# taz.de -- Der Teppich und die Wirklichkeit | |
> Im Sprengel-Museum hängt ein Wandteppich vor einer Tapete. Das Kunstwerk | |
> „Kalibierung 5“ funktioniert nur zusammen | |
Bild: Teppich vor Tapete: Das Sprengel-Museum zeigt eine Gemeinschaftsarbeit vo… | |
Von Radek Krolczyk | |
In der Eingangshalle des Hannoveraner Sprengel-Museums hängt derzeit ein | |
riesiger Teppich. In seinen silbrigen und ockergelben Farbtönen wirkt er | |
wenig spektakulär. Bei dem gewebten Motiv jedoch beginnt es interessant zu | |
werden. Anstatt folkloristischer, historischer oder religiöser Szenen sieht | |
man durcheinander gewürfelt Gestalten unserer westlichen Massenkultur. | |
Vorn links liegt groß und halbnackt auf dem Bauch mit angewinkelten Beinen | |
eine weibliche Figur, die an die Computerfassung von Lara Croft erinnert. | |
Auf der linken Seite sehen wir Uma Thurman in Pose und Kleidung | |
unverkennbar in ihrer Rolle aus dem Tarantino-Streifen „Kill Bill“. Daneben | |
hockt eine langhaarige Gestalt, die man als Rockmusiker der 70er-Jahre | |
identifiziert, nicht aber gleich ausmachen kann, ob es sich dabei um Patti | |
Smith, Jim Morrison oder Steve Tyler handelt. Vielleicht ist es auch egal. | |
Nach Renaissance-Malerei jedenfalls sieht ein kauernder, nackter Mann aus. | |
Möglicherweise aber handelt es sich nur um eine spätere Adaption aus dem | |
19. Jahrhundert? Im Louvre jedenfalls hängt ein ähnliches Bild von | |
Hyppolyte Flandrin. Alle diese Figuren wirken auf eine sehr ungelenke Weise | |
vereinfacht und stilisiert. | |
Was machen die nun aber zusammen auf einem Bildteppich im Museum? Den hat | |
die 1955 am Niederrhein geborene Künstlerin Margret Eicher entworfen. Mit | |
Hilfe von Bildbearbeitungsprogrammen fertigt sie digitale Collagen aus | |
Bildern, die sie in Comics, Zeitschriften, Werbung und Filmen findet. Diese | |
Arbeitsweise entwickelt Eicher bereits seit den 80er-Jahren. In den | |
Anfängen ihrer Karriere verwendete sie zwar Schere, Klebstoff und | |
Fotokopierer, interessierte sich jedoch für ähnliches Bildmaterial. | |
Auf ihrem Teppich im Sprengel-Museum verlieren ihre Figuren allein schon | |
durch die Farben ihre eigenen Qualitäten und gleichen sich aneinander an, | |
werden zu kulturindustrieller Pampe. Allerdings bleiben die Gestalten auch | |
allein auf sich selbst bezogen. Weder gibt es eine Interaktion zwischen | |
ihnen noch teilen sie überhaupt eine Perspektive. | |
Seit einigen Jahren arbeitet Eicher mit dem 1959 geborenen Münchner | |
Künstler Adi Hoesle zusammen. Von diesem stammt die seltsame Tapete, vor | |
der der Teppich hängt. Seltsam ist die Tapete deswegen, weil sie in | |
Streifen, deren Anordnung zunächst rätselhaft ist, die Farben der | |
Bildcollage wiederholt. Hoesle ist ausgebildeter Fachpfleger für Anästhesie | |
und auch künstlerisch bewegt er sich in der Medizin. Als Maler begann er | |
dann später, elektroenzephalografische Muster, die bei der Messung von | |
Gehirnströmen entstehen, für seine Kunst zu verwenden. Es ist fast so, als | |
würde das Gehirn selbst malen. Hoesle bezeichnet sich selbst als | |
„Retrogardist“, weil er fremde „Werke“ auf etwas Wesentliches reduziert. | |
Die Kalibrierung, nach der die beiden ihre Projektreihe benannt haben, | |
bezeichnet ein digitales Verfahren zur Standardisierung von Farbwerten. | |
Damit verlieren Eichers Figuren ihre Eigenheiten und zerfließen in ein | |
großflächiges Muster. Von der Macht der Bilder, die mindestens Eicher | |
kritisieren möchte, bleibt dann nicht mehr viel übrig. Mächtig bleibt | |
allein die Farbstruktur. | |
„Kalibrierung 5“ von Margret Eicher und Adi Hoesle, bis zum 15. April im | |
Sprengel-Museum Hannover | |
Der Autor ist Inhaber der Bremer Galerie K‘. | |
2 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Radek Krolczyk | |
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