# taz.de -- Frauen sind keine Mimosen | |
> Studien belegen, dass Frauen schmerzempfindlicher sind als Männer. Das | |
> hat vor allem mit den Geschlechtshormonen zu tun. Trotzdem können Frauen | |
> langfristig besser mit ihrem Leiden umgehen – weil sie drüber reden und | |
> öfter zum Arzt gehen | |
VON SANDRINA MAHLBERG | |
Sind Frauen wirklich Mimosen? Die deutsche Schmerzliga kommt in ihrer | |
Fachzeitschrift Nova zu dem Schluss, dass Frauen eine niedrigere | |
Schmerzschwelle haben als Männer. So ergab eine der dort vorgestellten | |
Studien, dass Männer weniger schnell Schmerzen empfinden als Frauen, wenn | |
auf ihren Körper Druck oder Hitze ausgeübt wird. Christoph Maier vom | |
Klinikum Bergmannsheil in Bochum allerdings bezweifelt die Aussagekraft von | |
solchen Schmerzstudien. „Die Experimente über Schmerzempfindlichkeit können | |
nicht bestimmen, wie jeder einzelne mit Schmerzen umgeht.“ Schmerzen seien | |
individuell verschieden. | |
Grundsätzlich sind sich die Experten allerdings einig, dass Männer und | |
Frauen ein unterschiedliches Schmerzempfinden haben. Eine Studie macht die | |
Hormone für die Differenzen verantwortlich. Das jeweilige Sexualhormon – | |
Östrogene bei Frauen und Testosteron bei Männern – könne zu verschiedenen | |
Schmerzempfindungen führen, sagen die Fachleute der deutschen Schmerzliga. | |
Christoph Maier bestätigt das: Grundsätzlich hätten Männer mit einem | |
höheren Testosteronspiegel auch eine höhere Schmerzschwelle. Allerdings | |
schwanke der Gehalt des männlichen Hormons beträchtlich – und in | |
unbeständigen Abständen. „Der Testosteronspiegel eines Mannes kann schon in | |
die Höhe schnellen, wenn ihm eine Frau die Probe entnimmt. Die Studie ist | |
dann nicht mehr korrekt, weil sie unter unnormalen Bedingungen | |
stattgefunden hat“, sagt Maier. | |
Überzeugt vom Zusammenhang zwischen Schmerzempfindlichkeit und Hormonen ist | |
auch Esther Pogatzki-Zahn von der Universität Münster. „Ein Hormon kann | |
Schmerzen mehrmals hintereinander hervorrufen.“ Besonders deutlich werde | |
dies bei Frauen, die unter Migräne leiden. „Kurz vor der Menstruation, wenn | |
der Östrogenspiegel ansteigt, beklagen viele Frauen Kopfschmerzen und | |
Migräne“, sagt die Laborchefin der Münsteraner Universität. Auch | |
Untersuchungen des Hormonspiegels bei schwangeren Frauen verdeutlichten, | |
dass die Schmerzempfindlichkeit von Frauen und Männern Hormon gesteuert | |
sei. „Schwangere Frauen zeigen eine Veränderung ihres Schmerzempfindens, | |
hervorgerufen durch die Veränderung des Östrogen- und Progesterongehalts.“ | |
Durch die Erhöhung des Progesteronspiegels nehme die Schmerzempfindlichkeit | |
einer Frau deutlich ab. | |
Eine perfekte biologische Uhr nennt Michael Loew von der Klinik am | |
Osterbach in Bad Oeynhausen die Schmerzempfindlichkeit und deren | |
Entwicklung während einer Schwangerschaft. „Das Schmerzempfinden einer Frau | |
wird biologisch gesteuert und nimmt ab der dreiunddreißigsten | |
Schwangerschaftswoche deutlich ab.“ Seiner Meinung nach sind die | |
Sexualhormone aber nur eine von vielen Erklärung für die unterschiedlichen | |
Schmerzschwellen von Mann und Frau. „Endorphine, also körpereigene | |
Morphine, können bei erhöhter Ausstoßung das Schmerzempfinden zusätzlich | |
senken.“ Dies geschehe völlig unabhängig von weiblichen und männlichen | |
Hormonen. | |
Also ist nun etwas dran am Klischee der weiblichen Mimosen? Nein. Auf | |
längere Sicht scheinen Frauen sogar besser mit Schmerzen umgehen zu können | |
als Männer. Diese positive Verarbeitung von Schmerzen habe mit dem | |
Sozialverhalten der Frauen zu tun, sagt Esther Pogatzki-Zahn. „Frauen | |
sprechen eher über ihre Schmerzen als Männer, informieren sich schneller | |
über ihre Krankheit und gehen öfter zum Arzt. Sie entwickeln | |
Eigenmaßnahmen, um sich mit ihren Schmerzen auseinander zu setzen.“ Und die | |
Deutsche Schmerzliga hat umgekehrt festgestellt: „Viele Männer versuchen | |
ihre Schmerzen zu ignorieren und machen gute Miene zu bösem Spiel.“ Das | |
Mimosen-Klischee müsse darum eigentlich umgedreht werden. „Wenn Männer | |
Kinder gebären würden, dann wären wir schon lange ausgestorben.“ | |
20 Oct 2005 | |
## AUTOREN | |
SANDRINA MAHLBERG | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |