# taz.de -- „Es gab nicht viele, die zugehört haben“ | |
> JAZZFEST 1943 verübte die Wehrmacht im griechischen Dorf Kommeno ein | |
> Massaker. Der Jazzer Günter Baby Sommer erinnert beim Jazzfest mit seinen | |
> „Songs for Kommeno“ daran | |
INTERVIEW STEFAN REINECKE UND TORSTEN HASELBAUER | |
taz: Herr Sommer, wann waren Sie das erste Mal in Kommeno? | |
Günter Baby Sommer: Es war im Sommer des Jahres 2008. Es gab dort ein | |
Percussionfestival, und ich sollte dort ein Solokonzert spielen. Ich wusste | |
bis dahin nichts über Kommeno. Nur, dass es ein verschlafenes Dort abseits | |
der Touristenrouten in Nordgriechenland ist. Der damalige Bürgermeister, | |
Christos Kosmas, fragte mich am Abend vor dem Konzert, ob mir bekannt ist, | |
dass die Deutsche Wehrmacht am 16. August 1943 in Kommeno ein | |
fürchterliches Massaker angerichtet und 317 Zivilisten ermordet hatte. Ich | |
war völlig schockiert. | |
Und dann? | |
Ich war in einem Hotel in Arta, einer Kreisstadt in der Nähe, | |
untergebracht. Dort habe ich die ganze Nacht gegrübelt, ob ich nicht besser | |
gleich wieder abreisen soll. Ich konnte ja nicht einfach spielen und so | |
tun, als wäre nichts gewesen. Ich habe dann eine kurze Rede geschrieben und | |
mein Konzert diesem Massaker gewidmet. Und ich habe ein Stück komponiert | |
für die Kinder von Kommeno, die im August 1943 ermordet wurden. | |
Wie war die Reaktion bei dem Konzert in Kommeno? | |
Aufmerksam. Ich habe als Erstes ein Stück auf Röhrenglocken gespielt. Das | |
hat die älteren Dorfbewohner an den Klang der alten Kirche erinnert. Es war | |
ein Zufall, aber das hat das Eis gebrochen. | |
Und danach? | |
Ich bin nicht abgereist wie geplant, sondern eine Woche in Kommeno | |
geblieben. Der Bürgermeister hat mich von Haus zu Haus geführt, und ich | |
habe die Geschichten der Überlebenden und Nachkommen erfahren. Nach einer | |
Woche wusste ich, wer an welchem Ort in welchem Haus hingerichtet worden | |
war. Ich habe zugehört. Das war das Beste, was ich tun konnte. Es gab nicht | |
viele, die den Leuten in Kommeno bislang zugehört haben. Dort habe ich dann | |
auch Maria Labri kennengelernt, die durch Zufall als 12-Jährige dem | |
Massaker entkommen ist, während ihre gesamte Familie ermordet wurde. Sie | |
singt auf der CD das zentrale Stück „Marias Miroloi“, den Klagegesang. | |
Wie haben die Überlebenden auf Sie reagiert? | |
Maria hat mir 20 Minuten gegenübergesessen und kein Wort gesagt. Sie hat | |
mich nur angeschaut. | |
Waren Sie danach noch öfter in Kommeno? | |
Ich habe dort jedes Jahr ein Konzert gegeben. Ich habe den Dorfbewohnern | |
bei meinem ersten Konzert 2008 versprochen, dass ich ihre Geschichte | |
bekannt mache. Erst später habe ich überlegt, wie dieses Versprechen zu | |
erfüllen ist. Schreibe ich einen Brief an die Bundesregierung? Ich bin | |
Musiker, kein Politiker. So entstand die Idee, eine Art Oratorium zu | |
komponieren. | |
„Songs for Kommeno“ ist eine Koproduktion mit griechischen Musikern. War | |
das von Anfang an klar? | |
Ja! Das nur mit deutschen Musikern zu produzieren wäre abseitig gewesen. | |
Ich habe griechische Musiker gesucht und gefunden, die die Improvisation | |
des Jazz beherrschen und in ihrer musikalischen Tradition stehen. | |
Das Konzept war also von Beginn an die Melange von Jazz und traditioneller | |
griechischer Folklore? | |
Ja, wobei wir auch einiges probiert und wieder verworfen haben. Ich hatte | |
zunächst die Idee, als Grundlage Lieder der griechischen Partisanen aus dem | |
Zweiten Weltkrieg zu verwenden. Es gab aber eine linke und eine rechte, | |
bürgerliche Partisanenbewegung, die verfeindet waren. Da galt es genau | |
auszuwählen und zu gewichten. Ich habe lange mit dem Musiker Floris | |
Floridis darüber diskutiert. Letztlich aber haben wir dieses Konzept | |
verworfen, weil diese Lieder viele Elemente von Marschmusik und einen | |
ziemlich kämpferischen Ton enthalten. Das passt nicht zu dem Charakter des | |
Oratoriums. Es gibt nun ein Stück auf der CD, „Andartes“ – das ist der | |
griechische Ausdruck für Partisanen –, mehr nicht. | |
Haben Sie bei diesem Thema anders komponiert? | |
Wir haben versucht, das szenisch zu lösen. Es gibt ein Lied, das dem Fluss | |
gewidmet ist, in dem die vor der Wehrmacht flüchtenden Dorfbewohner | |
ertranken. Es gibt das Lied für die Kinder, das ich in der ersten Nacht | |
schrieb. Im Zentrum steht der Klagegesang, „Marias Miroloi“. | |
Hat dieses Klagelied, das „Miroloi“, eine feste Form? | |
Nein, es gibt keinen festen Text. Maria Labri erzählt die Geschichte des | |
Massakers. Sie wollte das sehr lange nicht tun. Es hat drei Jahre gedauert, | |
ehe sie eingewilligt hat. | |
Warum? | |
Weil es für sie dieses Trauma wieder aufruft und vergegenwärtigt. Ich habe | |
dann ihren Gesang aufgenommen, eine kleine Terz. Das war die Grundlage für | |
das Stück „Marias Miroloi“, das mit diesem Intervall spielt. | |
Haben Sie die „Songs for Kommeno“ schon aufgeführt? | |
Die Uraufführung war am 16. August in Kommeno. Das war der 69. Jahrestag | |
des Massakers der Wehrmacht. Ich wusste bis eine Stunde vor dem Konzert | |
nicht, ob Maria dieses „Miroloi“ auf der Bühne in Kommeno singen würde. A… | |
der CD beendet sie ja ihren Gesang mit den Worten „Ich kann nicht mehr“. | |
Sie ist 82 Jahre alt, und das Singen ist eine enorme psychische Last. Sie | |
kam schließlich und hat dieses „Miroloi“ gesungen. Das Publikum, tausend | |
Leute auf dem Dorfplatz, hat ganz still zugehört. | |
31 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
STEFAN REINECKE / TORSTEN HASELBAUER | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |