# taz.de -- Ein Darkroom namens Berlin | |
> Fotobuch Punks beim Sex auf dem Klo, eskalierende Ordnungshüter, der | |
> ganze Irrsinn: Der FotografMiron Zownir liefert mit „Berlin Noir“ ein | |
> teilweise bewegendes Dokument randständiger Existenz | |
Bild: Miron Zownir, Berlin, 1979 | |
von Gunnar Luetzow | |
Prenzlauer, Ecke Danziger. An dieser Kreuzung sieht die Restrealität | |
anders aus, als es das Klischee vom durchgentrifizierten Prenzlauer Berg | |
vermuten lässt – zumindest an ihrer südwestlichen Ecke, dem Block zwischen | |
Prenzlauer Allee und Rykestraße. Beim Griechen wird für bodenständiges | |
Flensburger geworben, vor der Änderungsschneiderei lungert Abfall herum und | |
der „Throne“-Friseur mutet wie ein Export vom Hermannplatz an. Der An- und | |
Verkauf lockt mit grellen, laufenden Leuchtschriften und der Späti im | |
unsanierten Eckhaus bewirbt Calling Cards von Marken wie „Boombastik“, | |
„KitKat Afrika“, „Balkanovic“ und „Arab King“. Man ahnt: Kollwitzpl… | |
anderswo. | |
Hier lebt Underground-Fotograf Miron Zownir, der bereits mehrere Bände | |
dystopisch anmutenden Städten gewidmet hat. „Down and Out in Moscow“ | |
versammelt verstörende visuelle Dokumente postsowjetischer | |
Verfallserscheinungen: Das archaische Elend jener aus der Zeit gefallenen | |
Dreivierteltoten, für die im boomenden Moskau der „Neuen Russen“ kein Platz | |
mehr ist und die nun als Bettler, Versehrte und Süchtige ein bloßes Dasein | |
an der steten Schwelle zum Jenseits führen, hat er schonungslos | |
eingefangen. | |
Ähnlich beeindruckende Aufnahmen in den Grenzbereichen menschlichen Seins | |
gelangen ihm vor zwei Jahren für seine „Ukrainische Nacht“ im | |
revolutionären Kiew und an weiteren Orten in der Ukraine, wo sich im | |
Umbruch befindliche Gesellschaften in ein absurdes Theater der | |
Grausamkeiten verwandeln. Oder, wie es im begleitenden Essay von Kateryna | |
Mischenko, die auch schon mal Georges Bataille zitiert, heißt: „Diese Nacht | |
scheint nicht mehr im Wechsel mit dem Tag zu existieren, sie bedingt nichts | |
und führt nirgendwohin, verurteilt jedwede Erfahrung zum Vergessen. Es gibt | |
weder Dämmerung noch Dunkelheit – nur die schweigsamen Sterne in der | |
Finsternis der Gewalt, nur den Krieg.“ | |
Ebenfalls intensiv, wenn auch deutlicher subkulturell codiert, ist, was er | |
mit „NYC RIP“ geleistet hat: In hohem Maße eigensinnige Gestalten verlieren | |
sich im New York der frühen Achtziger auf der Suche nach Sex, Drogen und | |
noch mehr Sex – inklusive grotesk anmutender Überblendungen zwischen | |
inszenierten Phantasmen und der harten Realität polizeilicher Repression | |
gegen sogenannte Randgruppen. „Pornucopia“ nennt Punk-Poetin Lydia Lunch im | |
Vorwort diese Welt, beschwört den Tod Gottes gleich mit hinauf und | |
beschwert sich berechtigterweise darüber, dass es in Manhattan mit den | |
bezahlbaren Mieten, die all die Freaks, Artschool-Dropouts und | |
Noise-Avantgardisten einst angezogen haben, endgültig vorbei ist. | |
Und nun also Berlin. Genauer gesagt: „Berlin Noir“. Ein Trumm, geeignet, | |
jemanden damit zu erschlagen und bereits auf dem Titel geziert von niemand | |
Geringerem als dem Gekreuzigten, der aus einer Trümmerlandschaft ragt. Ein | |
Requiem für eine Stadt, die Zownir seit den Siebzigern kennt und anders in | |
Erinnerung hat, als sie sich heute inszeniert: „Als Berlin noch eingemauert | |
war, haben sich ganz wenige Touristen nach Berlin getraut. Die Stadt war | |
schmutzig, es gab sanitäre Defizite – alles war billig, alles wurde | |
subventioniert. Jeder hat einen Job gekriegt, ob er qualifiziert war oder | |
nicht – ich habe selbst als Tagelöhner gearbeitet. Ich habe mit Leuten | |
zusammengearbeitet, die nur von einer 24-Stunden-Kneipe irgendwie zur | |
Arbeitsvermittlung geschwankt sind, und wer zuerst kam, bekam den Job. Das | |
waren natürlich andere Voraussetzungen.“ | |
Von harter Arbeit künden auch seine eigenen Lebensumstände, die sich als | |
aufgeräumte Anarchie mit einem Hauch bodenständiger Verwegenheit und | |
existenzialistischem Luxus beschreiben ließen – kämpfende Kobras zieren das | |
mit harten literarischem Stoff gefüllte Regal, in dem sich Hunter S. | |
Thompson ebenso zu Hause fühlt wie die großen Russen. Denen sich Zownir in | |
besonderer Weise verbunden fühlt: „Die russsische Literatur hat mich | |
geistig extrem beeinflusst. Raskolnikow war für mich der größte Held, den | |
habe ich schon mit 17 verschlungen – obwohl ich Atheist bin. Was diese | |
psychologische Einsicht angeht, kommt eigentlich niemand auf der Welt an | |
die Russen ran.“ | |
Dafür, dass während seiner gefährlichen Moskauer Recherchen keine Russen an | |
ihn rankamen, hat sicherlich gesorgt, dass der 1953 als Sohn eines | |
Ukrainers und einer Deutschen in Karlsruhe geborene Fotograf von einer | |
physischen Präsenz ist, die keinerlei Fragen offen lässt und ihm in seiner | |
New Yorker Zeit als Türsteher und Rausschmeißer in legendären Clubs wie | |
Danceteria, Mudd Club und Roxy zunutze war. Und noch immer ist, wenn es auf | |
der Straße zur Sache geht: „Es gibt vielleicht das erste Foto, wenn man | |
noch nicht erkannt worden ist, und dann ändert sich die Situation. Ob das | |
nun begrüßt wird oder man aggressiv auf mich zugeht, es sind reale Momente. | |
Dann gibt es auch Situationen, in denen die Leute untereinander beschäftigt | |
sind. Wenn man da dazukommt, hat man mehr Möglichkeiten zu fotografieren. | |
Aber da ist man natürlich in der Unterzahl, wenn es Probleme gibt. Aber es | |
ist mir, seit ich fotografiere, immer gelungen zu vermeiden, dass man mir | |
den Film abnimmt – in den irrsinnigsten, unglaublichsten Situationen.“ | |
An denen ist auch der aktuelle Band nicht arm, der vier Dekaden Berliner | |
Krassheit versammelt: Punks beim Sex auf einem versifften Klo, eskalierende | |
Ordnungshüter, eskalierender Alkoholismus und generell eskalierender | |
Irrsinn, dazwischen stille Erinnerungen an ein Kreuzberg der Hinterhöfe, | |
das auf den ersten Blick mehr mit Zille zu tun zu haben scheint als mit der | |
jüngsten Vergangenheit. | |
Erfreulich an all dem ist, dass endlich einer daran erinnert, dass der | |
gleichermaßen abgründige, verwirrende und faszinierende Darkroom namens | |
Berlin mehr ist als die hippe Lifestyle-Metropole frisch zugezogener | |
Startup-Spekulanten. Weitaus weniger erfreulich ist, dass ein Teil der | |
unter dem Hashtag „Not Safe For Life“ zu rubrizierenden Aufnahmen nicht dem | |
entspricht, was in entsprechenden Kreisen als Konsens von „safe, sane and | |
consensual“ gilt. Gälte der Begriff in Berlin nicht inzwischen als | |
begehrtes Adelsprädikat besonders authentischer Kunst, wäre das Label | |
„sozialethisch desorientierend“ an den Stellen, wo die Transgression um | |
ihrer selbst willen gefeiert wird, nicht weit entfernt. | |
Und dann ist da noch die Eigentümlichkeit der Schwarz-Weiß-Fotografie, die | |
noch den stärksten Schmerz als Anästhetikum zu betäuben vermag und ihn | |
melancholisch ästhetisiert. So werden zwar durch Zownirs erhellenden Blick | |
die im Dunkeln kurzzeitig sichtbar und auch lässt sich erahnen, wer mit | |
seinem Körper die Spesen bezahlt, die anfallen, wenn Brechts „große Männer… | |
große Geschäfte oder gar Geschichte machen. Doch jenseits eines mit der | |
Kettensäge zuschlagenden „Punctums“ fehlt ein analytisches Element, das die | |
strukturellen Mechanismen der Ausschließung sichtbar macht, die all dem | |
Elend zugrunde liegen. | |
So wird die bittere Ironie der Geschichte dafür sorgen, dass auch dieses | |
teilweise bewegende Dokument randständiger Existenz als Coffeetable-Book in | |
den Living Rooms derer landen wird, die sich das Leben in der schönen neuen | |
Welt des Berlins der Sieger überhaupt noch leisten können – ein Berlin, wie | |
es übrigens in Gestalt der Yuppie-Architektur an der nordöstlichen Ecke der | |
Kreuzung Danziger Straße/Prenzlauer Allee bereits zu besichtigen ist. | |
Miron Zownir: „Berlin Noir“. Pogo Books, Berlin 2017, 232 S., 58 Euro, mit | |
Texten von Peter Wawerzinek, Ingo Taubhorn und Miron Zownir | |
7 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Gunnar Luetzow | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |