer ein
politischer Mensch gewesen. Ich hab irgendwann mal geglaubt, dass man durch
politische Tätigkeit etwas verändern kann. Aber ich habe ein bisschen
resigniert. Ich sehe für einzelne Menschen, vor allem, wenn sie vernünftige
Ziele haben, wenig Möglichkeiten, das umzusetzen.
Wann setzte diese Resignation denn ein?
Schon in den Achtzigerjahren.
Das war dann der Beginn der Spaßparteien?
Genau. Wenn man eh nichts ändern kann, dann kann man sich wenigstens
darüber lustig machen.
Wollen Sie damit sagen, dass Sie sich mal ernsthaft mit Politik beschäftigt
haben?
Ich war mal bei den Jungdemokraten. Aber das kann man wirklich unter
Jugendsünde abbuchen. Ich war 17 oder 18. Ich hatte sogar einen eigenen
Ortsverband gegründet, der sehr erfolgreich war. In kurzer Zeit war ich im
Ortsvorstand und dann im Kreisvorstand. Bei der FDP geht so was ganz
schnell, weil die so wenig Leute haben. Und wenn man da einigermaßen
kompetent auftritt, dann macht man im Handumdrehen Karriere.
Wie sind Sie bei den Jungdemokraten gelandet?
Weil mein Vater damals für die FDP im Stadtrat war. (lacht) Aber ich war
selber erschrocken über meine Karriere. Innerhalb von einem Jahr saß ich
schon in Düsseldorf mit Kollegen wie Ingrid Matthäus und Günter Verheugen
an einem Tisch.
Die beide 1982 wegen des Koalitionswechsels der FDP von der SPD zur Union
bei den Liberalen ausgetreten und zur SPD gewechselt sind. Wie lange haben
Sie es ausgehalten?
Ich bin nach einem Jahr oder zwei Jahren ausgetreten. Warum, das weiß ich
gar nicht mehr – irgend so eine Umfallergeschichte. Aber Ende der
60er-Jahre hatten die so eine Form von Liberalismus, die mir gefiel:
Liberalismus als größtmögliche Freiheit für den Einzelnen, die da
eingeschränkt wird, wo die Freiheit des anderen eingeschränkt wird.
Das bedeutete auch, dass sich ein Einzelner nur entwickeln kann in einer
freien Gesellschaft. Dieser Gedanke war damals schon ganz schön verwegen,
wenn man die FDP heute sieht. Es tut mir bis heute Leid, dass ich damals
FDP gewählt habe. Aber da war ich wirklich noch sehr jung. Danach habe ich
immer Grün gewählt. Wenn es „Die Partei“ nicht gäbe, würde ich aus
taktischen Gründen sicher wieder Grün wählen, das kleinste Übel. Aber
jetzt, wo ich wieder selbst aktiv bin, wähle ich natürlich mich selbst.
(lacht)
Der Austritt bei den Jungdemokraten war dann das Ende Ihrer ernsthaften
politischen Ambitionen?
In irgendeiner Form war ich immer politisch tätig, eher kulturpolitisch.
Ich habe in Bünde bei Bielefeld in Westfalen, wo ich herkomme, Konzerte
veranstaltet, umsonst und draußen. Das erste Umsonst-und-draußen-Festival!
Danach habe ich einen Offenbarungseid geleistet (lacht), und andere Leute
haben das weitergemacht. Den Begriff „umsonst und draußen“ gibt es heute
noch.
Warum haben Sie in den 80er-Jahren diese Parodie auf den Schlagersänger
Heino gemacht?
Mit der Heino-Idee war ich schon jahrelang schwanger, weil er für alles
steht, was an Musik Scheiße ist, für Spießigkeit und Volkstümelei. Ich habe
immer gedacht, das müsste mal einer parodieren. Weil sich keiner gefunden
hat, habe ich es selber gemacht.
Heino ging gerichtlich gegen Sie vor, Sie wurden zu einer Geldstrafe von
10.000 Mark verurteilt und sind ersatzweise ins Gefängnis gegangen. Für was
würden Sie heute ins Gefängnis gehen?
Für eine gute Idee kann man immer mal in Haft gehen. Die 18 Tage, die ich
damals abgesessen hab, waren überhaupt nicht dramatisch, sondern einfach
nur langweilig. Das hört sich immer so heldenhaft an. Aber es ist gar nicht
heldenhaft. Man sitzt einfach da und wartet, bis die Zeit vorbeigeht.
Die Heino-Parodie war eine Idee, die Sie lange mit sich herumgetragen
haben. Gibt es andere Ideen, die noch auf eine Umsetzung warten?
Ich hatte mal die Idee, meinen Lebensabend in Portugal zu verbringen, aber
das lässt sich finanziell leider nicht durchsetzen. Ich bin früher oft in
Portugal gewesen und habe dort ein Jahr lang eine Kneipe betrieben. Es ist
ein sehr schönes Land, sehr nette Menschen und vor allem: Das Leben ist
sehr ruhig und entspannt. Man hat dort nicht die Hektik, die man hier in
der Stadt hat.
Sie verdienen Ihr Geld als Betreiber der Kreuzberger Kneipe „Enzian“. Wie
kam es dazu?
Das hat sich zwangsläufig ergeben. Es war meine Stammkneipe. Als die letzte
Besitzerin gestorben ist und die Erben den Laden ziemlich
runtergewirtschaftet hatten, habe ich gedacht: Jetzt müssen wir den retten,
bevor weiß der Teufel was reingekommen wäre. Ich bin eigentlich gelernter
Drucker.
War das ein Traumberuf?
Irgendwas musste ich machen. Ich war auf dem Gymnasium und bin geflogen,
weil ich ein Verweigerer war.
Inwiefern?
Ich habe mich geweigert, Latein zu machen, und bin mit einem Kumpel statt
in die Lateinstunde in eine Eisdiele gegangen – und das war’s dann. In
Mathe war ich auch ziemlich Scheiße und so weiter. 1974 bin ich nach Berlin
gekommen und habe dann zwei Jahre bei „Oktoberdruck“ gearbeitet, dem linken
Druckkollektiv. Naja, und nebenbei habe ich immer mit Musik zu tun gehabt.
In den 80er-Jahren hatte ich den „Scheißladen“, einen Plattenladen.
Können Ihre Eltern verstehen, womit Ihr Sohn sich in Berlin die Zeit
vertreibt?
Ja, doch, das finden die lustig. Die wählen mittlerweile Grün. Ich hab vier
Geschwister, und dass meine Eltern Grün wählen, ist das Ergebnis
jahrelanger Bearbeitung. Sie sagen zwar, dass das mit den Parteien nicht so
richtig Hand und Fuß habe, aber die Heino-Sache fanden sie ganz lustig.
Wie würden Sie Ihre politische Positionierung nennen?
Ich bezeichne mich als liberalen Anarchisten. Das widerspricht sich nicht.
Ich möchte, dass jeder Mensch die Freiheit hat, sich möglichst individuell
zu verwirklichen. Und das geht nur in einer möglichst freien Gesellschaft.
Nur leider ist unsere Gesellschaft schon dadurch eingeschränkt, dass man
sein ganzes Leben darauf ausrichten muss, was zu fressen zu kriegen.
Was ist Ihnen wirklich wichtig im Leben?
Was wir mit der Kneipe machen, ist schon ein bisschen wie Portugal. Es ist
eine Kiezkneipe, man kennt die meisten Menschen und freut sich. Ich bin
relativ zufrieden, nur zurzeit Junggeselle, könnte also ein bisschen
zufriedener sein, wenn ich eine intakte Beziehung hätte. Aber das heißt
nicht, dass ich unbedingt suche.
Aber lustig sollte sie bestimmt sein, oder?
Sie sollte schon einen gewissen Grad an Humor mitbringen und einen Grad an
Intelligenz. Zusammen zu lachen ist besser als alleine lachen.
12 Sep 2005
## AUTOREN
BARBARA BOLLWAHN
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