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> Biografie Das Lichtblick-Kino zeigt zum 100. Geburtstag von Sophie | |
> Templer-Kuh eine Dokumentation über eine Vatersuche | |
Bild: Sophie Templer-Kuh war zeit ihres Lebens auf der Suche | |
von Silvia Hallensleben | |
Ihr Blick in die Welt ist immer noch kindlich, die Augen unter dem | |
kupferroten Wuschelschopf aufmerksam und wach. Dabei ist Sophie Templer-Kuh | |
doch fast schon neunzig Jahre auf dieser Erde, hat zwei Kinder großgezogen | |
und auch sonst viel erlebt. Doch ihre Seele scheint immer noch keinen | |
festen Platz im Leben gefunden zu haben, wie es bei Flüchtlingen und | |
Emigranten häufig ist. | |
In Dänemark, Berlin, Hannover, London, New York und Los Angeles hat die | |
1916 in Wien Geborene gelebt: Erst war das unstete Leben der Eltern Grund | |
für die Ortswechsel, dann musste die Tochter einer jüdischen Mutter (und | |
Schwester des Schriftstellers Anton Kuh) vor den Nationalsozialisten aus | |
Wien fliehen. | |
Ungefähr zu der Zeit hat sie auch von ihrer Mutter die wahre Identität | |
ihres Vaters erfahren, der schon 1920 mit nur 42 Jahren in Berlin gestorben | |
war. Er war der österreichische Psychiater, Psychoanalyse-Pionier, | |
Paradiessucher, Anarchist und Sozialreformer Otto Gross, der mit Ehefrau | |
Frieda Anfang des Jahrhunderts auf dem Tessiner Monte Verità dem | |
Frühhippietum frönte und 1908 wegen Abweichung von der reinen | |
psychoanalytischen Lehre aus dem freudschen Kreis verbannt wurde. Gross | |
litt auch an schweren Drogenproblemen, die den Arzt so regelmäßig wie | |
vergeblich selbst in Behandlung und Entziehungskuren (unter anderem bei C. | |
G. Jung in Zürich) brachte. Und er war, darauf lässt jedenfalls die | |
stattliche Zahl von ihm geschwängerter Frauen schließen, offensichtlich ein | |
auch ein praktizierender Frauenheld. Eine seiner Geliebten war Sophies | |
Mutter Marianne Kuh. | |
In dem Film, den die Journalistin Sandra Löhr 2007 mit Sophie Templer-Kuh | |
drehte, erzählt diese, dass sie mit ihrem neuen Wissen zuerst nicht | |
wirklich etwas anfangen konnte. In Vor-Internet-Zeiten waren Recherchen | |
aufwendig, und die nach einer Scheidung mittlerweile in den USA lebende | |
alleinerziehende Mutter zweier Kinder war mit den alltäglichen Problemen | |
ausgelastet. Erst als sie viele Jahre später wieder nach Deutschland umzog, | |
begann mit dieser neuen Lebensphase auch eine Suchbewegung, die sie auf die | |
Spuren des unbekannten Vaters nach Wien und in dessen steiermärkische | |
Heimat führte. Dort wurde die schwierige Vaterbeziehung des mittlerweile | |
auch von der Forschung entdeckten Landessohns im Frühjahr 2005 im Grazer | |
Stadtmuseum in einer kritischen Ausstellung als „paradigmatischer | |
Generationskonflikt“ gewürdigt. Der Jurist Hans Gross war ein Pionier der | |
Kriminalistik mit traditionell patriarchalen Einstellungen und hatte ein so | |
gespanntes Verhältnis zu seinem ungebührlichen Sohn, dass er für dessen | |
Zwangseinweisung in die österreichische Psychiatrie sorgte. Eine kurze | |
Bemerkung im Kommentar des Films, dass Vater Gross „schon lange vor den | |
Nationalsozialisten [plante], alles unwerte Leben aus der Gesellschaft zu | |
verbannen und in Strafkolonien zu verschicken“, wird leider nicht mit | |
Details unterfüttert. | |
Für „Die Vatersucherin“ begleitet Löhr Sophie Templer-Kuh bei ihren | |
Recherchen, aber auch bei einem Interview mit einem anderen Journalisten in | |
der kleinen Berliner Wohnung. Etwas auf Vater und Mutter kommen lässt | |
Tochter Sophie dabei und auch sonst nicht, jede auch nur annähernd | |
kritische Bemerkung zu deren Lebensweise wehrt sie hartnäckig ab. Verstehen | |
lässt sich diese Schutzhaltung wohl am besten (Freud lässt grüßen …) als | |
Abwehrmechanismus gegenüber dem kleinen Mädchen durch die Eltern zugefügten | |
schweren Verletzungen. Denn Sophie wurde mit vier Jahren in eine dänische | |
Pflegefamilie weggegeben und musste dann nur ein paar Jahre später auch von | |
dort wieder fort, um mit der Mutter und ihrem neuen, dem Kind nicht | |
gewogenen Partner in Berlin zusammenzuleben. Unverständlicherweise spart | |
der 40-minütige Film – im Unterschied zu einem ersten taz-Artikel zu Sophie | |
Templer-Kuh derselben Autorin aus dem Jahr 2003 – diese doppelte Verrats- | |
und Verlusterfahrung gänzlich aus. Gründe für diesen – und auch einige | |
andere – blinde Flecken lassen sich nur im fehlenden Einverständnis der | |
Porträtierten zu einer Veröffentlichung vermuten. Die lebt auch heute noch | |
in Berlin und wird am 23. November runde hundert Jahre alt. Dem | |
Lichtblick-Kino ist das Anlass, am Samstag noch einmal Sandra Löhrs | |
österreichische Produktion zu zeigen. Die Regisseurin wird auf jeden Fall | |
anwesend sein, vielleicht sogar das Geburtstagskind. | |
„Die Vatersucherin“ (OmeU): Lichtblick-Kino, Kastanienallee 77, 19. 11., 17 | |
Uhr | |
17 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Silvia Hallensleben | |
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