# taz.de -- Sächsisches Universalgenie | |
> MALEREI Aus der DDR ausgebürgert, im Westen nie richtig angekommen und in | |
> seinem Werk oft missverstanden: Nachruf auf den Künstler A. R. Penck | |
Bild: A. R. Penck in der Neuen Nationalgalerie Berlin 1988 | |
von Claus Löser | |
Im Herbst 1980 wurde von der Polizei in der Kölner Bahnhofsgegend ein stark | |
alkoholisierter Mann aufgegriffen, der sich nicht ausweisen konnte. In den | |
Taschen seiner Kutte fanden sich mehrere tausend D-Mark, über deren | |
Herkunft ebenfalls nichts herauszubekommen war. Die Beamten nahmen die | |
verdächtige Person mit aufs Revier. Am nächsten Morgen durfte diese ein | |
Telefonat wahrnehmen. Nach wenigen Minuten traf der Galerist Michael Werner | |
ein, um seinen wichtigsten Künstler auszulösen: A. R. Penck, mehrfacher | |
Documenta-Teilnehmer und auf dem internationalen Kunstmarkt hoch gehandelt. | |
Geboren 1939 als Ralf Winkler in Dresden, war Penck wenige Wochen vorher | |
von Deutschland-Ost nach Deutschland-West übergesiedelt. Er hatte diesen | |
Schritt nicht freiwillig unternommen. Doch sein Status in der miefigen DDR | |
war für alle beteiligten Parteien zunehmend unhaltbar geworden. Während er | |
im Westen immer berühmter wurde, war er im Osten längst eine Persona non | |
grata. Galerist Werner vertrieb seine Werke exklusiv, ständig wurden Bilder | |
und Zeichnungen über diplomatische und andere Kanäle durch den Eisernen | |
Vorhang geschleust, ebenso illegal fand anteiliges Geld aus den Erlösen | |
wieder zurück nach Dresden. | |
Dabei hatte Penck als Künstler in der DDR quasi Berufsverbot. Da man ihn im | |
„Verband Bildender Künstler“ (VBK) nicht haben wollte, durfte er weder | |
verkaufen noch ausstellen, ja er durfte nicht einmal Farben in den für | |
VBK-Mitglieder reservierten Läden erwerben. Juristisch stand er also | |
ohnehin schon mit einem Bein im Knast, denn in der DDR galt Arbeitspflicht. | |
Doch vor diesem Schritt schreckte man dann doch zurück – das hätte negative | |
Schlagzeilen gebracht. Also lösten die Funktionäre den schwierigen Fall | |
etwas subtiler. Penck wurde ganz einfach erpresst. Da er für das im Westen | |
verdiente Geld nie einen Pfennig Steuern gezahlt hatte, wurde er vor die | |
Alternativen Gefängnis oder Ausreise gestellt. Da ging er. | |
## Entwurzelt | |
Auf Penck traf Biermanns Liedzeile „Ich möchte am liebsten weg sein und | |
bleibe am liebsten hier“ exemplarisch zu. Den Verlust der hassgeliebten | |
sächsischen Heimat hat er wohl nie richtig verwunden. Die Kölner | |
Bahnhofs-Anekdote erzählte er mir in einem langen Gespräch, das wir im | |
April 2007 führten. Er wollte damit seine Entwurzelung nach dem Umzug | |
beschreiben. | |
Geld war zunächst das Einzige, woran er sich im Westen festhalten konnte, | |
deshalb trug er es ständig in Bündeln mit sich herum. Im Kölner | |
Bahnhofsviertel hielt er sich auch wegen der Horrorfilme auf, die dort rund | |
um die Uhr gezeigt wurden. Sein Lieblingsfilm war „Dawn of the Dead“ von | |
George A. Romero. Er meinte, dass er den Kapitalismus dank dieses Films ein | |
wenig besser verstanden hätte: die letzten Überlebenden verschanzen sich in | |
einem Einkaufszentrum und schwelgen in der Warenwelt, während sich | |
gleichzeitig draußen der Ring der blutrünstigen Zombies immer dichter | |
schließt. | |
Der schmerzhafte Bruch in seiner Biografie war auf der letzten großen | |
Werkschau des Künstlers zu Lebzeiten, 2007 in Frankfurt am Main, deutlich | |
ablesbar. Während die noch in der DDR entstandenen Arbeiten von einer | |
trotzigen Gelassenheit getragen waren, überwog nach 1980 die | |
Zersplitterung. Penck hielt es nicht lange in Westdeutschland aus. Bereits | |
1983 zog er nach London weiter, später nach Dublin, wo er bis kurz vor | |
seinem Tod dann hauptsächlich lebte. Insgesamt zog er sich vom Kunstmarkt | |
mehr und mehr zurück, mied die Öffentlichkeit. | |
Anlässlich seines 75. Geburtstages 2014 versuchten wir, gemeinsam mit dem | |
Filmfest Dresden und der Städtischen Galerie Dresden, ihn in seiner | |
Geburtsstadt mit einer filmischen Werkschau und einer Ausstellung zu ehren. | |
Er lehnte ab – er hätte dafür keine Zeit, da er sein Alterswerk vorbereite. | |
Dass es dieses Alterswerk gibt, bleibt jetzt nur zu hoffen. | |
Die Bedeutung Ralf Winklers alias Pencks kann gar nicht hoch genug | |
eingestuft werden. Körperlich eher von kleinem Wuchs, war er doch ein ganz | |
Großer: einer, der gegen alle Widerstände immer weitermachte und ein | |
hochkomplexes Oeuvre schuf, an dem sich noch Generationen von | |
KunstwissenschaftlerInnen werden abarbeiten können. | |
Doch der Zugang zu seinem Denken wird eben nicht verstellt von | |
intellektuellen Erklärungsapparaten, sondern kann ganz direkt und sinnlich | |
erfolgen. Mit dieser Unmittelbarkeit stand er in einer mehr und mehr auf | |
Oberflächen operierenden Kunstszene zwangsläufig im Abseits. Erfolg | |
generiert sich heute meist aus Marketingstrategien. Ateliers werden wie | |
mittlere Unternehmen geführt, die Brandings platzieren. A. R. Penck tat das | |
Gegenteil: er bot Angriffsflächen, zeigte sich verletzbar. Seine berühmten | |
Strichmännchen sind keine Markenzeichen zum Zwecke der schnellen | |
Wiedererkennbarkeit, sondern archaische Symbole des Aufeinanderzugehens. | |
Die seitwärts ausgestreckten Hände signalisieren Waffenlosigkeit, bedeuten | |
den Wunsch zur Kontaktaufnahme, nicht zur Abwehr. | |
## Mit Punk, den „Neuen Wilden“ hatte er nichts zu tun | |
Pencks Schaffen wurde immer von Missverständnissen begleitet, auch in Bezug | |
auf die Strichmännchen. Das größte Missverständnis war sicher die Zuordnung | |
zur Welle der „Neuen Wilden“, die Ende der 1970er infolge der | |
Punk-Domestizierung kurzzeitig den Markt erhitzte. Damit hatte er nun | |
wirklich gar nichts zu tun – außer, dass er ein stets aufgeschlossener | |
Mensch war, der sich für die Aktivitäten der jungen Leute interessierte. | |
Seine ersten „Großen Weltbilder“ entstanden Anfang der 1960er – da waren | |
viele Punks noch gar nicht geboren. Und was steckt nicht alles in diesen | |
Gemälden! | |
Hätte es ein paar Menschen mehr mit der Courage des Künstlers und Menschen | |
Ralf Winkler gegeben, die DDR wäre weniger grau gewesen oder früher | |
zusammengebrochen. Er hat Plattenhüllen für Wolf Biermann entworfen und an | |
Defa-Filmen mitgewirkt. Er hat gemalt und musiziert, hat Gedichte | |
geschrieben, Bücher und Skulpturen hergestellt, hat mit allen erdenkbaren | |
Materialien gearbeitet und eine Reihe von Super-8-Filmen gedreht. Vor allem | |
aber war er nie auf sich allein fokussiert, sondern fühlte sich | |
verantwortlich für Freunde und Kollegen wie Helge Leiberg, Lothar Fiedler | |
oder Ralf Kerbach. | |
Deshalb unterstützte er mit seiner günstig in DDR-Mark umgetauschten | |
Westkohle zu Dresdner Zeiten Projekte wie die legendäre Edition | |
„Obergrabenpresse“ oder die private Ausstellung mit dem programmatischen | |
Titel „Erste Integration junger Zeitgenossen“. Immer suchte er den Kontakt | |
zu Mitstreitern, arbeitete oft in Gruppen. Umso schwerer traf ihn deshalb | |
der Verrat von vermeintlichen Freunden, wie der des Alexander „Sascha“ | |
Anderson, der ihn im Osten als IM bespitzelte und später im Westen bei der | |
Gründung des Galrev-Verlags wirtschaftlich über den Tisch zog. | |
Vor einem Jahr erlitt Penck einen Schlaganfall, von dem er nur in kleinen | |
Schritten genas. Nun ist er im Alter von 78 Jahren gestorben. Sein Werk | |
wird sich in seiner Fülle und in seinem Reichtum noch erschließen. Es | |
stellt eine einzige, großzügige Ermutigung dar. | |
Der Autor leitet das Kunst- und Kulturzentrum Brotfabrik in | |
Berlin-Prenzlauer Berg | |
5 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Claus Löser | |
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