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# taz.de -- Blumen für die Gefallenen vom Maidan
> Kunst Dem Konflikt zwischen Russland und der Ukraine gilt eine Schau in
> der Galerie für Zeitgenössische Kunst in Leipzig, „Sentsovs Camera“. Es
> geht um Orte von Schauprozessen und Gedenkparaden
Bild: Aus dem Video „Rostow“ von Angelina Kariakina
VON Radek Krolczyk
Oleg Sentsov – das ist der Name eines ukrainischen Filmemachers, der im Mai
2014 durch seine Verhaftung durch Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes
bekannt wurde. Sentsov wurde 1976 an der russischen Schwarzmeerküste in
Simferopol geboren, der Hauptstadt des heutigen russischen
Föderationsstaates Krim. Die neue Regierung beschuldigte ihn, an der
Planung terroristischer antirussischer Anschläge beteiligt zu sein. Er
wurde bezichtigt, Mitglied der nationalistischen Gruppe Rechter Sektor zu
sein. Sentsov, der an den Protesten 2014 auf dem Maidan in Kiew beteiligt
war, stritt die Vorwürfe ab.
Im Sommer 2015 wurde er schließlich zu 20 Jahren Zwangsarbeit im
sibirischen Jakutien verurteilt. Das Verfahren gegen ihn gilt als unfair
und wird von Organisationen wie Amnesty International als „Schauprozess“
bezeichnet.
In der Leipziger Galerie für Zeitgenössische Kunst (gfzk) ist zurzeit eine
Ausstellung zu sehen, die den Titel „Sentsovs Camera“ trägt. Direkt um den
Filmemacher geht es dabei nicht. Keiner seiner Filme wird in der Show
gezeigt, keine Prozessdokumente, auch keine Kunstwerke, die auf direktem
Wege eine solidarische Haltung zeigen sollen.
Sentsovs Werk ist mit zwei Kurz- und einem Spielfilm relativ schmal und
wenig bekannt. Erst nach seiner Verhaftung wurde der Langfilm „Gamer“
(2012) auf internationalen Festivals, so etwa in Berlin, gezeigt. Der Film
ist weder besonders politisch noch auf eine andere Weise aufsehenerregend.
Sentsov, der bis zu seiner Verhaftung hauptberuflich ein Internetcafé
betrieb, erzählt darin die Geschichte zweier Computergamenerds. Es war die
plötzliche Verhaftung, die ihn bekannt machte. Und so setzen sich die
Europäische Filmakademie und Amnesty International bis heute für seine
Freilassung ein. Auch die ukrainische Regierung schloss sich dieser
Forderung an. Sie verlangte die Freilassung eines Staatsbürgers, der durch
die Machtübernahme auf der Halbinsel plötzlich gar nicht mehr ihr
Staatsbürger war. Insgesamt gibt es 25 solcher Anklagen. Sentsov ist als
Künstler der prominenteste Fall.
## Andere Art der Solidarität
Die Autorinnen Kateryna Mishchenko und Julia Schäfer wählen mit ihrer
Ausstellung „Sentsovs Camera“ einen anderen Weg. Ihre Form der Solidarität
mit dem inhaftierten Filmemacher, so sagt Mishchenko, sei reflexiv.
„Sentsovs Camera“ ist ganz wörtlich zu nehmen, als ein Raum für allgemeine
Überlegungen zum Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, aber auch für
übergeordnete Fragen, wie etwa nach der Identität eines Ortes. Die zweite
wichtige Frage, die hier mit Mitteln der Kunst verhandelt wird, ist die
nach dem politischen, ritualisierten und dem individuellen Umgang mit
Geschichte (und sei es auch der allerjüngsten). Diese Form der
Herangehensweise, die einem offenen Essay entspricht, findet sich auch in
der Struktur der meisten Arbeiten.
So beginnt dann auch die Ausstellung mit einem großformatigen,
panoramatischen Schwarz-Weiß-Foto, auf dem eine Felsformation zu sehen ist.
Sie hat die Form eines riesigen Tores mit Türmen, oben weht eine Fahne. Es
könnte sich um eine antike Ruine handeln oder um eine Horrorfilmkulisse.
Der aufgenommene Ort ist in seiner Gestalt sehr bestimmt und doch offen
genug für ganz verschiedene Vorstellungen. Das Bild hat der Berliner
Fotograf Miron Zownir 2013 in Bachtschyssaraj auf der Krim gemacht. Das
Foto zeigt diesen Ort als etwas Dynamisches und Hybrides. Denn neben den
verschiedenen möglichen Lesarten eines Bildes, dessen Kontext man nicht
sofort begreift, war der abgebildete Ort in den Jahren nach der Aufnahme
politisch einem heftigen Wandel unterworfen.
## Annäherung an Rostow
In ihrem Video „Rostow“ versucht die ukrainische Journalistin und
Filmemacherin Angelina Kariakina eine Annäherung an die gleichnamige
russische Stadt. Rostow war der Austragungsort der Schauprozesse gegen
Krimoppositionelle – unter anderem gegen Sentsov. Kariakina begleitet ein
Paar Jugendlicher auf ihren Wegen durch den politisch determinierten Ort.
Sie befragen die Menschen dort nach ihrem Bild der Stadt. Eine alte Frau
erzählt, Rostow sei voller Diebe und Drogenabhängiger. Die Jugendlichen
vermitteln in erster Linie ein Leben voller Langeweile. Bedeutung sucht man
in den Bildern lange.
Andere Arbeiten dokumentieren eine sehr klare Geschichtspraxis: Abermals
von Miron Zownir ist eine Fotoreihe von 2013 zu sehen, die eine der
traditionellen Gedenkparaden in der ukrainischen Küstenstadt Sewastopol,
Standort der Schwarzmeerflotte, zum Jahrestag des Sieges über den
Faschismus zeigt. Alte ordenbehangene Männer schieben schweres antikes
Kriegsgerät durch die Straßen. Gegenüber läuft Ksenia Marchenkos Film „Fe…
der Annexion“ von 2016. Offenbar verwirrte Russen beiderlei Geschlechts und
aller Altersgruppen skandieren antiukrainische Parolen. Im Hintergrund
wehen Fahnen mit Putins Konterfei. Beide Rituale sind eingeübt. Dennoch
ahnt man, dass die Greise einen tatsächlichen Sieg feiern, die Freunde der
Annexion hingegen etwas Leeres, von dem sie niemals profitieren werden.
Eine der stärksten Arbeiten beschäftigt sich mit der Suche nach einer
geeigneten Form des Gedenkens: Arthur Żmijewskis Videosammlung „Der Krieg
in Kiew“ von 2015. Hier kreuzt sich die gesellschaftliche Formsuche mit der
individuellen. Man sieht den Künstler frische Blumen an eine Gedenkstelle
für die Maidan-Gefallenen legen. Verwelkte nimmt er mit, aber was soll er
bloß mit ihnen tun? Er nimmt sie mit nach Hause, niemand traut sich, sie
wegzuwerfen. Letztendlich landen sie doch im Container. Trotz aller
gedenkpolitischer Heiligkeit.
Bis 6. November, Galerie für zeitgenössische Kunst, Leipzig
24 Aug 2016
## AUTOREN
Radek Krolczyk
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